23. Oktober 2017, im Zug von Frankfurt/Main nach Dresden
Eine Zugfahrt, die ist lustig… Obwohl nicht mehr in Südostasien, war die Transkontinentalfahrt mit Amtrak sehr ereignisreich. Eigentlich begann das Abenteuer schon Tage bevor wir überhaupt den Bahnhof von Emeryville erreichten, welcher der nächstgelegene für San Francisco ist. In unserem Ticket war der Zubringerbus zum Bahnhof enthalten, aber wir wussten nicht so genau, wo er fährt. Die Google-Suche spuckte zwei verschiedene Adressen aus, die wir beide sicherheitshalber mal aufsuchten, und an beiden befand sich eine Amtrak-Haltestelle mit einem Fahrplan, aber auf dem Fahrplan stand unser Bus nicht drauf. Im Endeffekt brachte nur ein Anruf bei Amtrak Klarheit. Am Morgen der Abfahrt fanden wir uns rechtzeitig an der Bushaltestelle ein und es kam dann auch ein Bus, an dem aber nichts stand, nicht einmal ein Amtrak-Logo oder ähnliches. Nur durch Nachfragen beim Fahrer erfuhren wir, dass es unser Bus war. Das hätte bis dorthin schon einmal besser organisiert werden können.
Am Bahnhof von Emeryville auf der anderen Seite der Bucht angekommen, stellten wir fest, dass der Bahnhof nicht viel größer war als die Halle einer Autowerkstatt. Der Zugverkehr hat in den USA einfach nicht den gleichen Stellenwert wie in Europa. Und in bester Bahnmanier hatte der Zug Verspätung, wobei das Bahnhofspersonal nicht einmal so genau sagen konnte, wie viel. Eine Mitarbeiterin machte aber eine sehr umfangreiche Ansage darüber, dass sie nicht wüsste, wann der Zug kommt, dass wir nicht fragen kommen sollten, weil sie es nicht weiß, dass sie uns uns rechtzeitig Bescheid sagen würde, wenn der Zug kommt und dass andere Züge kämen, in die wir nicht einsteigen sollten, weil das nicht unser Zug ist. Die geschätzten anderthalb Stunden Verspätung wurden dann eher zu zwei Stunden, aber wir hatten ja Zeit, also störte es uns nicht. Wir erfuhren, dass der Zug am Vorabend wegen diverser technischer Defekte mit neun (!) Stunden Verspätung in San Francisco angekommen war und danach natürlich trotzdem die vorgeschriebene Ruhezeit für das Personal eingehalten werden musste, dass anscheinend die Strecke schon am nächsten Tag wieder zurückfuhr. Aber der Schaffner war optimistisch, dass wir die Verspätung wieder aufholen würden.
Das Gegenteil war der Fall, wie sich schließlich zeigte. Fast eine Stunde büßten wir ein, als der defekte Lounge-Waggon aus der Zugmitte genommen und hinten angehängt werden musste. Einmal wurde eine Passagierin wegen eines Notfalls vom Rettungsdienst besucht, der sie schließlich auch mitnahm. Und last but not least verzögerte sich ein Halt, weil der Begleithund einer behinderten Passagierin erstmal draußen Pipi machen musste, bevor es weiterging…
Auch sonst war es eine sehr interessante Fahrt. Die ersten drei Tage bis nach Chicago hatten wir ja unsere Roumette, die wirklich nur ein Schuhkarton von einem Abteil war, gerade groß genug für zwei schmale Betten übereinander, aber dafür hatte man seine Ruhe. Mit den anderen Fahrgästen kam man dann bei den im Preis inbegriffenen Mahlzeiten im Speisewagen ins Gespräch, wo man immer mit anderen Gästen zusammen an einen Tisch platziert wurde. US-Amerikaner sind ja Meister im Small Talk, und so floss das Gespräch meistens ziemlich gut. Die große Mehrheit der Passagiere waren ältere Leute, die Zeit hatten und nicht gerne flogen. Warum sonst sollte man sich mehrere Tage Zugfahrt antun, wenn man die selbe Strecke in wenigen Stunden für einen Bruchteil der Kosten fliegen kann? Wir zogen den Altersdurchschnitt jedenfalls ganz schön nach unten. Das Essen war für Zugverhältnisse eigentlich ziemlich gut; es gab immer à la carte, und besonders die Desserts waren echt lecker. Noch dazu war die Landschaft im Westen wirklich herrlich, vor allem in Utah und Colorado, wo die roten und grünen Berge hoch aufragten und die Herbstlaubfärbung schon weit vorangeschritten war. Die Fahrt ist eigentlich zeitlich so angelegt, dass man durch die schönsten Gegenden bei Tageslicht fährt, aber durch die immer weiter zunehmende Verspätung sahen wir leider von den Rocky Mountains nicht mehr viel.
Am Ende erreichten wir Chicago mit reichlich vier Stunden Verspätung. Wir mussten dort in einen anderen Zug umsteigen, hatten aber glücklicherweise sechs Stunden Aufenthalt gehabt, von denen nun immer noch zwei übrig waren. Von der Stadt konnten wir uns da natürlich nichts mehr anschauen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass es bereits dunkel war, aber immerhin hatten wir noch Zeit, uns Proviant für die nächsten 20 Stunden Fahrt nach New York zu kaufen. Für diesen Abschnitt hatten wir nämlich nur Sitzplätze, und damit auch keine Verpflegung mehr. Die Nacht im Sitzen war natürlich nicht so komfortabel wie in der Roumette, aber für eine Nacht ging es schonmal, und Snacks hatten wir auch genug. Ohne weitere Verspätung kamen wir am nächsten Abend, nach vier Tagen und drei Nächten, in Manhattan an, wo Frank Sinatras „New York, New York“ im Zug gespielt wurde und uns, kaum dass wir den Bahnhof verließen, ein unglaubliches Gewusel erwartete.
Wir schoben uns mit unseren Kraxen durch die Menschenmengen des ganz alltäglichen Feierabendverkehrs bis zur Metro und fuhren zu unserem AirBnB. Wir hatten ein ruhiges Zimmer bei einer spanischsprachigen Familie in Queens. Die Mutter unserer Gastgeberin, die uns herein ließ und alles zeigte, sprach kein Wort Englisch, aber mit Händen und Füßen verstanden wir so halbwegs, welcher von den fünf Schlüsseln wofür war und schafften es auch nach unserem Abendessen mit nur wenigen Minuten Fummelei, die zwei Haustüren wieder aufzuschließen.
Die Zeit in New York verging wie im Flug, es waren ja nur noch zwei volle Tage, und wir müssen auch ehrlich sagen, dass mittlerweile die Luft bei uns raus war und wir nicht mehr viel Lust hatten, Orte anzuschauen. Am ersten Tag schliefen wir erst einmal aus nachdem wir die Nacht zuvor im Zug nicht wirklich viel Schlaf bekommen hatten, und suchten uns dann eine kleine, jüdische Bäckerei in der Nachbarschaft, die die besten Cream Cheese-Bagel machte, die wir je gegessen haben. Danach fuhren wir mit der Metro ins südliche Manhattan und schauten uns die klassischen Reiseführer-Sehenswürdigkeiten an. Wir begannen am Rockefeller Center, auf das ich eigentlich hinauf wollte, aber es gab gerade keine verfügbaren Tickets, also liefen wir zum Times Square und ließen die überladende Atmosphäre aus Touristen, gigantischer Reklame und zuviel Verkehr auf uns wirken. Von dort liefen wir ein Stück den Broadway entlang, fuhren mit der Metro ins Uni-Viertel und probierten einen kleinen Laden aus, wo statt Kugeleis Keksteig verkauft wurde – ebenfalls in Kugeln und Waffeln. Wir nahmen jeder eine Kugel und löffelten sie auf einer kleinen Parkbank im Sonnenschein, aber schafften sie nicht, es war einfach zu süß.
Wir kürzten noch zwei Kilometer mit der Metro ab, um zum Ground Zero zu gelangen. Das Areal war unserer Meinung nach wirklich stilvoll angelegt. Wo die beiden Türme standen, befinden sich heute quaderförmige Becken im Boden, in die Wasser läuft. Um den Rand herum stehen die Namen der Opfer auf der Brüstung. Sicherheitsleute patrollieren mit Maschinengewehren bewaffnet auf dem Platz.
Wir liefen zum Battery Park an der Südspitze Manhattans, wo die Fähre nach Ellis Island und zur Freiheitsstatue ablegte. Es hätte zwar noch Tickets gegeben, aber um auf die Statue hinaufsteigen zu können, wie wir es eigentlich wollten, hätten wir schon vor Monaten Plätze reservieren müssen. Also ließen wir es bleiben und schauten nur einmal aus der Ferne hinüber, bevor wir weiter zur Wall Street liefen. Von dort waren es nur noch ein paar Schritte bis zur Brooklyn Bridge, und dann taten uns die Füße weh und wir beschlossen, dass wir genug für einen Tag gesehen hätten.
Am nächsten Morgen trafen wir uns morgens zum Brunch mit einer Deutschen, die ich vor vielen Jahren in Japan beim Sprachkurs kennengelernt hatte, und die jetzt in New York lebt. Anschließend fuhren wir wieder nach Manhattan, da wir zumindest einmal kurz den Central Park sehen wollten. Aus dem kurzen Besuch wurde ein halbtägiges Programm, da der Park ja nicht nur eine stattliche Größe von rund vier Quadratkilometern hat, sondern auch ganz schön überlaufen war, sodass man entsprechend langsam vorankam. Es gab auch wirklich viel zu sehen: eine Eisbahn, Pferdekutschen, Baseball spielende Menschen, ein Festival für Hundebesitzer und ihre vierbeinigen Lieblinge, Bronzeskulpturen von Alice im Wunderland über eine Huskystatue bis hin zu Büsten von Schriftstellern, mehrere Seen, teilweise mit kleinen Modell- oder echten Ruderbooten…
Da ich mir am Vorabend im Internet ein zeitgebundenes Ticket besorgt hatte, konnte ich zu Sonnenuntergang doch noch hinauf zum Observation Deck im 70. Stock des Rockefeller Centers fahren, von wo man eine tolle 360°-Sicht auf die ganze Stadt hatte. Das war auf jeden Fall ein würdiger Abschluss für den viel zu kurzen New York-Aufenthalt. Die Stadt hat ein tolles Flair und ich könnte mir vorstellen, wieder hierher zu kommen.
Damit endete unser Kurzaufenthalt in New York, denn am nächsten Tag hieß es schon packen und dann ab zum Flughafen. Alles klappte reibungslos; der Flieger startete pünktlich und wir verließen wieder einmal eine amerikanische Großstadt kurz bevor sich ein Attentat ereignete.
Da wir mit Iceland Air flogen, stiegen wir in Reykjavík um. Leider erfuhren wir erst aus der Werbung an Bord, dass wir einen kostenlosen Stoppover dort hätten machen können, also den Weiterflug erst mehrere Tage später antreten, ohne dass das Ticket teurer geworden wäre. Hätten wir das mal vorher gewusst… Aber es war wie es war, und wir wollten ja nun auch wirklich nach Hause. Und so schlossen wir den Kreis um den Globus, und damit war die große Reise nach dreizehneinhalb Monaten vorbei. Plötzlich sind wir in Frankfurt am Flughafen, wieder in Deutschland, und setzen uns in den Zug, um die letzten Stunden nach Hause zu fahren…
Auch wenn wir uns an sich auf zuhause freuen, ist die Stimmung doch insgesamt so trüb wie das graue Herbstwetter, mit dem uns Deutschland empfängt. Für ein Fazit ist es noch zu früh, es muss sich alles erstmal setzen. Für morgen stehen schon Besuche beim Einwohnermeldeamt und der Arbeitsagentur auf dem Programm, und dann muss erst einmal etwas Normalität einkehren… Ihr werdet auf jeden Fall noch einmal von uns lesen, wenn wir etwas zur Ruhe gekommen sind.
Bis dahin möchten wir euch, liebe Leserinnen und Leser, die uns seit über einem Jahr die Treue gehalten haben, schon schon einmal von Herzen danken. Eure Kommentare haben uns ermutigt, zum Lachen gebracht und das Gefühl gegeben, dass es tatsächlich noch jemanden außer uns interessiert, was wir so in der Weltgeschichte getrieben haben. Ohne eure Rückmeldungen wäre uns vermutlich schon vor langer Zeit die Lust am Schreiben ausgegangen, und dann hätten wir auch selbst nichts zum Lesen, wenn wir uns in naher oder ferner Zukunft mal zurückbesinnen wollen auf dieses große Abenteuer. Ohne euch hätte es diesen Blog nicht gegeben, oder zumindest nicht so umfangreich, und deshalb wart ihr auch ein wichtiger Teil dieser Reise für uns. Die meisten von euch werden wir, wenn ihr diese Zeilen lest, schon persönlich wiedergetroffen haben oder euch bald sehen, und darauf freuen wir uns jetzt ganz besonders, während der ICE die letzten zwei Stunden nach Dresden rollt… Bis bald!