New York, New York oder Diese Weltreise endet hier.

23. Oktober 2017, im Zug von Frankfurt/Main nach Dresden

Eine Zugfahrt, die ist lustig… Obwohl nicht mehr in Südostasien, war die Transkontinentalfahrt mit Amtrak sehr ereignisreich. Eigentlich begann das Abenteuer schon Tage bevor wir überhaupt den Bahnhof von Emeryville erreichten, welcher der nächstgelegene für San Francisco ist. In unserem Ticket war der Zubringerbus zum Bahnhof enthalten, aber wir wussten nicht so genau, wo er fährt. Die Google-Suche spuckte zwei verschiedene Adressen aus, die wir beide sicherheitshalber mal aufsuchten, und an beiden befand sich eine Amtrak-Haltestelle mit einem Fahrplan, aber auf dem Fahrplan stand unser Bus nicht drauf. Im Endeffekt brachte nur ein Anruf bei Amtrak Klarheit. Am Morgen der Abfahrt fanden wir uns rechtzeitig an der Bushaltestelle ein und es kam dann auch ein Bus, an dem aber nichts stand, nicht einmal ein Amtrak-Logo oder ähnliches. Nur durch Nachfragen beim Fahrer erfuhren wir, dass es unser Bus war. Das hätte bis dorthin schon einmal besser organisiert werden können.

Am Bahnhof von Emeryville auf der anderen Seite der Bucht angekommen, stellten wir fest, dass der Bahnhof nicht viel größer war als die Halle einer Autowerkstatt. Der Zugverkehr hat in den USA einfach nicht den gleichen Stellenwert wie in Europa. Und in bester Bahnmanier hatte der Zug Verspätung, wobei das Bahnhofspersonal nicht einmal so genau sagen konnte, wie viel. Eine Mitarbeiterin machte aber eine sehr umfangreiche Ansage darüber, dass sie nicht wüsste, wann der Zug kommt, dass wir nicht fragen kommen sollten, weil sie es nicht weiß, dass sie uns uns rechtzeitig Bescheid sagen würde, wenn der Zug kommt und dass andere Züge kämen, in die wir nicht einsteigen sollten, weil das nicht unser Zug ist. Die geschätzten anderthalb Stunden Verspätung wurden dann eher zu zwei Stunden, aber wir hatten ja Zeit, also störte es uns nicht. Wir erfuhren, dass der Zug am Vorabend wegen diverser technischer Defekte mit neun (!) Stunden Verspätung in San Francisco angekommen war und danach natürlich trotzdem die vorgeschriebene Ruhezeit für das Personal eingehalten werden musste, dass anscheinend die Strecke schon am nächsten Tag wieder zurückfuhr. Aber der Schaffner war optimistisch, dass wir die Verspätung wieder aufholen würden.

Und wieder vier Tage in einem Zug 🙂

Das Gegenteil war der Fall, wie sich schließlich zeigte. Fast eine Stunde büßten wir ein, als der defekte Lounge-Waggon aus der Zugmitte genommen und hinten angehängt werden musste. Einmal wurde eine Passagierin wegen eines Notfalls vom Rettungsdienst besucht, der sie schließlich auch mitnahm. Und last but not least verzögerte sich ein Halt, weil der Begleithund einer behinderten Passagierin erstmal draußen Pipi machen musste, bevor es weiterging…

Auch sonst war es eine sehr interessante Fahrt. Die ersten drei Tage bis nach Chicago hatten wir ja unsere Roumette, die wirklich nur ein Schuhkarton von einem Abteil war, gerade groß genug für zwei schmale Betten übereinander, aber dafür hatte man seine Ruhe. Mit den anderen Fahrgästen kam man dann bei den im Preis inbegriffenen Mahlzeiten im Speisewagen ins Gespräch, wo man immer mit anderen Gästen zusammen an einen Tisch platziert wurde. US-Amerikaner sind ja Meister im Small Talk, und so floss das Gespräch meistens ziemlich gut. Die große Mehrheit der Passagiere waren ältere Leute, die Zeit hatten und nicht gerne flogen. Warum sonst sollte man sich mehrere Tage Zugfahrt antun, wenn man die selbe Strecke in wenigen Stunden für einen Bruchteil der Kosten fliegen kann? Wir zogen den Altersdurchschnitt jedenfalls ganz schön nach unten. Das Essen war für Zugverhältnisse eigentlich ziemlich gut; es gab immer à la carte, und besonders die Desserts waren echt lecker. Noch dazu war die Landschaft im Westen wirklich herrlich, vor allem in Utah und Colorado, wo die roten und grünen Berge hoch aufragten und die Herbstlaubfärbung schon weit vorangeschritten war. Die Fahrt ist eigentlich zeitlich so angelegt, dass man durch die schönsten Gegenden bei Tageslicht fährt, aber durch die immer weiter zunehmende Verspätung sahen wir leider von den Rocky Mountains nicht mehr viel.

Blick aus dem Zug auf Utah…

…und Colorado.

Am Ende erreichten wir Chicago mit reichlich vier Stunden Verspätung. Wir mussten dort in einen anderen Zug umsteigen, hatten aber glücklicherweise sechs Stunden Aufenthalt gehabt, von denen nun immer noch zwei übrig waren. Von der Stadt konnten wir uns da natürlich nichts mehr anschauen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass es bereits dunkel war, aber immerhin hatten wir noch Zeit, uns Proviant für die nächsten 20 Stunden Fahrt nach New York zu kaufen. Für diesen Abschnitt hatten wir nämlich nur Sitzplätze, und damit auch keine Verpflegung mehr. Die Nacht im Sitzen war natürlich nicht so komfortabel wie in der Roumette, aber für eine Nacht ging es schonmal, und Snacks hatten wir auch genug. Ohne weitere Verspätung kamen wir am nächsten Abend, nach vier Tagen und drei Nächten, in Manhattan an, wo Frank Sinatras „New York, New York“ im Zug gespielt wurde und uns, kaum dass wir den Bahnhof verließen, ein unglaubliches Gewusel erwartete.

Wir schoben uns mit unseren Kraxen durch die Menschenmengen des ganz alltäglichen Feierabendverkehrs bis zur Metro und fuhren zu unserem AirBnB. Wir hatten ein ruhiges Zimmer bei einer spanischsprachigen Familie in Queens. Die Mutter unserer Gastgeberin, die uns herein ließ und alles zeigte, sprach kein Wort Englisch, aber mit Händen und Füßen verstanden wir so halbwegs, welcher von den fünf Schlüsseln wofür war und schafften es auch nach unserem Abendessen mit nur wenigen Minuten Fummelei, die zwei Haustüren wieder aufzuschließen.

Die Zeit in New York verging wie im Flug, es waren ja nur noch zwei volle Tage, und wir müssen auch ehrlich sagen, dass mittlerweile die Luft bei uns raus war und wir nicht mehr viel Lust hatten, Orte anzuschauen. Am ersten Tag schliefen wir erst einmal aus nachdem wir die Nacht zuvor im Zug nicht wirklich viel Schlaf bekommen hatten, und suchten uns dann eine kleine, jüdische Bäckerei in der Nachbarschaft, die die besten Cream Cheese-Bagel machte, die wir je gegessen haben. Danach fuhren wir mit der Metro ins südliche Manhattan und schauten uns die klassischen Reiseführer-Sehenswürdigkeiten an. Wir begannen am Rockefeller Center, auf das ich eigentlich hinauf wollte, aber es gab gerade keine verfügbaren Tickets, also liefen wir zum Times Square und ließen die überladende Atmosphäre aus Touristen, gigantischer Reklame und zuviel Verkehr auf uns wirken. Von dort liefen wir ein Stück den Broadway entlang, fuhren mit der Metro ins Uni-Viertel und probierten einen kleinen Laden aus, wo statt Kugeleis Keksteig verkauft wurde – ebenfalls in Kugeln und Waffeln. Wir nahmen jeder eine Kugel und löffelten sie auf einer kleinen Parkbank im Sonnenschein, aber schafften sie nicht, es war einfach zu süß.

Times Square

Großstadtdschungel, aber irgendwie doch charmant

Wir kürzten noch zwei Kilometer mit der Metro ab, um zum Ground Zero zu gelangen. Das Areal war unserer Meinung nach wirklich stilvoll angelegt. Wo die beiden Türme standen, befinden sich heute quaderförmige Becken im Boden, in die Wasser läuft. Um den Rand herum stehen die Namen der Opfer auf der Brüstung. Sicherheitsleute patrollieren mit Maschinengewehren bewaffnet auf dem Platz.

Das 9/11 Memorial

Wir liefen zum Battery Park an der Südspitze Manhattans, wo die Fähre nach Ellis Island und zur Freiheitsstatue ablegte. Es hätte zwar noch Tickets gegeben, aber um auf die Statue hinaufsteigen zu können, wie wir es eigentlich wollten, hätten wir schon vor Monaten Plätze reservieren müssen. Also ließen wir es bleiben und schauten nur einmal aus der Ferne hinüber, bevor wir weiter zur Wall Street liefen. Von dort waren es nur noch ein paar Schritte bis zur Brooklyn Bridge, und dann taten uns die Füße weh und wir beschlossen, dass wir genug für einen Tag gesehen hätten.

Na, wer erkennt sie aus der Ferne?

Hier wird das große Geld gemacht…

Brooklyn Bridge

Am nächsten Morgen trafen wir uns morgens zum Brunch mit einer Deutschen, die ich vor vielen Jahren in Japan beim Sprachkurs kennengelernt hatte, und die jetzt in New York lebt. Anschließend fuhren wir wieder nach Manhattan, da wir zumindest einmal kurz den Central Park sehen wollten. Aus dem kurzen Besuch wurde ein halbtägiges Programm, da der Park ja nicht nur eine stattliche Größe von rund vier Quadratkilometern hat, sondern auch ganz schön überlaufen war, sodass man entsprechend langsam vorankam. Es gab auch wirklich viel zu sehen: eine Eisbahn, Pferdekutschen, Baseball spielende Menschen, ein Festival für Hundebesitzer und ihre vierbeinigen Lieblinge, Bronzeskulpturen von Alice im Wunderland über eine Huskystatue bis hin zu Büsten von Schriftstellern, mehrere Seen, teilweise mit kleinen Modell- oder echten Ruderbooten…

Central Park – die grüne Lunge des Großstadtmolochs

Da ich mir am Vorabend im Internet ein zeitgebundenes Ticket besorgt hatte, konnte ich zu Sonnenuntergang doch noch hinauf zum Observation Deck im 70. Stock des Rockefeller Centers fahren, von wo man eine tolle 360°-Sicht auf die ganze Stadt hatte. Das war auf jeden Fall ein würdiger Abschluss für den viel zu kurzen New York-Aufenthalt. Die Stadt hat ein tolles Flair und ich könnte mir vorstellen, wieder hierher zu kommen.

Aussicht vom Rockefeller Center: direkt gegenüber das Empire State Building

Der berühmte Blick auf den Central Park wird leider gerade von einem neuen Wolkenkratzer verbaut, den ich hier bewusst nicht mit fotografiert habe; er entsteht direkt hinter dem linken Bildrand.

Damit endete unser Kurzaufenthalt in New York, denn am nächsten Tag hieß es schon packen und dann ab zum Flughafen. Alles klappte reibungslos; der Flieger startete pünktlich und wir verließen wieder einmal eine amerikanische Großstadt kurz bevor sich ein Attentat ereignete.

Da wir mit Iceland Air flogen, stiegen wir in Reykjavík um. Leider erfuhren wir erst aus der Werbung an Bord, dass wir einen kostenlosen Stoppover dort hätten machen können, also den Weiterflug erst mehrere Tage später antreten, ohne dass das Ticket teurer geworden wäre. Hätten wir das mal vorher gewusst… Aber es war wie es war, und wir wollten ja nun auch wirklich nach Hause. Und so schlossen wir den Kreis um den Globus, und damit war die große Reise nach dreizehneinhalb Monaten vorbei. Plötzlich sind wir in Frankfurt am Flughafen, wieder in Deutschland, und setzen uns in den Zug, um die letzten Stunden nach Hause zu fahren…

Auch wenn wir uns an sich auf zuhause freuen, ist die Stimmung doch insgesamt so trüb wie das graue Herbstwetter, mit dem uns Deutschland empfängt. Für ein Fazit ist es noch zu früh, es muss sich alles erstmal setzen. Für morgen stehen schon Besuche beim Einwohnermeldeamt und der Arbeitsagentur auf dem Programm, und dann muss erst einmal etwas Normalität einkehren… Ihr werdet auf jeden Fall noch einmal von uns lesen, wenn wir etwas zur Ruhe gekommen sind.

Bis dahin möchten wir euch, liebe Leserinnen und Leser, die uns seit über einem Jahr die Treue gehalten haben, schon schon einmal von Herzen danken. Eure Kommentare haben uns ermutigt, zum Lachen gebracht und das Gefühl gegeben, dass es tatsächlich noch jemanden außer uns interessiert, was wir so in der Weltgeschichte getrieben haben. Ohne eure Rückmeldungen wäre uns vermutlich schon vor langer Zeit die Lust am Schreiben ausgegangen, und dann hätten wir auch selbst nichts zum Lesen, wenn wir uns in naher oder ferner Zukunft mal zurückbesinnen wollen auf dieses große Abenteuer. Ohne euch hätte es diesen Blog nicht gegeben, oder zumindest nicht so umfangreich, und deshalb wart ihr auch ein wichtiger Teil dieser Reise für uns. Die meisten von euch werden wir, wenn ihr diese Zeilen lest, schon persönlich wiedergetroffen haben oder euch bald sehen, und darauf freuen wir uns jetzt ganz besonders, während der ICE die letzten zwei Stunden nach Dresden rollt… Bis bald!

California Sunset

Hallo ihr Lieben, unsere letzten Beiträge über die Canyons Arizonas und die Wüste Nevadas liegen zwar erst zwei Tage zurück, aber hier ist schon der nächste Eintrag. Wir waren fleißig. 😉

16. Oktober 2017, San Francisco/Kalifornien

Seit vier Tagen sind wir autofrei und verdammt glücklich darüber. Eigentlich wollten wir in Kalifornien nur noch drei Nationalparks besuchen, aber irgendwie artete das dann doch wieder in mehr Fahrerei aus als gedacht. Eigentlich hätte uns das nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht mal mehr überraschen sollen.

Mit einer Übernachtung in einem größeren Ort namens Ridgecrest erreichten wir den Sequoia-Nationalpark. Sequoias gehören zu den größten Bäumen der Welt und wachsen hoch oben in den Bergen der Sierra Nevada. Beim Anblick der riesigen Stämme wurde uns bewusst, wie lange wir nun in der Wüste gewesen waren, wo uns die Vegetation selten überragt hatte. Hinauf, hinauf, hinauf führte die Fahrt in engen Serpentinen, bis wir einen tollen Blick auf die bewaldeten Berghänge hatten und das Auto stehen ließen, um zwischen den Baumriesen wandern zu gehen.

Traumhafte Aussicht auf die kalifornische Sierra Nevada

Auch hier wieder keine Bären, aber einmal sahen wir etwas, das ein Otter oder ein Murmeltier hätte sein können, es war leider zu weit entfernt. Die Sonne schien, es war warm und trocken und sehr friedlich. Wir verrenkten uns den Nacken, um bis in die Wipfel der Baumgiganten zu schauen, die mit ihren dicken, astlosen Stämmen bestens an die häufigen Waldbrände in den trockenen Bedingungen der Sierra angepasst sind. Wir lernten, dass Feuer sogar überlebenswichtig für die Sequoias ist, da sich die Samen ihrer Zapfen nur unter extremer Hitze öffnen. Die jungen Bäumchen wachsen danach sehr schnell auf eine große Höhe und bilden erst weit oben Äste aus. Ihre Rinde ist bis zu zehn Zentimetern dick und bietet ihnen damit Schutz vor dem Feuer. Tatsächlich sahen wir kaum einen Baum, der nicht auf den unteren Metern schwarz verkohlt war.

Sequoias, auch Mammutbäume genannt

Sequoias sind riesig im Stehen…

….. und im Liegen.

Nur eine Tagesfahrt entfernt lag der benachbarte Yosemite-Nationalpark, den wir uns natürlich nicht entgehen lassen wollten. Die Straße führte bergauf und bergab, um viele Kurven, durch Wälder und Täler, an steilen Hängen entlang, und wie so oft in den USA suchte man eine Leitplanke vergebens. Nicht selten trennte uns nur die weiße Randlinie von einem mehrere hundert Meter tiefen Abgrund, und das meine ich wortwörtlich. Da war kein Seitenstreifen mehr; die Fahrbahn endete exakt mit der Linie. Dafür, dass man sich in den venezianischen Gondeln in Las Vegas anschnallen musste, haben sie es in anderen Bereichen wie dem Straßenverkehr nicht unbedingt mit der Sicherheit.

Aber wir kamen gut an und folgten der Schlängelstraße hinunter ins Yosemite Valley, dem Kern des Nationalparks, das in der letzten Eiszeit von Gletschern aus dem Fels gegraben wurde. Bei bestem Wetter bestaunten wir die atemberaubend hohen Granitwände von El Capitan und Half Dome, die über eintausend Meter hoch senkrecht in den Himmel aufragen, und liefen durch das Tal zu den Yosemite Falls, die leider wegen Wassermangels nicht sehr beeindruckend waren. Im Frühjahr, wenn sie vom Schmelzwasser des Schnees gespeist werden, müssen sie ein gewaltiges Bild abgeben, gehören sie doch mit ihren fast 750 Metern zu den höchsten Wasserfällen der Welt.

Yosemite Valley

Unterer Teil der Yosemite Falls

El Capitan (rechts), eines der Wahrzeichen des Parks

Unsere Übernachtung mussten wir wieder einmal aus Kostengründen auslagern und hatten aufgrund der kurvigen Straßen und mehrerer Baustellen rund anderthalb Stunden Anfahrt bis in ein Kaff namens Coarsegold, wo sich zwar nicht Fuchs und Hase gute Nacht sagten, aber dafür die Kojoten nach Einbruch der Dunkelheit fast direkt vor der Moteltür heulten.

Am nächsten Tag fuhren wir den ganzen Weg wieder zurück in den Park, um wandern zu gehen. Diesmal ging es aber nicht hinunter ins Tal, sondern hinauf zum Glacier Point, der gut tausend Meter über dem Tal lag. Aber schon bevor wir überhaupt den Wanderparkplatz erreichten, warnten Schilder vor schlechter Sicht durch Waldbrände und dann dauerte es nicht mehr lange, bis wirklich die ganze Straße eingeräuchert war. In dieser Gegend sind Waldbrände eine ganz natürliche Erscheinung. Wurden die Brände früher gelöscht, weiß man inzwischen, dass man es damit nur schlimmer macht. Das Feuer vernichtet hier in erster Linie das Unterholz, während die großen Bäume wie Sequoias nicht brennen. Wird das Unterholz nicht regelmäßig durch kleine Brände gerodet, akkumuliert sich mit der Zeit eine solche Menge davon, dass ein Feuer irgendwann verheerende Ausmaße annehmen kann. Daher werden kleine Feuer nur überwacht. Für uns war es nun Pech, denn bei dem Qualm wollten wir nicht wandern gehen. Stattdessen fuhren wir nur bis zum Aussichtspunkt über das Yosemite Valley, der uns dafür aber mit fantastischen Blicken über den Park entschädigte. Zudem sahen wir am Horizont ziemlich dunkle Wolken aufziehen. Wir hatten jetzt seit Wochen nur Sonnenschein und tiefblauen Himmel, sodass wir nicht einmal auf die Idee gekommen waren, nach dem Wetter zu schauen. Im Endeffekt war es dann doch Glück, dass wir nicht wandern gegangen waren, denn es dauerte nicht lange, bis es anfing zu regnen und dann zu schütten.

Blick vom Glacier Point; links der Half Dome.

Tausend Meter unterhalb liegt das Yosemite Valley.

Da waren wir aber schon im nächsten Ort, wo wir eine Jugendherberge ausfindig gemacht hatten und mal wieder die Annehmlichkeiten einer Küche nutzten, um etwas anderes zu essen als Tütensuppe aus der Mikrowelle (okay, Spaghetti mit Tomatensauce, aber trotzdem!). Das Hostel bestand aus mehreren kleinen Häusern, von denen wir eines ganz für uns hatten, da nicht viele Gäste da waren; es war, als ob wir zumindest für eine Nacht unser eigenes Einfamilienhäuschen in der Sierra Nevada hätten, sehr gemütlich.

Jamestown, ein Wild West-Städtchen wie aus dem Bilderbuch, wo wir ebenfalls eine Nacht nahe Yosemite verbrachten.

Als am nächsten Morgen wieder in altvertrauter Manier die Sonne schien, starteten wir einen erneuten Wanderversuch, allerdings in einer anderen Gegend des Nationalparks. An einem Stausee mit dem etwas kuriosen Namen Hetch Hetchy gab es einen wunderschönen Weg auf halber Höhe entlang der Felswand zu zwei Wasserfällen, von denen aber aufgrund der Jahreszeit nur einer Wasser führte. Die Aussicht auf die Felsen und den See war wunderschön, und wir sahen schuppige Geckos und wieder viele Ziesel, eine Art Hörnchen, die vorwiegend auf dem Boden leben.

Hetch Hetchy Reservoir

Wir haben die kleinen Zwiesel hier wirklich ins Herz geschlossen.

Das war ein schöner Abschluss für Yosemite, bevor es mal wieder Autofahren hieß (merkt man, dass wir es allmählich satt haben?). Klar, wir hätten auch noch in der Gegend bleiben können, aber der Redwood-Nationalpark stand schon so lange auf unserer Wunschliste und immerhin lag er doch im selben Bundesstaat… Am Ende waren es zwei volle Tage Fahrt bis dorthin – Kalifornien ist echt groß, und die Baustellen trieben uns die Wände hoch. So viele Straßen gibt es ja nicht, und wenn da mal eine nicht befahrbar ist, hat man ein echtes Problem. Unser Highway sollte laut einer elektronischen Anzeigetafel gesperrt sein, aber es stand nicht darauf, wo die Baustelle lag und wo die Umleitung entlang führte. Im Endeffekt standen wir plötzlich vor einer Frau mit Stoppschild, die uns in ruppigem Ton mitteilte, dass das jetzt hier die Baustelle sei, die nächste Öffnung für den Verkehr in drei Stunden stattfände uns es keine Umleitung gäbe… Na klasse. Hätte man das nicht vorher irgendwo hinschreiben können? Drei Stunden im Wald warten wollten wir nicht, also fuhren wir zurück und auf einen anderen Highway. Diese Strecke, die als einziges als so eine Art Umleitung durchgehen konnte, war 120 Kilometer länger und, Überraschung, auch wegen einer Baustelle mehrere Stunden am Tag gesperrt. Grrrrr! Aber zumindest hatte man hier intelligenterweise am Anfang der Straße ein Schild mit all diesen Informationen aufgestellt. Nochmal umkehren hatte keinen Sinn, also gingen wir in der Zeit Mittag essen und bis wir fertig waren, war die Straße wieder offen. Erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichten wir Crescent City, den Ausgangspunkt für die Redwoods.

Dafür entschädigten uns die riesigen Redwoods, die wohl mit den Sequoias um den Rang der höchsten Bäume der Welt konkurrieren. Redwoods sind schmaler und ihre Äste setzen niedriger an, aber sie sind nicht minder beeindruckend. Da sie in den feuchten Küstenregionen Kaliforniens gedeihen, werden sie seltener Opfer von Waldbränden und ihre Wälder sind sattgrün. Wir wanderten zwei verschiedene Wege im Schatten der Baumriesen entlang, einen vormittags und einen nachmittags, und dann ging ich allein noch einen ganz früh am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang, wo es unglaublich still und friedlich war.

Impressionen aus…

…dem Redwoods Nationalpark…

…wo es viele große Bäume gibt. 😉

Eine Tagesfahrt südlich quartierten wir uns in Fort Bragg, einem kleinen Städtchen an der Pazifikküste ein, wo wir uns nochmal ein bisschen von der Fahrerei erholen wollten. Wir verbrachten zwei Tage dort; es gab einen hübschen, historischen Ortskern an und einen Wanderweg entlang der Klippen, der leider noch nicht fertig angelegt und daher nicht durchgehend war, wie ich auf halber Strecke feststellen musste – also den ganzen Weg wieder zurück und am nächsten Tag nochmal von der anderen Seite entlanggelaufen. Beachtenswert war der Glass Beach: einst eine Mülldeponie, besteht der Strand heute größtenteils aus vom Meer glattgeschliffenen Glasstückchen in allen Größen, Formen und Farben. Zahlreiche Sammler saßen auf Felsen und angeschwemmten Baumstämmen und suchten nach besonders schönen Fundstücken.

In Fort Bragg war der Smog durch die Waldbrände im nahen Napa Valley so dicht, dass man teilweise das Meer von den Klippen aus kaum sah…

Glass Beach

Von Fort Bragg aus fuhren wir den Küstenhighway nach Süden bis nach Sausalito vor den Toren San Franciscos. Nur die Golden Gate Bridge trennte uns noch von unserem Ziel, aber wir verbrachten die Nacht in einer Jugendherberge in den Marin Headlands, einem Landschaftsschutzgebiet nördlich der Brücke, von wo aus man auch beste Sicht auf den Sonnenuntergang über dem Pazifik hatte. Dieser war leider sehr getrübt vom Smog der verheerenden Brände im nicht weit entfernten Napa Valley, von dem ja auch in den deutschen Nachrichten zu hören war.

Entlang der Küstenstraße nach Süden.

Die berühmte Golden Gate Bridge.

California Sunset in Sausalito, beinahe unheimlich im Dunst der Rauchschwaden

Am nächsten Morgen fuhren wir über die Golden Gate-Brücke, was wirklich ein tolles Erlebnis war. Bis zum Flughafen war es nur eine Stunde Fahrt durch die Stadt, und dort gaben wir endlich unser Auto ab, das wir irgendwann mal auf den Namen Blacky getauft hatten. Reichlich 10.000 Kilometer, also ein Viertel um den Äquator, sind wir in sechs Wochen gefahren. Von der Anstrengung mal abgesehen, waren wir auch nicht sonderlich zufrieden mit dem Auto. Ölwechsel, Reifendruck-Warnlampe, Brems-Warnlampe, und bei Regen hatte man das Gefühl, die Tropfen schlagen jeden Moment durch das Pappdach des Autos. Ständig schien irgendetwas zu sein, und besonders in Anbetracht des 2017er Baujahres war das nicht besonders beruhigend – so ein neues Auto hätte doch eigentlich tadellos in Ordnung sein müssen? Vielleicht muss es erstmal eingefahren werde… Wir waren jedenfalls mehr als froh, es endlich loszuwerden und mit der Metro in die Stadt zu fahren, wo wir für die nächsten vier Nächte zwei Betten im Schlafsaal eines Hostels gebucht hatten.

San Francisco

Noch am Nachmittag machte ich einen ersten Stadtbummel – unser Hostel hatte wirklich eine super Lage direkt im Zentrum, in Laufentfernung vieler interessanter Stadtviertel und Sehenswürdigkeiten. Damit verbrachten wir im Prinzip unsere gesamte Zeit in der Stadt. Einen Tag schlenderten wir durch Japantown, also die japanische Version von Chinatown, wo es unglaublich faszinierende Läden und sehr authentische Restaurants gab. Einen Tag trennten wir uns und während Kathrin im Hostel eine ruhige Kugel schob, besuchte ich Castro Town, das Viertel wo die Schwulen- und Lesbenbewegung ihren Anfang nahm, und das dort gelegene GLBT-Museum. Nachmittags trafen wir uns zu einem späten Mittag- bzw. zeitigen Abendessen (auch Linner genannt, sozusagen das Nachmittagsbrunch) in der Cheesecake Factory. Wer wie ich dachte, dass es sich dabei um eine Fabrik für Käsekuchen handelt, liegt falsch. Es ist eine Restaurantkette, die für all ihr Essen – süß wie herzhaft – berühmt ist. Obwohl es sich um eine Kette handelt, gibt es nicht viele Filialen – in San Francisco nur die eine, weshalb man dort mindestens eine halbe Stunde wartet, um platziert zu werden, und das ist noch kurz. Aber das Essen war auch wirklich lecker. Kathrin aß einen opulenten Salat mit Grünzeug, Birne und Heidelbeeren, und ich ein Stück Cheesecake – wenn wir schonmal in der Cheesecake Factory waren und es Auswahl aus über zwanzig verschiedenen Sorten Käsekuchen gab. Ich entschied mich für Tiramisu-Cheesecake mit warmem Fudge, was so eine Art Schokosauce war, unglaublich lecker und in sich schon eine Mahlzeit. Für Kathrin gabs dann noch ein Stück Chocolate Tuxedo Silk Cheesecake zum Nachtisch.

San Franciscos typische Stadthäuser

In Japantown fühlten wir uns wirklich ins Land der aufgehenden Sonne versetzt.

Die Regenbogenflaggen sind das Wahrzeichen von Castro Town, dem schwulen Szeneviertel.

Auch sonst ist die Stadt…

…sehr bunt und charmant.

Impression aus Chinatown; wie auch in China hatten wir hier keine Ahnung, was in all den Gläsern und Tüten eigentlich verkauft wird…

Am nächsten Morgen spazierten wir durch Chinatown und Little Italy bis zum Hafen, wo wir eine Weile die Seelöwen am berühmten Pier 39 beobachteten, die dort frei leben und sich weder von Touristen noch dem regen Bootsverkehr stören lassen. Nur eine fünfzehnminütige  Bootsfahrt entfernt lag die Gefängnisinsel Alcatraz, deren berühmtester Insasse Al Capone war, wie Kathrin auf einer Tour erfuhr. Das Gefängnis war eher eine Art Zuchthaus; wer dort endete, sollte in Stille über seine Taten nachdenken (die meiste Zeit des Tages bestand Schweigepflicht in den winzigen Zellen) und war nicht tauglich für reguläre Gefängnisse. Al Capone beispielsweise, der übrigens letztendlich wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde – keine seiner anderen Taten konnte ihm je nachgewiesen werden – hatte im normalen Gefängnis mehr Einfluss als die Wärter gehabt, seine Zelle mit einem Perserteppich eingerichtet und sich sein Essen von außerhalb liefern lassen, da ihm das Gefängnisessen nicht zusagte (vermutlich zurecht). Es gab natürlich auch immer wieder Ausbruchsversuche in Alcatraz, und bei einigen Vermissten weiß man bis heute nicht, ob sie es über die Bucht geschafft haben oder ertrunken sind. Geflohen 1939, werden drei Herren noch immer gesucht – die Fahndung läuft, bis sie 99 Jahre alt sein müssten.

Die Gefängnisinsel Alcatraz

Die Zellen waren winzig.

Meinereins erklomm in der Zeit den Telegraph Hill mit Aussicht auf Bay Bridge, Golden Gate und Alcatraz sowie die Lombard Street, auf der die Autos sich in engen Kurven den Hang hinab schlängeln. San Francisco ist sehr bergig, kein Spaziergang führte durch ebenes Gelände, und teilweise war die Steigung so steil, dass es statt Fußwegen Treppen gab! Mit der berühmten Cable Car fuhren wir am Ende nicht, sahen sie aber oft (im Stau stehend), vollgepackt mit Touristen, die allesamt draußen auf den Trittbrettern mitfuhren, während drin noch viele Plätze frei waren.

Alles in allem hatten wir wirklich eine schöne Zeit in San Francisco; die Stadt hat sehr viel Charme und selbst wenn man nur durch die verschiedenen Viertel läuft, gibt es schon so viel zu sehen, dass man sich tagelang beschäftigen kann.

Nun, während ich diesen Eintrag schreibe, sind wir auf dem Weg zu unserem letzten Ziel, New York. Und wir beenden unsere große Reise, wie wir sie begonnen haben: mit einer langen Zugfahrt. Vier Tage und drei Nächte werden wir jetzt unterwegs sein, mit einem Umstieg in Chicago, einmal quer durch die USA. Wir haben für die ersten drei Tage/zwei Nächte eine Roumette, sozusagen ein Zweibett-Abteil, wo wir tagsüber sitzen können und nachts zwei Betten übereinander haben. Es sind sogar alle Mahlzeiten im Preis inklusive; wir waren vorhin schon Mittag essen und es gab sogar Nachtisch. 🙂 Nun werden wir die Füße hochlegen und die Seele baumeln lassen, während die Landschaft an uns vorüberzieht und wir drei Zeitzonen bis zur Ostküste passieren…

Fatamorgana in der Wüste, oder: Wo die Mäuse auf dem Tisch tanzen

Auch heute gibt es wieder mehrere Einträge für euch. Hier ist Eintrag Nummer 2. 🙂

30. September 2017, Lindsay/Kalifornien

Bei Las Vegas denken viele wohl jetzt nicht mehr zuerst an Glücksspiel und ausgefallene Hotelkomplexe, sondern an das schreckliche Massaker, das sich nur wenige Tage nach unserer Abreise dort ereignete. Wir verließen Vegas wohl justament an dem Tag, als der Todesschütze im Mandalay-Hotel eincheckte, wie wir wenige Tage später aus den Nachrichten erfuhren. Davon bekamen wir zum Glück nichts mehr mit und hörten es tatsächlich zuerst von Freunden aus Deutschland. Als wir die Stadt besuchten, war die Welt noch in Ordnung.

Rückblickend kann ich nur staunen, dass wir es tatsächlich mit dem Auto in das Moloch von Las Vegas geschafft haben. Seit Wochen waren wir auf meist zweispurigen (eine pro Richtung) Highways durch Rinderweiden und Berglandschaften gefahren, und nun fanden wir uns auf einmal in der vierten Spur von sieben, in einem Land, wo links und rechts überholt werden darf und wo man ein Verkehrshindernis darstellt, wenn man die Höchstgeschwindigkeit einhält. Aber irgendwie kamen wir ohne Zusammenstöße bis zu unserem Motel, das in Laufentfernung zum Las Vegas Boulevard mit all den skurrilen Glitzerhotels lag.

Vegas, Baby!

Umgeben von der Wüste Nevadas ist die Stadt wirklich wie eine Fata Morgana, erstreckt sich endlos in die hellbraune Einöde und hat sich aus irgendeinem Grund zur Spielhölle der USA entwickelt. Der Strip erinnert ein bisschen an Disneyland, nur dass er in erster Linie aus Hotels mit angeschlossenen Kasinos besteht, aber es gibt auch hier Achterbahnen, verschiedenste künstliche Attraktionen und jede Menge kostümierte Darsteller, mit denen man sich gegen einen kleinen Obolus fotografieren lassen kann – von Elvis über sehr leicht bekleidete Sambatänzerinnen bis hin zu Pikachu. Die vierstöckige M&M-World liegt gleich neben der Coca Cola-World und gegenüber einer verkleinerten Version der New Yorker Brooklyn Bridge. Zwischen den Casinos wird Daiquiri in allen denkbaren Geschmacksrichtungen in Flaschen verkauft, die in ihrer Form an Wasserpfeifen erinnern, aber mehrere Liter Flüssigkeit fassen. Auf riesigen Plakaten sieht man Werbung für alles von Sternerestaurants über Zaubershows (David Copperfield ist immer noch groß im Geschäft) bis hin zur Blue Man Group und Zirkus (es gibt hier sogar eine Ü18-Variante des Cirque du Soleil). Unser kleiner Spaziergang den Strip entlang führte vorbei an verschiedenen Hotelresorts mit so klangvollen Namen wie Luxor, Excalibur oder Caesars Palace, dazwischen fanden sich der Tierpark von Siegfried und Roy ebenso wie Madame Tussauds oder das Paris Hotel mit Repliken des Eiffelturms und des Triumphbogens. Am Bellagio Hotel schauten wir uns die Wasserfontänenshow an (einmal tagsüber und einmal im Dunkeln), am Mirage spuckte ein künstlicher Vulkan abends Feuer bis zu 30 Meter hoch, und am Venetian führte eine nachempfundene Rialtobrücke über ein paar kleine Kanäle, auf denen man sich sogar in schwarzen, venezianischen Gondeln entlang schippern lassen konnte, während die nicht italienischen Gondolieres Arien schmetterten und wir nicht darüber hinweg kamen, dass in den Gondeln tatsächlich Anschnallpflicht bestand. Davon abgesehen, dass das Wasser bestenfalls einen Meter tief war, wäre nicht eine Schwimmweste hilfreicher als ein Gurt, mit dem die Insassen nach dem Kentern kopfunter an die Gondel gekettet sind? Nun ja, wir werden den Sinn dahinter wohl nie erfahren.

Kasinos und allerlei Amusement…

Die Wasserfontänenshow am Bellagio

Die Gondeln in Klein-Venedig

In die Kasinos gingen wir nicht, außer eines, wo wir mal hindurch liefen um es wenigstens einmal gesehen zu haben. Sonderlich einladend sind sie ohnehin nicht, so ohne Tageslicht, und Geld zum Verspielen haben wir auch keines mehr, also begnügten wir uns damit, den Strip ein Stück hoch und wieder hinunter zu laufen, und die Eindrücke auf uns wirken zu lassen. Das war auch nebenbei schon eine Wandertour von locker zwölf Kilometern, da jedes Resort riesig ist und man zudem einige Umwege über Fußgängerbrücken in Kauf nehmen musste.

Ausbruch des künstlichen Vulkans am Mirage Hotel

Zurück in unserem bescheidenen kleinen Motel am Rande des Highways fütterten wir die Maus in unserem Zimmer, die wir am Vorabend schon hatten rascheln hören. Ja ja, Mäuse sind Schädlinge, und das Management wäre wahrscheinlich wenig erfreut, dass wir auch noch unsere Kräcker mit ihr teilten, aber sie war sooo klein und sooo niedlich. Dass sie sich unserer großzügigen Spende zum Trotz noch kräftig an unseren Bageln bediente, bemerkten wir erst ein paar Tage später, als wir das Loch in der Packung (und entsprechend im untersten Bagel) entdeckten. Dabei hatten wir die Bagel auf dem Tisch gelagert und können uns nur wundern, wie sie mit Überhangkletterei das glatte Tischbein hochgekommen ist, aber irgendwie muss sie es geschafft haben.

Unseren zweiten Tag in Vegas verbrachten wir in einer Autowerkstatt, da unser Mietwagen anzeigte, er müsse gewartet werden. Vermutlich war es nur ein Ölwechsel, der nach einer bestimmten Anzahl gefahrener Meilen ohnehin fällig war, aber wir mussten trotzdem erst einmal die Genehmigung des Vermieters einholen, was in ein fast halbstündiges Telefonat ausartete, und dann hatte die Werkstatt natürlich auch nicht nur auf uns gewartet. Ein paar Stunden später war aber alles erledigt und wir konnten mit frischen Öl weiterfahren in die Wüste. Da unser nächstes Ziel Death Valley hieß, fühlten wir uns schon besser, wenn nicht bei jedem Motorstart das Wartungslämpchen aufleuchtete.

Wir verließen Sodom und Gomorrha Las Vegas und fuhren gen Westen, wo wir uns in der Kleinstadt Pahrump in einem Kasino-Hotel einquartierten – es war das günstigste in der Gegend, und wir widerstanden der (zugegeben ohnehin sehr kleinen) Versuchung des Glücksspiels. Statt auf Zahlen im Roulette setzten wir darauf, dass unser Auto uns in der Einöde des Todestals nicht im Stich lassen würde, denn wir hatten da schon Horrorgeschichten gehört, von geschmolzenen Bremsbelägen zum Beispiel.

Das Death Valley verdankte seinen unheilvollen Namen ursprünglich dem einen Unglücklichen, der bei der ersten Expedition dort ums Leben kam. Da hatte der Colorado River bei seiner Erforschung durch weiße Abenteurer eine wesentlich höhere Todesrate und trotzdem hat ihn niemand Death Canyon genannt. Aber sei’s drum. Der Name flößt Respekt ein, und tatsächlich fordern die Temperaturen jedes Jahr Todesopfer unter schlecht vorbereiteten Touristen. So gut ausgestattet wie wir nur konnten – mit Extrakanister Wasser, Essen und vollem Tank – machten wir uns auf in den Nationalpark. Die Fahrt dorthin war die einsamste, die wir bisher in den USA erlebt hatten. Nur alle paar Minuten kam mal ein anderen Fahrzeug entgegen, was aber besser war als nichts. Wenn man hier liegen bleibt, kann man nicht einmal Hilfe rufen, da es kein Handynetz gibt, deshalb war es auch nebensächlich, dass wir keine lokale Simkarte hatten. Wir hofften einfach auf’s Beste.

Death Valley: Weite, Leere, Stille.

Erst gegen vier Uhr nachmittags erreichten wir die Ausläufer von Death Valley; wir waren bewusst spät aufgebrochen in der Hoffnung, dass die größte Mittagshitze schon vorüber wäre. Wandern wollten wir hier ohnehin nicht gehen. Nun ja, was soll man sagen, es war heiß. Es war unfassbar heiß. Selbst als zwei Stunden später die Sonne unterging, zeigte das Thermometer noch 37 Grad. Death Valley liegt mehr als 80 Meter unter Meeresniveau, ist damit der niedrigste Punkt Nordamerikas und wir müssen froh sein, dass es nur 37°C waren. Der höchste jemals gemessene Wert lag bei 57°C und die Oberflächentemperaturen können über 90°C erreichen.

Trotz dieser Extreme ist der Nationalpark so ziemlich der schönste (finde ich zumindest), den wir in den USA gesehen haben. Auf beiden Seiten des gewaltigen, mehrere Kilometer breiten Tales ragen teils schwarze, teils bunt gescheckte Berge in die Höhe, die alle Farben von Rottönen über Violett bis hin zu Blau und Grün aufweisen. Die spärliche Vegetation besteht aus kleinen Büschen mit silbrig schimmernden Blättern und am Boden des Tales fließt ein unterirdischer Fluss, dessen Lauf man nur an der weißen Salzschicht erkennt, die sich dort aus dem verdunstenden Wasser ablagert. Aus der Höhe betrachtet scheint es, als ob sich ein Fluss aus Salz durch das Tal windet. An einer Stelle liegt auch ein großer Salzsee.

Auf „in“ den Salzsee!

Bunte Felsen am Straßenrand.

Nach Sonnenuntergang machten wir ein Picknick am Zabriskie Point, einem der eindrucksvollsten Aussichtspunkte, der umgeben von bunt gestreiften Bergen hoch über dem Tal lag, und warteten darauf, dass die Sterne aufgingen. Die anwesenden Touristen fuhren nach und nach davon, bis nur noch wir beide übrig waren. Es war immer noch angenehm warm und kein Lüftchen ging. Wenn etwas noch beeindruckender war als die Weite und die Farbenpracht, dann war es die absolute, tiefe Stille dieses Ortes. Nicht einmal aus der Ferne waren irgendwelche Geräusche zu vernehmen, nur gelegentlich ein Auto, aber wenn es vorüber gefahren war, hörte man das Rauschen des Blutes in den eigenen Ohren, und einmal die Klicklaute einer dicht vorbeifliegenden Fledermaus. Es war unglaublich friedlich. Schließlich wurde es dunkel genug, dass man unzählige Sterne und sogar die Milchstraße ausmachen konnte, auch wenn der hell leuchtende Halbmond dafür sorgte, dass wir nur einen Bruchteil sahen. Dafür brauchten wir auf dem Weg zurück zum Parkplatz nicht einmal eine Taschenlampe, wir konnten sogar unsere Schatten im Mondlicht deutlich sehen.

Die feine weiße Linie vor den Bergen ist der Salzfluss.

Mondaufgang am Zabriskie Point

Nach viel zu wenig Schlaf fuhren wir am nächsten Morgen um sechs schon wieder los, um der Hitze zuvorzukommen. Während der Park im Sonnenaufgang zu neuem Leben erwachte, sahen wir einige der Bewohner, die den neuen Tag begrüßten, sich aufwärmten und Frühstück suchten. Nachdem wir am Vorabend schon einen großen Hasen am Straßenrand entdeckt hatten, erblickten wir diesmal einen Koyoten in der Prärie, und auf dem Parkplatz am hoch über dem Tal gelegenen Dante’s Viewpoint stakste ein neugieriges Chukarhuhn, ein Verwandter des Fasans, um unser Auto, vermutlich auf der Suche nach Insekten, die im Kühlergrill hängen geblieben waren. Nichtsahnend fuhren wir die Straße zurück hinab ins Tal und dachten zuerst, dass da ein Stein auf der Fahrbahn läge. Aber bei näherem Hinsehen entpuppte es sich als riesige Spinne – die sollten nicht so groß sein, dass man sie aus dem fahrenden Auto noch erkennt. Als wir anschließend im Besucherzentrum nachfragten, erfuhren wir, dass es sich tatsächlich um eine Tarantel handelte, und später am Tag sahen wir noch eine. Gruselig. Zum Glück blieben uns zumindest Begegnungen mit den ebenfalls hier beheimateten Schwarzen Witwen, Klapperschlangen und Skorpionen erspart.

Statt Tarantelfotos…

…hier noch ein paar Impressionen…

aus der Wüste des Death Valley.

Als das Thermometer gegen zehn wieder die 30°C-Marke knackte, waren wir schon über den Pass ins Nachbartal, das ebenfalls wunderschöne Panamint Valley, und damit auf dem Weg in die bewaldeten Gegenden Kaliforniens, wo wir die letzten zwei Wochen unseres Roadtrips verbringen wollen.

Panamint Valley und Straße bis zum Horizont

„Alles nur Schluchten hier!“

30. September 2017, Lindsay/Kalifornien

Willkommen in Arizona, wohin uns eine nur anderthalbstündige Fahrt von Kanab führte. Obwohl direkt südlich von Utah gelegen, ist man hier der Meinung, sich nach der Pazifischen Zeit richten zu müssen, was für uns aber den Vorteil hatte, dass unsere Fahrt damit effektiv nur eine halbe Stunde in Anspruch nahm und wir länger schlafen konnten.

Wer sich jetzt wundert, warum wir so auf die Uhr schauten: wir hatten einen Termin, aber dazu gleich mehr. Direkt hinter der „Grenze“ (außer einem Schild am Straßenrand, dass man sich in einem neuen Bundesstaat befindet, merkt man davon nie etwas) ging es los mit dem Glen Canyon Dam, der den Colorado River in seinem roten Sandsteinbett zum Lake Powell aufstaut. Dieser Stausee ist Wasser- und Energiequelle für einen erheblichen Bereich im Südwesten der USA. Er führt genug Wasser, um ganz Österreich einen halben Meter hoch zu fluten (so zumindest der anschauliche Vergleich im Besucherzentrum) und der Damm ist 216 Meter hoch. Vom Aussichtspunkt vor der Brücke, die den tiefen Canyon hinter dem Damm überspannt, sah man, wie an den Seiten Wasser durch die porösen Sandsteinfelsen sickerte, was aber anscheinend kein großes Problem darstellt; immerhin steht der Damm ja schon seit 1964.

Glen Canyon Dam

Nicht weit entfernt lag unser Termin, in einem (Überraschung!) weiteren Canyon. Seit ich vor vielen Jahren mal ein Windows-Hintergrundbild vom Antelope Canyon gesehen hatte, träumte ich davon, dieses surreale Felsenlabyrinth einmal mit eigenen Augen sehen zu können. Im Gegensatz zu fast allen Nationalparks kam man hier allerdings nicht ohne weiteres hinein. Zunächst mussten wir uns entscheiden, ob wir den oberen oder unteren Teil besichtigen wollten – nach etwas Internetrecherche entschieden wir uns für den unteren, wo angeblich weniger Touristen wären und man mehr Zeit im Canyon hätte. Denn, und das war der nächste Punkt: man konnte nur im Rahmen einer geführten (und natürlich kostenpflichtigen) Tour hinein. Wir hatten gelesen, dass die Touren im unteren Teil günstiger und länger wären, wegen des geringeren Andrangs, wobei der Canyon dort trotzdem genau so schön wäre. Nun gut, vielleicht hätte uns die Tatsache zu denken geben sollen, dass die Touren alle 20 Minuten stattfanden. Als wir auf dem fußballfeldgroßen Parkplatz einrollten, waren die ersten sechs Reihen schon fast vollgeparkt…

Wir holten unsere Tickets am Schalter ab, wo man uns gleich sagte, dass es schon Verspätung beim Start der Tour gäbe. Also setzten wir uns auf eine der überdachten Bänke und warteten etwa eine Stunde, bis unsere Nummer aufgerufen wurde. Danach formierten wir uns wie im Kindergarten in Zweierreihen und dackelten dem Guide hinterher durch den Wüstensand bis zur Treppe hinunter in den Canyon. Es war heiß und staubig, weit und breit kein Baum oder Busch. Nebenbei wurden wir im kräftigen Wüstenwind quasi sandgestrahlt, kein Witz, danach waren unsere Schuhe das erste Mal seit Wochen wieder richtig sauber. Dafür hatten wir dann Sand überall sonst, und ich meine wirklich überall.

Oben an der Treppe standen wir noch eine weitere Stunde an, zum Glück unter einem großen Wellblechdach, während die Guides uns und den anderen Wartenden allerhand Wissenswertes über den Canyon erzählten. Zum Beispiel, dass der Canyon seinen heutigen Namen von den ersten weißen Siedlern erhielt, die die in der Gegend beheimateten Gabelböcke für Antilopen hielten. Diese Tiere werden bis heute auch als Amerikanische Antilopen bezeichnet, obwohl es gar keine sind. Oder dass der Canyon auf dem Land der Navajo-Indianer liegt, die auch die Touren veranstalten. Die Touren sichern den Navajo damit nicht nur ein kleines (oder vielleicht auch großes) Einkommen, sie stellen nebenbei auch sicher, dass niemand den Canyon bei schlechtem Wetter betritt – vor einigen Jahren waren mehrere Touristen durch eine Sturzflut ums Leben gekommen. Und zugegeben, beim Anblick der Massen, die mit uns anstanden, war es auch offensichtlich, dass der Besucherandrang nicht anders zu regulieren wäre. Um die 4.000 Menschen schieben sich an einem durchschnittlichen Tag im Gänsemarsch durch die enge Schlucht, die stellenweise kaum breit genug für eine Person ist. So sah es leider auch nicht danach aus, dass wir unten irgendein Foto ohne Menschen machen könnten, was echt schade war. Mittlerweile hofften wir auch einfach nur noch, dass der Canyon das lange Anstehen wirklich wert wäre. Andererseits lehrt die Erfahrung, dass es meist einen Grund gibt, wenn irgendwo sehr viele Leute hinfahren.

Endlich ging es die 30 Höhenmeter hinab auf Metallleitern wie in der Sächsischen Schweiz, und unten angekommen vergaßen wir all unsere Sorgen (bis auf den Sand). Die besten Motive im Antelope Canyon lagen nämlich über unseren Köpfen, wo das Licht in die enge Schlucht fiel. Die Felsen sahen aus wie versteinerte Wellen, sanft geschwungen in immer neuen Formen, und das Sonnenlicht tauchte sie in alle warmen Töne des Farbspektrums. Wir fotografierten bis zur Genickstarre, während uns von oben Sand in Augen, Kragen und Kameras rieselte. Mein Fotoapparat wurde Opfer eines Stäubchens im Objektiv und weigerte sich fortan, sich zu öffen – super, wenn man sich seit Monaten auf das Motiv gefreut hat und am nächsten Tag zum Grand Canyon wollte. Auch Kathrins Kamera schwächelt schon seit einiger Zeit und tut nur noch gelegentlich, was sie soll. Dafür wurde das iPhone der Held des Tages und machte die besten Bilder, vor allem mit dem sonst eher kitschigen Farbfilter, den der Guide uns empfahl. Auf wundersame Weise verliefen sich auch die Besuchermengen mit der Zeit und irgendwann waren nur noch eine Handvoll Leute samt unserem Guide übrig, sodass wir uns fast einreden konnten, den Canyon für uns zu haben. Wir waren gut und gern eine Stunde unten und können als Fazit sagen, dass es sich absolut gelohnt hat.

Einstieg in den Canyon – unten rechts seht ihr einen Mensch zum Größenvergleich

Hinter jeder Biegung warteten unzählige neue Motive.

Da ist die Fotoauswahl wirklich schwergefallen.

Hier sieht man noch etwas Sand, von dem wir vermutlich jetzt noch irgendwo Reste haben…

Als wir bei einem späten Mittagessen in einem Diner saßen, überhörten wir ein deutsches Paar am Nachbartisch – wir gaben uns nicht zu erkennen; auch hier scheint es, wie überall auf der Welt, von unseren Landsleuten nur so zu wimmeln. Aber die Unterhaltung der beiden war einfach köstlich, vor allem als der Mann sich schließlich in schönstem schwäbischen Dialekt bei seiner Frau echauffierte, dass das hier ja „alles nur Schluchten“ wären. Wir wissen nicht, was er in dieser Gegend erwartet hat. Uns hat’s gefallen. 😉

Am Nachmittag düsten wir noch knapp 200 Kilometer nach Flagstaff, der einzigen größeren Stadt im Norden Arizonas, wo wir übernachteten, und am nächsten Tag von dort zu den östlichen Ausläufern des Grand Canyons. Wir fuhren auf der Südseite des Canyons entlang, wo sich die gesamte Infrastruktur des Nationalparks befindet und man außerdem die Sonne im Rücken hat. Mit etwas Gewalt Glück hatte ich meine Kamera wieder flott gekriegt, aber was soll man sagen, natürlich ist auch das beste Foto nur ein müder Abklatsch der Realität, wenn man auf ein Tal blickt, dass stellenweise 30 km breit und 1.500 Meter tief ist. In endlosen Stufen hat sich der Colorado in den Fels gegraben und ist vom Rand des Canyons kaum zu sehen.

Der Grand Canyon…

…man versteht die Faszination.

Am Südrand gab es ein ganzes Dorf komplett mit Bahnhof, mehreren gigantischen Parkplätzen, Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten, wo wir unser Auto stehen ließen und in den Shuttle-Bus umstiegen, der uns noch weiter nach Westen brachte, wo wir ein Stück am Rand der Schlucht entlangwanderten. Die Vistas waren atemberaubend, und obendrein sahen wir mehrfach Wapiti-Hirsche in den niedrigen Kiefernwäldchen am Wegesrand äsen. Wir blieben bis zum Sonnenuntergang, der die roten Felsen richtiggehend zum Leuchten brachte, und beschlossen, am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen.

Ein Elk, zu deutsch Wapiti-Hirsch

Unser Nachtquartier lag reichlich 90 Kilometer entfernt im kleinen Williams, was für hiesige Verhältnisse praktisch direkt um die Ecke war. Am nächsten Tag fuhren wir noch einmal mit dem Shuttle-Bus zu einigen Punkten, die wir am Vortag nicht geschafft hatten, mussten uns aber wieder warm anziehen, denn es war durch den recht frischen Wind erstaunlich kalt am Grand Canyon, obwohl die Sonne schien.

Den Rest des Tages verbrachten wir wieder einmal „on the road“, fuhren nach Kingman im Westen Arizonas, wo wir einen Tag Pause machten und quasi Luft holten für unseren bevorstehenden Abstecher in die nächste Großstadt. Zivilisation sind wir nicht mehr gewöhnt, und dann auch noch Las Vegas…

Nur Utah ist schöner

Aufgepasst, lieber Leserinnen und Leser, heute gibt es wieder zwei Beiträge auf einmal. Also scrollt gleich erst einmal nach unten zu „On the road again“. 😉

20. September 2017, Kanab/Utah

Heute war unser letzter Tag in Utah, morgen geht es weiter nach Arizona. Ich bin gespannt, was uns auf unserer weiteren Fahrt erwartet; der Grand Canyon liegt vor uns, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es mich irgendwo jemals wieder so umhauen wird wie hier. Na gut, der Grand Canyon vielleicht, hoffentlich. Und vielleicht spielte auch die Tatsache, dass wir eigentlich nichts über Utah wussten und entsprechend wenig Erwartungen hatten, eine Rolle. Aber dieser Bundesstaat hat uns völlig überwältigt mit seinem roten Wüstensand, seinen Hochplateaus, seinen vielfarbigen Felsen, tiefen Canyons, und nicht zuletzt seinem blauen Himmel. Nach wochenlanger Reise durch Waldbrandgebiete hatten wir vergessen, wie unglaublich klar die Luft, wie weit die Sicht sein kann. Und Utah bot uns jede Menge Horizonte, um dies zu genießen.

Wir übernachteten einmal in der Nähe von Salt Lake City, hielten aber nicht in der Stadt, sondern fuhren direkt bis in die Wüste weiter südöstlich, wo wir vier Nächte in einem kleinen Ort namens Green River blieben, der ein guter Ausgangspunkt für die Nationalparks Arches und Canyonland war.

Mit Arches fingen wir an. Der Park verdankt seinen Namen den Sandstein-Felsbögen, von denen es dort mehrere gibt. Von der Nationalparkschranke aus führte die Straße in steilen Serpentinen auf ein Plateau und plötzlich befanden wir uns in einer anderen Welt voll senkrechter Felswände, kurioser Steinsäulen und Sand, und das alles in einem tiefen, warmen Orange-Rot. Wir hielten an einigen Aussichtspunkten und machten dann eine kleine Wanderung zu einer Formation, die sich die „Windows“ nannte. Es gab eine Treppe direkt zu den beiden Fenstern, den so ziemlich alle Leute zu gehen schienen, und einen einfachen Trampelpfad, der in weitem Bogen um die Felsen herum führte. Nachdem wir auf dem Parkplatz drei Runden fahren mussten, um überhaupt einmal eine Parklücke zu finden, war es erstaunlicherweise fast menschenleer, sobald wir auf dem Pfad waren. Kaum dass der Parkplatz außer Sichtweite war, hörte man nur noch das Rauschen des Windes zwischen den Felsen, die Sonne schien auf den roten Wüstensand, in dem nur Yukkas und Kakteen gediehen, der Himmel war blau und wir sahen tiefe Schluchten und noch mehr hohe Felsen in der Ferne. Gelegentlich huschte ein kleiner Gecko über den Weg. Es war unglaublich friedlich.

Die beiden Windows.

Wir gingen noch eine weitere Tour zum Aussichtspunkt auf den Delicate Arch, das Wahrzeichen des Parks, das auch auf den Nummernschildern von Utah abgebildet ist (ja, es gibt hier Nummernschilder mit Hintergrundmotiv), aber es war inzwischen Nachmittag und die Sonne brannte erbarmungslos auf uns herab. Obwohl der Anstieg nicht lang war, waren wir danach völlig fertig. 42°C im Schatten sind schon recht warm, vor allem, wenn es gar keinen Schatten gibt.

Double Arch

Am nächsten Morgen standen wir daher schon um sechs auf, um zu Sonnenaufgang im Park zu sein. Nicht unsere bevorzugte Uhrzeit, aber temperaturtechnisch definitiv die richtige Entscheidung. Die Wanderung zum Delicate Arch, den wir am Vortag nur von weitem gesehen hatten, dauerte an die drei Stunden und wir absolvierten sie am Vormittag, als die Hitze noch erträglich war. Trotz der frühen Stunde waren schon sehr viele Leute unterwegs. Die Wanderung führte lange Zeit über nackten Fels und obwohl wir nicht die einzigen waren, verliefen wir uns mit einigen anderen Wanderern, da der Weg nicht gut markiert war. Dafür, dass man überall schön auf dem Weg bleiben sollte, ließ die Markierung wirklich oft zu wünschen übrig. Ein paar andere Sehenswürdigkeiten des Parks schauten wir uns noch an, bevor es wieder zu heiß wurde und wir zurück nach Green River fuhren, eh uns die Hitze völlig erschlug.

Delicate Arch

Diese Felsgruppe trägt den Namen Fiery Furnace („feuriger Ofen“).

Ganz in der Nähe von Arches, quasi auf der gegenüberliegenden Straßenseite, lag der Canyonland-Nationalpark, für den wir am nächsten Morgen wieder zeitig aufstanden. Warum der Park so hieß, erschloss sich nicht auf den ersten Blick. Die Fahrt führte über eine weite Ebene, aus der sich gelegentlich Mesas erhoben, tafelartige Berge, die oben wie mit dem Messer glattgestrichen aussehen. Das Tor in den Nationalpark war um diese frühe Stunde noch nicht einmal besetzt, wir konnten einfach hineinfahren. Ein paar Kilometer den Park hinein lag der Parkplatz für den Mesa Arch, das berühmteste Fotomotiv von Canyonland. Wir wanderten los, durch flache Wüstenvegetation, kleine Bäumchen und Gräser, ein paar Felsbrocken, sahen hier und da ein Streifenhörnchen und irgendwann tauchte der Steinbogen des Mesa Arch vor uns auf. Alles ganz nett. Erst wenn man direkt vor dem Bogen stand, eröffnete sich dahinter plötzlich wie aus dem Nichts ein horizontfüllendes Panorama aus Canyons, die sich in endlosen Stufen hunderte, wenn nicht tausend Meter tief in das Hochplateau gruben, an den Seiten flankiert von hohen Felsnadeln, während sich ganz unten im Tal, auf die Entfernung fast unsichtbar, der Colorado River entlang schlängelte. Wenn mir ein Motiv aus den USA in Erinnerung bleiben wird, dann ist es dieser Anblick.

Morgensonne am Mesa Arch…

…und der Blick auf die Canyons auf der anderen Seite.

Und mit den tollen Panoramen ging es weiter, wohin wir im Nationalpark kamen. An sich ist Canyonland nicht groß; der ganze Park befindet sich im Prinzip auf einer großen Mesa (so ein Hochplateau-Berg). Auf der einen Seite schaut man hinab zum Colorado, auf der anderen zum Green River, an dessen Ufern auch der kleine Ort lag, in dem wir übernachteten. Wenn das relativ unbekannte Canyonland schon so großartig war, wie wäre es dann erst am Grand Canyon?

Unendliche Weite…

…zufriedene Reisende.

Wir verließen die Gegend, um weiter Richtung Süden zu fahren, wo wir mit Bryce und Zion zwei weitere berühmte Nationalparks besuchen wollten. Am Weg dorthin lagen noch zwei Parks, durch die wir im Prinzip nur hindurch fuhren, die aber schon von der Straße aus überwältigend schön waren. Am ersten Tag der Fahrt passierten wir Capitol Reef, dessen rot und weiß gestreifte Berge an einer Seite steil ins Tal abfielen. Am Tag darauf fuhren wir durch Grand Staircase-Escalante, ein weiterer Nationalpark, von dem wir noch nie gehört hatten, der aber definitiv einen Besuch rechtfertigen würde. Die von tiefen Canyons durchschnittenen Felsen waren hier überwiegend weiß, was toll mit dem dunklen Gewitterhimmel dieses Tages kontrastierte. Es dauerte auch nicht lange, dass es blitzte und donnerte und anfing zu gießen wie aus Eimern; zwischendurch hagelte es auch und wir waren froh, dass wir da gerade zum Mittag in einem Subway saßen. Die gesamte Gegend in Süd-Utah ist berüchtigt für so genannte Flash Floods: wenn es regnet, dann richtig, doch auf dem trockenen, felsigen Boden kann das Wasser nicht versickern. So bilden sich in kürzester Zeit reißende Flüsse in den sonst trockenen Flussbetten, die mit der Kraft von zweieinhalb Elefanten, wie es so schön in einem Nationalparkzentrum beschrieben wurde, ganze Bäume und Steinbrocken mitreißen können. Anfang des Sommers erlebt diese Gegend sogar eine richtige Monsunzeit! Der Regen ist auch der Grund, warum es trotz der vielen Gewitter und Blitzeinschläge so gut wie keine Waldbrände gibt, aber von Flussbetten sollte man sich eben fernhalten, wenn sich der Himmel zuzieht, wenn man nicht von zweieinhalb Elefanten umgerissen werden will.

Capitol Reef

Und tolle Ausblicke auf…

…Grand Staircase-Escalante.

Und plötzlich sah unser Auto so aus und die Berggipfel in der Ferne waren weiß.

Das Wetter passte bestens zu unserer Absicht, mal zwei Tage lang nichts zu tun. Wir brauchten eine Pause von all der Fahrerei und den vielen Ausflügen. Daher suchten wir uns das günstigste Motel, das wir in der Region finden konnten, in einem Ort namens Beaver, und quartierten uns dort für zwei Tage ein, schliefen aus, guckten Filme, gingen Pizza essen, was man halt so tut, wenn das Wetter kalt und regnerisch ist.

Danach waren wir gut ausgeruht für die nächste Runde Nationalparks, die wir leider ziemlich straff durchplanen mussten, da die Quartiere in der Umgebung wieder alle ziemlich überteuert waren. Zuerst besuchten wir Zion, das im Prinzip nur ein einziges langes, an allen Seiten von hunderte Meter hohen, senkrechten Felswänden begrenztes Tal ist. Aufgrund der Geografie der Gegend durfte man nicht mit dem eigenen Auto in das Tal fahren, da es gar nicht genug Parkmöglichkeiten geben würde, sondern musste am Besucherzentrum parken und von dort Shuttle-Busse benutzen. Das könnten sie auch mal in anderen Parks einführen, um den Verkehr zu reduzieren. Für uns bedeutete es allerdings wieder einmal zeitiges Losfahren, da auch die Parkplätze dort begrenzt waren. Wir hatten Glück (bzw. es lohnte sich einfach, schon kurz nach acht da zu sein) und der größte Teil des Tals lag noch im Schatten der hohen Wände, als wir uns auf den Weg hinein in den Canyon machten. Wir stiegen hinauf zu den Emerald Pools, kleinen Tümpeln weiter oben im Tal, die von einem Wasserfall gespeist wurden, hinter dem man durchgehen konnte. Leider war diese Tour, wie eigentlich jede, die wir in Zion unternahmen, von Menschen völlig überlaufen. Man hatte das Gefühl, dass das Tal trotz seiner gewaltigen Dimensionen die Besuchermassen nicht fassen konnte. Ständig stand man jemandem im Bild oder musste sich entschuldigen, auf dem Weg überholen zu dürfen. Das, zusammen mit der zwar schönen, aber auch nicht überwältigenden Landschaft machte Zion für uns zum am wenigsten lohnenswerten der bisherigen Nationalparks. Am darauffolgenden Tag hatten wir noch einmal tolle Aussicht über den hinteren Teil des Tals, als wir mit dem Auto den Highway fuhren, der direkt oberhalb des Canyons entlang führt. Dort war die Landschaft eindrucksvoller bis die Straße in einem über 1km langen Tunnel verschwand, der unbeleuchtet und so eng war, dass der Verkehr von Helfern geregelt werden musste – wenn ein größeres Fahrzeug wie ein Bus oder Wohnmobil hindurch wollte, musste der Gegenverkehr draußen warten, da große Fahrzeuge nur in der Tunnelmitte fahren konnten. Auf der anderen Seite des Tunnels sahen die Felsen aus wie aus vielen Lagen übereinander geschichtet und selbst an den steilsten Wänden wuchsen teilweise noch Bäume.

Die Wanderung führte hinter dem Wasserfall hindurch.

Zion Canyon

Am Nachmittag erreichten wir den Red Canyon, noch mehr roter Sand und mehrfarbig gestreifte Felsen, und obwohl ganz Süd-Utah aus roten Felsen zu bestehen scheint, sieht die Landschaft überall anders aus und wir sind ihrer noch nicht müde geworden. Im Red Canyon hatten wir einen Ausflug gebucht, den wir schon ganz lange machen wollten, und hier klappte es endlich: eine Reittour, im Westernsattel durch die Canyons wie echte Cowgirls. Wir hatten Glück, es hatte sich niemand weiter angemeldet, und so waren wir nur zu dritt mit der Tourleiterin Lori. Die Pferde waren sehr ruhig und entspannt, gut ausgebildet und reagierten schon auf sanfte Signale, die natürlich wieder anders waren als in der Mongolei. Hier reitet man mit sehr langen Zügeln, die man locker in einer Hand hält, und wenn man abbiegen will, zieht man den Arm in die Richtung, in die man reiten möchte. Am Treffpunkt lud Lori uns in ihren Pick-up und die drei Pferde in den Anhänger und von dort fuhren wir ein paar Meilen bis zum Ausgangspunkt des Butch Cassidy Trails, auf dem wir dann ritten. Butch Cassidy war ein berühmter Outlaw in dieser Gegend, eine Art Robin Hood, der Banken ausraubte und verarmten Witwen half, ihr Land zu behalten. Wir hörten einige Geschichten über ihn, während wir durch das Tal ritten, in dem er sich vor den Gesetzeshütern versteckte. Trittsicher fanden die Pferde den Weg hinauf über enge Pfade durch spärliche Kiefernwäldchen bis auf einen Bergrücken, von wo aus wir auf die andere Seite hinunter in den Losee Canyon schauen konnten. Das Reiten im Westernsattel war ziemlich bequem, auch wenn am Ende der drei Stunden unsere Hintern und Knie trotzdem protestierten.

Red Canyon, unschwer zu erkennen, woher der Name kommt.

(Fast) echte Cowgirls. 😉

Viel Zeit zum Ausruhen hatten wir aber nicht, denn am nächsten Morgen stand der Bryce Canyon auf dem Programm – mehr als eine teure Nacht in der nächsten Ortschaft Panguitch wollten wir nicht bezahlen. Panguitch lag erfrischenderweise nur 24 Meilen vom Eingang zum Nationalpark entfernt, etwas mehr als 30 Kilometer – eine angenehme Abwechslung zu den manchmal bis zu 80 Meilen (120 Kilometer), die wir sonst zuweilen fahren mussten, um ein erschwingliches Quartier in der Nähe eines Nationalparks zu finden. Auf dem Weg zum Park sprach uns an einer Haltebuchte, wo wir Fotos von den tollen roten Felsen machten, eine älterer Herr an. Als er hörte, dass wir aus Deutschland kommen, erzählte er uns, dass seine Frau aus Leipzig kam und sie sich in Hamburg kennengelernt hätten. Er sprach so gut Deutsch, dass ich zunächst nicht einmal merkte, dass er Amerikaner ist. Die deutsche Grammatik beherrschte er besser als viele Muttersprachler, und er brachte uns sogar mit ein paar Brocken Sächsisch zum Lachen. Selbst die meisten Deutschen wissen nicht, was ein Mutschekiepchen ist.

Der Bryce-Nationalpark ist weniger ein Canyon als ein „Amphitheater“, wie es so schön genannt wird: ein riesiges, halbrundes Becken voll bizarrer, roter Felsnadeln. Auch in diesem Park gab es einen Shuttle-Bus. Man hätte zwar mit dem eigenen Auto fahren können, aber wir nahmen trotzdem den kostenlosen Bus, wenn er schon einmal angeboten wurde, und das ermöglichte uns auch, auf dem Rand des Amphitheaters entlang zu wandern und einfach an einer späteren Haltestelle wieder in den Bus zu steigen. Auf diese Weise hatten wir den Park auch hin und wieder ein bisschen für uns; an den Aussichtspunkten war es natürlich sehr überlaufen, wenn auch nicht so schlimm wie in Zion. Einige Wege führten in steilen Serpentinen hinab zwischen die Felsnadeln – jeden Meter musste man dann natürlich auch wieder hinaufklettern, aber es hat sich trotzdem gelohnt für die tollen Anblicke der steilen Felsformationen, die in der Mythologie der hiesigen Ureinwohner versteinerte Lebewesen sind.

Bryce Canyon

 

Das „Amphitheater“…

Blick von gaaanz unten.

Bryce war auf jeden Fall ein toller Abschluss für Utah. Wir fuhren noch knapp 150 Kilometer (völlig normal) bis zu einem Hostel in Kanab (eines von zwei Hostels im gesamten Bundesstaat), von wo aus wir morgen weiter nach Süden fahren werden. Grand Canyon, wir kommen!

On the road again…

15. September 2017, Beaver/Utah

Auch wenn Hawaii als 50. Bundesstaat Teil der USA ist, empfinden wir die Inseln doch eher als eine eigenständige Region (eine Meinung, der sich viele Hawaiianer anschließen würden), und so ist für mich die Busfahrt nach Seattle unsere eigentliche Einreise in die USA.

Der Grenzübertritt auf dem Landweg war eine sehr unbürokratische Sache; keiner wollte noch einmal unsere zehn Fingerabdrücke nehmen oder irgendwelche Formulare sehen; in drei Minuten war alles erledigt, während der Bus draußen wartete. Der Greyhound-Bus war auch nichts besonderes, zumal er keines seiner Werbeversprechen hielt. Das Internet funktionierte nicht, aus der Steckdose kam kein Strom und die versprochene Beinfreiheit suchten wir vergebens, wobei die größere von uns beiden gerade einmal 1,65m misst, also will das schon etwas heißen. Aber die Ansprüche wachsen eben mit dem Angebot – in Südostasien waren wir schon froh, wenn es überhaupt einen Bus gab und dieser dann auch noch fahrtüchtig war. Man gewöhnt sich so schnell wieder an den Luxus…

Seattle ist die größte Stadt im Nordwesten der USA und wirklich auch die einzig nennenswerte Stadt im Bundesstaat Washington, eine Metropole mit spiegelnden Glaskästen und historischen Wolkenkratzern, schmuddelig-alt und hypermodern, verstreut auf unzählige Hügel zwischen großen Gewässern, eine Stadt, die uns als charmant und angenehm in Erinnerung bleiben wird.

Downtown Seattle, von der Waterfront aus gesehen

Wir wohnten in allerbester Lage direkt im Zentrum, wo es ein erstaunlich gemütliches Hostel, das Green Tortoise gab, das rustikale Doppelstockbetten, jede Menge Ausflugstipps und am Abend unserer Ankunft sogar ein kostenloses Abendessen bot, damit man mit den anderen Gästen ins Gespräch kommen konnte.

Direkt gegenüber begann die Marktgegend, in deren Zentrum sich der Pike Place Market befand, eine historische Markthalle, in der seit über 100 Jahren lokal erzeugte Lebensmittel verkauft werden. Mittlerweile findet man dort auch jede Menge Kunsthandwerk und Schnickschnack, aber der Charme ist erhalten geblieben und so verbrachten wir einen halben Tag nur damit, durch die Arkaden zu schlendern und die Auslagen der teilweise sehr kuriosen Geschäfte zu bestaunen.

Pike Place Market

Für den Nachmittag hatten wir uns mit einem alten Bekannten verabredet: Jonathan hatten wir in Siem Reap/Kambodscha kennengelernt und dort zwei Nächte im Hostel durchgequatscht über Gott und die Welt. Dank Facebook (war es tatsächlich mal zu etwas gut) hatten wir gesehen, dass er gerade in Seattle lebt und ein Treffen vereinbart. So nahmen wir nachmittags den Zug in den Stadtteil Beacon Hill, ein ruhiges, etwas alternativ wirkendes Viertel voll bunter, hölzerner Einfamilienhäuschen mit bunten Gärten, wo Jonathan uns vom Bahnhof abholte und zu dem Haus brachte, in dem er gerade lebte. Es war das Haus von Freunden, die verreist waren, und er passte darauf auf. Wir begrüßten den alten Kater im Garten und Jonathan, der Fotograf ist, zeigte uns atemberaubende Bilder, die er während seiner Zeit in Nepal aufgenommen hatte. Dann ernteten wir zwei Schüsseln reife Pflaumen vom Baum als Proviant und fuhren zum nahe gelegenen Lake Washington zum Baden. Zwei Freunde von Jon waren schon da, fast die einzigen Badegäste an dem kleinen Strand, der aus einer Picknickwiese und einem kieseligen Ufer bestand. Es war wunderbar ruhig, das Wasser war klar und hatte genau die richtige Temperatur, die Sonne schien und es war einfach nur herrlich. Anschließend gingen wir noch etwas durch den Wald im Seward Park spazieren, einer Halbinsel, die in den riesigen See hineinragt, und abends nahm Jon uns noch mit zu einer Bekannten, die eine Grillparty in ihrem Garten veranstaltete und nichts gegen zwei zusätzliche Gäste hatte. Sie war Spanischlehrerin an der Universität und hatte ihre Kursteilnehmer eingeladen, mit denen sie demnächst zu einer Sprachreise nach Spanien aufbrechen würde. Wir unterhielten uns sehr nett mit einem Japaner, der ein Freund ihres Sohnes war, und mit einem Herrn, der zur Untermiete in ihrem Haus wohnte. Alle hatten etwas zu essen mitgebracht und es war ein richtig schöner Abend. Wir hatten übrigens Glück, Jonathan in Seattle zu erwischen: zwei Tage später verließ er die Stadt, um seine Familie in Kalifornien zu besuchen, eine Hochzeitsfeier von Freunden in New York zu fotografieren und anschließend zu seinem neuen Job in Christchurch/Neuseeland aufzubrechen, wofür wir ihm noch ein paar Reisetipps geben konnten. Wer weiß, wo wir uns wiedersehen…

Mit Freund Jonathan am Lake Washington

Am nächsten Tag besuchten wir ein nepalesisches Restaurant, das Jon uns empfohlen hatte und liefen danach zum Park an der Space Needle, dem Wahrzeichen der Stadt. Im Park gab es alle möglichen Museen, wonach uns aber nicht der Sinn stand, und einen großen Springbrunnen, der Wasserstrahlen aus einer Halbkugel in alle Richtungen schoss, sehr zur Freude dutzender Kinder, die darum herumsprangen und erfolglos versuchten, nicht nass zu werden. Danach gingen wir getrennter Wege; ich spazierte noch an den Piers der Uferpromenade entlang und warf einen Blick in die Stadtbibliothek, in der ein spiralförmiger Gang über vier Etagen an Bücherregalen entlang führte, was eine witzige Idee war.

Die Space Needle, das Wahrzeichen Seattles

Danach war es vorbei mit Großstadt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wir wollten Nationalparks sehen, und getreu dem Motto „Zurück zur Natur – aber ja nicht zu Fuß“ ist der einzig machbare Weg in den USA leider ein Roadtrip mit dem Auto (oder man fährt monatelang Fahrrad wie einige Hartgesottene, die wir immer mal wieder sehen, aber es sei uns verziehen, dass wir das nicht wollten). Wir holten also unseren Mietwagen in Seattle ab, einen Toyota Corolla, und ab ging es nach Nordwesten. Unser erstes Ziel: der Glacier National Park, empfohlen von dem kanadischen Vater mit seiner Tochter, die wir am Lake Louise getroffen hatte. Der Weg dorthin: der Highway 20, nicht die schnellste Strecke, aber von Jonathan empfohlen wegen der schönen Landschaft. Und beide sollten Recht behalten. Aber dazu später.

Jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, sind wir schon reichlich zwei Wochen mit dem Auto unterwegs und haben festgestellt, dass die Dimensionen hier eine andere Größenordnung haben. Nicht nur buchstäblich – die Entfernungen werden in Meilen angegeben, die Höhenmeter in Fuß, die Temperatur in Fahrenheit, die Tankfüllung in Gallonen und die Wassermenge für das Fertigessen, das es jetzt oft zum Abendbrot gibt, in Tassen. Auch generell merkt man, wenn man einmal versucht, von einem Ort zum nächsten zu kommen, wie unfassbar groß die USA sind.

In Europa amüsieren wir uns gern über die geografisch ungebildeten US-Amerikaner, von denen viele nie ihr Land, nicht einmal ihren Bundesstaat je verlassen. Aber dabei vergessen wir, dass im Prinzip jeder Bundesstaat ein eigenes Land ist, auch wenn alle die gleiche Sprache sprechen und mit der gleichen Währung zahlen. Wer kann schon aus der Kalten alle 50 US-Bundesstaaten mit Hauptstädten aufzählen und weiß, welcher wo liegt? Und wenn man in einem Kaff wohnt, das buchstäblich aus zwei Straßen und einer Tankstelle besteht, wo der nächste größere Ort (mit vielleicht 5.000 Einwohnern) schon eine mehrstündige Autofahrt entfernt ist, denkt man dann wirklich darüber nach, auf einen anderen Kontinent zu reisen? Wie viele Europäer haben ihr Land oder ihren Kontinent noch nie verlassen? Jetzt wo wir hier sind und wirklich hautnah erleben, wie unglaublich weit alles ist und wie dünn besiedelt viele Gegenden sind, können wir die Weltfremdheit der hiesigen Bevölkerung auf jeden Fall schon etwas besser nachvollziehen (auch wenn das Bildungssystem hier trotzdem noch nachhelfen könnte).

Während in den vergangenen Tagen der Hurrikan Irma über Florida zog, fragten einige von euch, ob wir davon etwas mitbekämen, und ich sagte, nein, das wäre so als ob es in Griechenland Unwetter gibt, während man sich in Dresden aufhält. Vorhin haben wir mal auf der Karte geguckt und festgestellt, dass der Vergleich immer noch lächerlich weit hinterher hinkt. Gibt GoogleMaps von Athen nach Dresden eine Fahrzeit von reichlich 21 Stunden an, sind es von Miami in Florida nach Beaver in Utah, wo wir uns gerade befinden, 38 Stunden auf der schnellsten Strecke. Bis nach Seattle wären es sogar 48 Stunden reine Fahrzeit. Zum Glück sind wir im Mietvertrag beide als Fahrerinnen eingetragen und können uns daher die Fahrerei teilen, Tagesstrecken von mehreren Hundert Kilometern sind mittlerweile der ganz normale Wahnsinn für uns geworden; dabei wollen wir noch nicht einmal ansatzweise bis nach Florida.

Übernachten können wir überwiegend in Motels, die sich alle irgendwie mehr oder weniger ähneln. Meist sind es einstöckige Gebäude, wo man das Auto direkt vor der Zimmertür parkt, und wir müssen nur noch selten das Bett teilen, da es meist zwei Betten gibt. Das sind dann auch gleich zwei Queensize-Betten, etwa 140 cm breit, mit je zwei bis vier Kopfkissen, kleinere Betten haben wir hier noch nicht gesehen (außer die Doppelstockbetten in den seltenen Hostels). Wenn wir doch einmal nur ein Bett zur Verfügung haben, ist es hin und wieder ein Kingsize-Bett mit einer Breite von 180 cm. Hier ist alles XXL, Vorurteil bestätigt. Nicht so die Menschen, entgegen dem in Deutschland gängigen Vorurteil der fettleibigen US-Bürger; man sieht zwar übergewichtige Personen, aber meiner Meinung nach nicht mehr als in Deutschland. Oder vielleicht haben wir uns da in Europa auch allmählich angeglichen, würde mich nicht wundern.

Die Leute sind größtenteils sehr freundlich und gesprächig; man merkt schon, dass hier viel mehr Small Talk gehalten wird. Jede Kassiererin, jeder Kellner begrüßt einen nicht nur mit ‚Hallo‘, sondern auch immer noch ‚Wie geht’s?‘, worauf man dann antwortet ‚Gut, danke‘ und dann ganz normal seine Bestellung aufgibt oder was auch immer. Manchmal entwickelt sich noch ein Gespräch daraus, woher wir kommen, Tipps was wir uns anschauen sollen, oder wir bekommen die ganze Lebensgeschichte unseres Gegenübers erzählt (und es ist wirklich erstaunlich, was manche Leute zu erzählen haben), und am Ende geht jeder wieder seiner Wege. Ich finde das ziemlich angenehm. Es heißt ja oft, die US-Amerikaner seien so oberflächlich, und so kann man das auch interpretieren, aber diese Art kommt vermutlich davon, dass die Privatsphäre hier viel mehr respektiert wird und man anderen Leuten einfach nicht zu sehr auf die Pelle rücken will (das ist zumindest meine Theorie). Als wir einen Morgen etwas länger im Bett lagen, kam der Reinigungsmann vorbei und schaute ins Fenster, um zu sehen, ob wir schon ausgecheckt hätten. Unsere Blicke trafen sich, er ging hastig weiter und rief kurze Zeit später auf unserem Zimmertelefon an, um sich zu entschuldigen.

Ein anderes Stereotyp ist natürlich das Essen. Wir sind jetzt mit unserem knapp kalkulierten Budget nicht in der besten Verfassung, eine objektive Einschätzung dazu abzugeben – wenn man in Deutschland mit kleinem Geldbeutel essen geht, darf man auch keine Vollwertkost erwarten. Aber was wir hier so sehen, scheint das Vorurteil schon zu bestätigen. Wir frühstücken normalerweise im Motel – entweder unsere mitgebrachten Bagel mit Nutella (beides Lebensmitel, die sich gut ohne Kühlung halten, wir haben ja im Auto keinen Kühlschrank) – oder manchmal wird Frühstück angeboten. Letzteres besteht dann zumeist aus Toast mit Konfitüre oder Erdnussbutter, manchmal Muffins oder anderes kleines Süßgebäck, und Cornflakes mit Milch. Wenn man Glück hat, gibt es etwas Obst, Pancakes oder Waffeln mit Sirup. Tee sucht man meist vergebens, und zum Kaffee gibt es eigentlich immer nur Kaffeeweißer, dieses Pulver, dessen Zutatenliste wir heute früh mal gelesen haben und feststellen mussten, dass man einen Abschluss in Lebensmittelchemie braucht, um sie zu verstehen (da fühlt sich jetzt bestimmt jemand angesprochen 😉 ). Mittags essen wir unterwegs, oft in einem Diner, so einem einfachen Restaurant, wo man sich auf gepolsterten Bänken gegenüber sitzt, und wo sich die Auswahl meist auf Burger oder Sandwiches mit Pommes und eine Suppe oder ein Chili beschränkt. Die günstige und vermutlich auch relativ gesunde Alternative ist Subway (wer das nicht kennt: eine Fast Food-Kette, die Sandwiches mit sehr viel Gemüse macht) – jedes Kuhdorf hat hier ein Subway, meistens direkt an der Tankstelle, und abgesehen von dem Obst, das wir kaufen (die Pfirsiche haben gerade Saison in Utah und schmecken köstlich), ist das vermutlich unsere einzige Vitaminquelle. Oder nein, das stimmt nicht ganz, denn es gibt ja noch das Abendessen, das wir uns meist im Motel zubereiten, wo es eigentlich immer einen Kühlschrank und eine Mikrowelle gibt. Also kaufen wir uns so leckere Dinge wie Knorr-Pasta in Kräutersauce (ein Gedicht), oder Reis mit Bohnen aus der Dose (himmlisch) oder Cupnoodles (eine wahre Gaumenfreude), die wir dann nur mit heißem Wasser aufgießen oder aufwärmen oder in der Mikrowelle kochen müssen (geht ziemlich gut), und diese sind unglaublich gesund, zumindest wenn man der Zutatenliste Glauben schenkt. Da sind nämlich nicht einfach Reis oder Nudeln drin; nein, das Zauberwort heißt ‚angereichert‚ und so ist jedes Tütenessen eine wahre Vitamin- und Nährstoffquelle. Man kann wirklich nur staunen, wie gesund hier alles ist (ja, das war jetzt ironisch gemeint). Wir haben ein Päckchen Reis gekauft, das unter anderem mit 0% Fett warb. Eine Zutat, die ich in Reis von vornherein nicht vermutet hätte, aber gut zu wissen.

Aber man kann über die USA sagen, was man will, die Landschaft ist oft so überwältigend schön, dass es uns die Sprache verschlägt und auch nach all den Orten, die wir auf unserer Reise schon gesehen haben, noch beeindruckt. Nicht nur in den Nationalparks, auch einfach auf den Strecken dazwischen. Der von Jonathan empfohlene Highway 20 durch Washington war eine Fahrt durch hohe Berge, prärie-artiges Grasland bis zum Horizont und kleine Städtchen, die als Kulisse für Wildwestfilme dienen könnten.

Pferde in der Prärie

Mit einer Zwischenübernachtung erreichten den Ort Kalispell an den westlichen Ausläufern des Glacier-Nationalparks in Montana, einem Ort mit mehr als 20 Kirchen bei rund 20.000 Einwohnern. Wir hatten dort ein AirBnB gebucht, das wir leider bei unserer Ankunft verschlossen vorfanden, und da wir keine amerikanische Simkarte im Handy haben, konnten wir den Vermieter auch nicht kontaktieren. An einer nahe gelegenen Tankstelle ließ man uns das Telefon benutzen, aber die Mailbox des Gastgebers war voll, also blieb uns nicht viel anderes übrig, als vor dem Haus zu warten, was nach der langen Fahrt nicht so toll war. Zum Glück warteten wir dann nicht einmal eine Stunde, und das Haus war sehr komfortabel, sodass wir uns gut erholen konnten (es gab sogar einen Hotpool im Garten), wenn auch die Dekoration aus unzähligen präparierten Tierköpfen an der Wand und Fellen auf dem Fußboden etwas gewöhnungsbedürftig war. Der Gastgeber war Hobby-Jäger. Zumindest konnte er uns einige gute Tipps für den Nationalpark geben und so fuhren wir am nächsten Tag einmal quer hindurch. Die einzige Straße durch den Park trug den klangvollen Namen „Going-to-the-sun Road“, was nicht ganz unpassend war, da sie mehr als 1.000 Höhenmeter hinauf zum Logan Pass kletterte. Dort überwand sie die Continental Divide, die auf Deutsch etwas holprig ‚Nordamerikanische kontinentale Wasserscheide‘ heißt, was vereinfacht bedeutet, dass die Flüsse auf der Westseite in den Pazifik und auf der Ostseite in den Atlantik fließen. Im Großen und Ganzen bilden die Rocky Mountains diese Trennlinie, in denen wir uns auch hier befanden, und die Bergmassive um uns herum waren so beeindruckend, dass wir uns leicht vorstellen konnten, wie sie einen ganzen Kontinent teilen. Oben auf dem Pass sahen wir Bergziegen und Murmeltiere (oder etwas, das so ähnlich aussah) und wanderten bei schönstem Wetter zum Aussichtspunkt über den Hidden Lake. Einzig der Dunst weiterer Waldbrände, die auch hier in Montana wüteten, trübte die Sicht.

Glacier National Park

Great Continental Divide

Ein Murmeltier (?)

Die nächsten zwei Nächte verbrachten wir in East Glacier, einem Dorf auf der Ostseite des Nationalparks, wo es tatsächlich eine Internationale Jugendherberge gab, in der unsere Mitgliedschaft anerkannt wurde. Wir hatten zwar ein Zimmer für uns, nutzten aber die Gemeinschaftsküche und kamen so mit anderen Gästen ins Gespräch. Einen Abend unterhielten wir uns lange mit einem Deutschen aus Berlin, der oft in die Sächsische Schweiz zum Wandern fährt, und einem Iraner, der in den USA arbeitet, und hatten alle viel Spaß, die kulturellen Unterschiede zwischen unseren Ländern zu vergleichen.

Wir folgten der Empfehlung unseres schießwütigen Gastgebers aus dem vorigen Ort und machten im Nationalpark eine Tageswanderung zum Iceberg Lake. In der Jugendherberge gab es ein Café mit Bäckerei, wo wir uns früh mit Sandwiches für die Rast ausstatteten und gleich noch eine Dose Bärenspray mitnahmen, letzteres nichts zu essen sondern Notwehr im Falle einer Begegnung mit Meister Petz. Überall liest man in diesen Gegenden Ratschläge, wie man sich im Bärenland verhalten soll: beim Wandern Lärm machen, um die Tiere von vornherein abzuschrecken; falls man doch einen Grizzly oder Schwarzbär sieht, wenn möglich, mindestens hundert Meter Abstand halten und das Tier vorbeiziehen lassen. Sollte man sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen plötzlich direkt gegenüberstehen, kommt das Bärenspray zum Einsatz, bei dem es sich anscheinend um eine Art Pfefferspray handelt, die den Bär tatsächlich nicht noch aggressiver machen sondern abschrecken soll. Angeblich funktioniert das; wir hofften aber, es nicht ausprobieren zu müssen.

Die einzigen Tiere, die wir am Straßenrand auf der Fahrt zum Wanderparkplatz sahen, waren jede Menge Kühe, die ohne Zaun weideten, und einige Pferde, diese hinter Zäunen, und als wir erst einmal auf dem Wanderweg waren, machten wir uns in Anbetracht der vielen anderen Wanderer nicht allzu viele Sorgen, zumal die Mehrheit ein Bärenspray am Gürtel trug. Trotz der Menschenmassen war es eine schöne und auch ruhige Wanderung, die stetig sanft bergauf führte, erst durch einen Wald bis zu einem Wasserfall, dann durch heideähnliche Landschaft immer näher an die gewaltigen, senkrechten Felswände der Continental Divide heran, bis sie in einem Kessel am Iceberg Lake endete. Von den Namensgebern des Sees sahen wir leider nicht viel; die „Eisberge“, die eigentlich abgebrochene Stücke eines Gletschers sind, waren in der Sommerhitze alle geschmolzen bis auf einen, der einsam im Wasser trieb. Zurück ging es dann auf dem selben Weg, insgesamt etwa 15 Kilometer. Auf der Rückfahrt sahen wir, dass der Waldbrand-Smog noch dichter geworden war; in unserem Tal hatten wir davon zum Glück nichts mitbekommen.

Wanderung zum…

…Iceberg Lake, im Hintergrund die Great Continental Divide von der anderen Seite.

Der Weg war *unfassbar* staubig.

Von Glaciers fuhren wir zwei Tage mit Übernachtung in Helena nach Yellowstone, sozusagen dem Großvater aller Nationalparks, der sich größtenteils im Bundesstaat Wyoming befindet. Yellowstone ist ein Park der Superlative: schon 1872 gegründet, ist er nicht nur der älteste Nationalpark in den USA sondern weltweit. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als vier Millionen Besucher gezählt. Gelegen über der 80 km langen Caldera eines aktiven Vulkans, dem größten Vulkan auf dem amerikanischen Kontinent, befinden sich mehr als die Hälfte aller heißen Quellen auf der Welt in Yellowstone, darunter allein mehr als 300 Geysire. Die Ringstraße, die einmal durch den Park führt, ist über 220 km lang und angeblich gibt es an die 2.000 km markierte Wanderwege. In Yellowstone könnte man Wochen verbringen wenn man viel Geld hat und sich die teuren Unterkünfte in den selbst noch 100 km entfernten Ortschaften leisten kann doch fairerweise muss man auch sagen, dass ein Großteil des Parks einfach nur aus Nadelwald besteht, der nicht sonderlich eindrucksvoll ist.

Auch hier hat es schon manchmal gebrannt.

Die größten Highlights sind definitiv die geothermalen Gebiete und die Tierwelt. Zum einen abgrundtiefe, blaue Quellen, elfenbeinfarbene Sinterterrassen, gluckernde Schlammtöpfe, Geysire, das Farbenspiel der extremophilen Bakterien, die den Boden in den feurigsten Rottönen leuchten lassen. Farbenfrohe Quellen haben wir so viele gesehen, dass es schwerfällt, Favoriten zu nennen, aber die Grand Prismatic Spring war definitiv ein Höhepunkt, und ja, sie ist tatsächlich so bunt wie auf den Bildern. Der berühmteste aller Geysire, der Old Faithful, spuckt etwa einmal pro Stunde Wasser bis zu fünfzig Meter in die Höhe. Und die mineralischen Ablagerungen, welche die Sinterterrassen von Mammoth Hot Springs bilden, wirken wie aus einer anderen Welt.

Grand Prismatic Spring

Die tollen Farben kommen von den Bakterien, die in den extremen Bedingungen gedeihen.

Bäume gedeihen nicht so gut…

Noch mehr Bakterien-Kunst.

Die riesigen Sinterterrassen von Mammoth Hot Springs.

Eine abgrundtiefe Quelle

Der Old Faithful

Zum anderen sind da die Bisonherden, Hirsche, Wolfsrudel, Adler, Bären, Otter und Hörnchen, von denen man durchaus einige sieht. Bisons haben wir täglich irgendwo am Straßenrand gesehen, einmal ein Reh, auch Otter am Ufer eines Baches, und bei dem einen Wolf sind wir uns nicht ganz sicher, ob es nicht doch vielleicht ein Kojote war, er war zu weit entfernt.

Ein Bison am Straßenrand, ein alltäglicher Anblick.

Bisonherde im Hayden Valley

Auch wenn wir nur wenige Tage im Yellowstone-Nationalpark verbrachten, sahen wir unglaublich viel und können seine Anziehungskraft vollkommen verstehen. Einziger Wermutstropfen war unser mittlerweile schon dauerhafter Begleiter, der Dunst der eigentlich ziemlich weit entfernten Waldbrände, die dieses Jahr wirklich extrem gewesen sein müssen. Er begleitete uns auch noch auf unserer Fahrt durch den direkt im Süden angrenzenden Grand Teton-Nationalpark, der im Vergleich zu seinem Rekordnachbarn im Norden gerade zu ruhig und gelassen wirkte. Wir unternahmen dort nicht viel, fuhren nur zu ein paar Aussichtspunkten, bevor wir unsere Fahrt nach Süden fortsetzen und im Bundesstaat Utah einen völlig neuen Maßstab für den Begriff atemberaubend entdecken würden. Wenn wir Glaciers und Yellowstone schon überwältigend fanden, haben wir für die Nationalparks in Utah nur geübt. Ihr dürft gespannt sein…

Zum Abschluss noch ein Bild der Upper Yellowstone Falls.

Zwischen Himmel und Erde – Hawaii

11. August 2017, Mission/Kanada

Aloha, liebe Leserinnen und Leser, heute wollen wir euch von unserem zweiwöchigen Zwischenstopp im Inselparadies Hawaii berichten.

Der Flug dorthin führte uns nicht nur 8,5 Stunden über den Pazifik, sondern auch über die Datumsgrenze: Donnerstag abend losgeflogen, Donnerstag morgen gelandet – quasi ein Flug in die Vergangenheit. In Honolulu angekommen, wurden wir leider nicht mit Blumenkränzen begrüßt, wie wir uns das vorgestellt hatten, aber zumindest war es endlich wieder einmal richtig schön warm. Wir nahmen einen Shuttlebus zu unserem Hostel in der Stadt und konnten schon vormittags einchecken. Eine Dusche und ein paar kurzhosige und -ärmelige Kleidungsstücke später machten wir uns auf, die Umgebung zu erkunden und etwas zu essen aufzutreiben.

Wir waren nicht im Zentrum von Honolulu untergekommen, aber dafür in der Tourismus-Hochburg schlechthin: Waikiki. Ein riesiges Hotel stand neben dem nächsten, die kleinen Gebäude zwischen den Hochhäusern quollen über vor Souvenirgeschäften und Restaurants, und auf den Gehwegen drängten sich die Touristen in blumigen Hawaii-Hemden oder auch einfach nur sehr knapper Badekleidung, teils mit Surfboard unterm Arm oder Kindern an der Hand. Man sah Menschen jeden Alters, jeder Hautfarbe, viele Familien, und vor allem viele Japaner, für die Hawaii eines der beliebtesten Reiseziele überhaupt ist, und viele leben auch hier. Während am Flughafen in Auckland alles in Englisch und Chinesisch ausgeschildert war, ist es hier Englisch und Japanisch. So verwundert es wahrscheinlich nicht, dass wir die meiste Zeit in Honolulu japanisch aßen; Sushi war tatsächlich auch eines der günstigsten Gerichte, wenn man es im japanischen Supermarkt kaufte.

Am Nachmittag setzten wir uns an den Strand, den legendären Waikiki Beach, quasi die Copa Cabana Hawaiis. Man muss sagen, dass er – vor allem für so einen überfüllten Strand mitten in der Stadt – sehr sauber war. Es lag kein Müll herum, das Wasser hatte eine tolle Farbe und irgendwie schafften es die vielen Touristen, sich trotzdem nicht gegenseitig auf die Pelle zu rücken, auch wenn es im Wasser ziemlich voll war.

Ala Moana Beach, im Hintergrund Waikiki und Diamond Head, ein erloschener Vulkan

Am nächsten Tag nahmen wir den öffentlichen Bus ins eigentliche Stadtzentrum und liefen dort bei kuscheligen 32 °C die Sehenswürdigkeiten ab, angefangen von Chinatown, das nicht besonders chinesisch wirkte, über das State Capitol bis hin zum Palast – Hawaii war eine Monarchie, bevor es von den USA annektiert wurde. Honolulu erweckte den Eindruck einer ziemlich entspannten Metropole mit seinen weniger als 400.000 Einwohnern (auch wenn im Großraum etwa eine Million leben), aber an einem Nachmittag hat man hier alles gesehen. In einem Park am Strand fand eine Art Nachtmarkt statt, zu 95% Fressbuden mit Leckereien aus aller Welt, wo wir unser Abendessen kauften, und anschließend liefen wir an der Küste entlang bis zu einem der Hilton Hotels, das jeden Freitag nach Sonnenuntergang ein Feuerwerk veranstaltete. Man konnte zwar vor Schaulustigen am Strand kaum noch treten, aber wir fanden noch ein Fleckchen zum Sitzen und genossen das Spektakel.

In unserem Hostel-Dorm hatten wir uns mit Charlotte aus Deutschland und Jennifer aus New Jersey angefreundet, und da Jennifer ein Mietauto hatte, bot sie uns an, uns zu ihren Ausflügen um die Insel mitzunehmen. Samstag fuhren wir in die nicht weit entfernte Hana’uma Bay, die für gutes Schnorcheln berühmt ist. So berühmt, dass der Parkplatz vormittags schon voll war, als wir ankamen; zum Glück gab uns ein anderer Tourist einen Tipp, dass wir unten im Ort an der Mall parken könnten, von wo es ein Shuttle gäbe. Als wir es dann eine gute halbe Stunde später endlich an den Eingang zur Bucht geschafft hatten, mussten wir dort erst einmal Eintritt zahlen und uns dann am „Kino“ anstellen, wo ein für alle Besucher obligatorischer Informationsfilm über die Bucht gezeigt werden sollte. Da der Projektor kaputt war, lauschten wir stattdessen einem Kurzvortrag einer der freiwilligen Umweltschützerinnen, die erklärte, was man beim Schnorcheln alles nicht machen soll – nichts anfassen, nirgends drauftreten, nichts mitnehmen usw. – und dann durften wir endlich hinunter an den Strand, wo wir einen halbwegs schattigen Platz unter einer Palme fanden, den wir aber noch mit zwei anderen Gruppen teilen mussten. Wir verbrachten ein paar Stunden in der Bucht (Schnorchelausrüstung hatten wir im Hostel ausgeliehen) und es war wirklich schön, trotz der vielen Menschen und auch wenn es nicht so viele Fische wie in Südostasien zu sehen gab.

Hana’uma Bay

Am Nachmittag fuhren wir noch zum nicht weit entfernten Koko Head, einem etwa 300 Meter hohen Berg nahe der Bucht, auf den in schnurgerader Linie ein altes Eisenbahngleis hoch führt, das heutzutage als eine Art Treppe dient. Wir starteten erst am späten Nachmittag, als die Sonne nicht mehr so brannte, aber es war immer noch heiß, sehr heiß. Definitiv zu heiß, um auf Berge zu steigen. Von weitem hatte es eigentlich nicht so schlimm ausgesehen, aber je steiler der Weg anstieg, desto anstrengender wurde es. Der Schweiß lief uns in Bächen aus allen Poren. Meine Finger wurden taub, weil mein Kreislauf nicht ganz mitmachte. Nach einem Drittel der Strecke konnte ich nicht mehr – Pause, hinsetzen. Vielleicht noch zehn Stufen weiter. Wieder hinsetzen. Noch ein paar Meter – aber jetzt konnte ich wirklich nicht mehr. Geht ohne mich weiter, wir treffen uns am Auto. Ein paar Minuten später wieder ein paar Stufen, vielleicht 10-20 Höhenmeter? Nur noch ein kleines Stückchen weiter? Aber nicht bis hoch, definitiv nicht. Erstmal Pause. Von hier ist die Aussicht doch eigentlich auch schon ganz schön. Die anderen drei sind schon weit voraus, von Jennifer ist bereits nichts mehr zu sehen. Na gut, noch ein ein Stück, muss ja nicht bis ganz hoch sein…

Schlimmer als er aussieht: der Koko Head Trail

So in der Art ging es fast eine Stunde lang, aber was soll ich sagen, am Ende haben wir es doch alle irgendwie nach oben geschafft, und man hatte einen tollen Rundumblick auf die Hana’uma Bay, Honolulu in der Ferne und die Berge in der Inselmitte. Insgesamt war die Natur aber viel trockener und weniger grün, als wir uns das in Hawaii vorgestellt hatten. Die einzigen waren wir natürlich auch hier nicht; auf der Treppe wimmelte es nur so von Wanderern und Fitnesswütigen; viele Leute trainieren hier auch einfach. Für den Hawaii Ironman oder so. Wir mussten jedenfalls wieder unten erst einmal am nächsten Supermarkt jeder eine große Flasche Gatorade kaufen, so eine Art Elektrolyt-Limonade, um unsere leeren Tanks aufzufüllen. Wir machten noch einen kurzen Stopp an einem Blowhole, das aber nicht sonderlich beeindruckend war, bevor wir nach Honolulu zurückfuhren.

Blick vom Koko Head auf die Hana’uma Bay…

…und in Richtung Honolulu

Der nächste Tagesausflug führte uns zum North Shore, der Strandregion im Norden der Insel. Am Turtle Beach sahen wir tatsächlich Meeresschildkröten – ein halbes Dutzend trieb im kristallklaren Wasser direkt vor dem Strand, und eine lag sogar im Sand und sonnte sich. Eine Freiwillige passte auf, dass niemand der Schildkröte zu nahe kam und erklärte uns, dass nur hawaiianische Schildkröten zum Sonnenbaden an Land kommen, und das auch erst mit zunehmendem Alter.

Wie viele Schildkröten haben sich in diesem Bild versteckt?

Meeresschildkröte sonnt sich

Im kleinen Ort Haleiwa aßen wir Mittag an einer Gruppe Fressbuden, von denen zumindest eine anscheinend in jedem Reiseführer stand, denn wir warteten dort locker eine halbe Stunde oder länger, weil Jennifer die Shrimps probieren wollte. K und B hielten sich lieber an eine andere hawaiianische Spezialität, die Acai-Bowl: Sorbet aus Acai-Beeren, darauf Obst (Bananen, Erdbeeren und Heidelbeeren), Müsli und Honig – sehr erfrischend und leicht, bei der Wärme genau das richtige.

Acai Bowl: gesund und lecker!

Danach fuhren wir zum Baden an den Waimea Beach, der mit goldenem Sand und türkisblauem Wasser lockte, aber leider auch entsprechend gut besucht war. Wir fanden einen schattigen Platz unter ein paar dürren Palmen und wechselten uns mit dem Badengehen ab. Das Wasser war ideal zum Schwimmen, wenn auch etwas kälter als erwartet – vermutlich der Lage mitten im Pazifik geschuldet. Es war ein sehr schöner Nachmittag, bis auf den Teil wo mich wieder der Plankton am ganzen Körper biss, und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, trat ich mir zwischen all den dürren Ästen und vertrockneten Palmblättern neben unserer Sitzecke auch noch einen Schiefer ein. Nur dass es eher ein mehrere Millimeter dicker, spitzer Ast war, und dieser sich gefühlt mehrere Zentimeter tief in die Seite meines Fußballens am großen Zeh bohrte. Vor lauter Schreck zog ich ihn gegen etwas Widerstand wieder heraus und dann tat es sehr, sehr weh. Mit Kathrins Hilfe humpelte ich zum Rettungsschwimmer-Häuschen (die Lifeguards sind hier zugleich Ansprechpartner für Wehwehchen aller Art), wo man die Stelle desinfizierte und ein Pflaster draufklebte, und dann wurde ich sogar mit dem Quad zu unserem Auto gefahren, wo die anderen inzwischen warteten. Kathrin holte mir abends eine antibiotische Salbe, die der Rettungsschwimmer empfohlen hatte, und dann war Hawaii für mich erstmal gelaufen.

Die nächsten zwei Tage lag ich nur im Bett und hüpfte allenfalls auf einem Bein ins Bad, da ich beim besten Willen nicht auftreten konnte; der ganze Fuß war geschwollen. Kathrin brachte mir Essen und machte mit Jennifer noch einen Ausflug zum Diamond Head, sozusagen dem Hausberg von Waikiki, der ein erloschener Vulkan ist.

Blick auf Honolulu und den Diamond Head

Der innere Krater des Diamond Head

An unserem letzten Abend in Honolulu gingen wir zu einer Hula-Show am Strand, die nur ein paar hundert Meter von unserem Hostel entfernt war, soweit humpeln konnte ich bis dahin schon wieder. Verschiedene Gruppen traten dort auf, unter anderem mehrere Urlauber, die während ihrer Zeit in Hawaii Hula-Stunden genommen hatten, und vor allem zwei kleine Jungen aus Japan taten es uns und wahrscheinlich allen anderen Zuschauern an.

Zwei kleine Cowboys bei der Hula Show

Und damit endete unsere Zeit auf der Insel Oahu schon; am nächsten Morgen halb acht flogen wir auf die größte und südlichste der hawaiianischen Inseln: das eigentliche Hawaii, auch Big Island genannt. Der Flug dauerte nur eine knappe Stunde und kaum, dass wir den Flieger verließen, merkten wir, dass die Uhren hier ganz anders tickten. Der Flughafen von Hilo war winzig, die Gepäckbänder befanden sich quasi schon draußen in der offenen Lobby und wenn man den Blick schweifen ließ, sah man nur ein paar kleine Häuschen und weite, grüne Hänge in der Ferne. Die Umgebung war auffällig flach, dafür dass das doch hier die Insel der Vulkane sein sollte? Wir nahmen uns ein Taxi zu unserem Hostel, aber dort angekommen mussten wir feststellen, dass das kleine Holzhaus verschlossen war und weder eine Klingel noch eine Telefonnummer hatte. Wir lungerten gut und gern eine Viertelstunde ratlos draußen herum, bis zufällig doch einmal jemand herauskam – glücklicherweise ein Freiwilliger, der dort arbeitete und uns trotz der frühen Stunde schon einchecken ließ.

Hilo aus der Luft

Hilo war nach dem hektischen Waikiki ein wahrer Segen, so klein und verschlafen; fast alle Gebäude waren hübsche, bunte Holzhäuser (bei den zahlreichen Erdbeben stabiler als Stein) und kaum eines war höher als zwei Stockwerke. Unser Hostel war ein blaues Häuschen mit einer gemütlichen Veranda im ersten Stock, auf der wir viel Zeit verbrachten, da ich ja weiterhin kaum laufen konnte. Zum Glück hatten wir einen Mietwagen reserviert, den wir am nächsten Morgen abholen konnten. Hatte es auf Oahu noch ein sehr gutes Busnetz gegeben, fuhr der öffentliche Bus hier vielleicht fünfmal am Tag und sobald man zu den Vulkanen oder Wasserfällen wollte, war man auf das Auto angewiesen – die Insel heißt nicht umsonst Big Island. Und so chauffierte Kathrin mich fortan zu allen Sehenswürdigkeiten, wo ich dann nur die paar Schritte vom Parkplatz bis zum Aussichtspunkt humpeln musste.

Wir schauten uns ein paar schöne Wasserfälle an und fuhren zum Aussichtspunkt über das Waipio Valley, ein sattgrünes Tal zwischen senkrechten Wänden, an einer Seite offen zum Meer. Einen Tag fuhren wir einmal um die ganze Insel herum und stellen fest, dass das wirklich sehr weit war (über 360 km). Bei dieser Gelegenheit machten wir auch eine Mittagsrast in Kona, der anderen „Stadt“ auf Big Island, und waren froh, dass wir nicht dort wohnten. Wo Hilo grün und ruhig war, war Kona heiß, hektisch, und lag mitten in einer savannenähnlichen Einöde auf der Nordwestseite der Insel. An einem schwarzen Strand sahen wir Meeresschildkröten in der Brandung schwimmen.

Die Akaka Falls

Ausblick über das Waipio Valley

Black Sand Beach

Eines schönen Nachmittags machten wir uns auf zum Mauna Kea, dem höchsten Punkt von Big Island und – vom Meeresboden aus gemessen – höchsten Berg der Welt mit über 10.000 Metern. Wir hatten etwas Sorge, dass wir oben nichts sehen würden, da es eigentlich immer bewölkt war, aber nach einer Weile ließen wir die Wolken unter uns und schauten über sie hinweg. Das Kuriose an Big Island ist, dass es sich zwar im Prinzip um eine einzige, aus dem Meer aufragende Vulkanmasse handelt, man aber auf der Insel nicht wirklich Berge sieht. Obwohl man weite Strecken mit dem Auto zurücklegt, hat man das Gefühl, sich immer nur auf einer leicht geneigten Ebene zu befinden. Doch eh man es sich versieht, ist man auf 3000 Meter Höhe am Besucherzentrum des Mauna Kea angekommen. Der Gipfel liegt noch ein Stück höher (auf 4.207m), doch dorthin hätte nur eine Schotterpiste für Allradfahrzeuge geführt – leider in unserem Mietvertrag ausgeschlossen. Aber es gab trotzdem viel zu sehen.

Mauna Kea

Der Mauna Kea liegt in punkto Lichtverschmutzung in einer besonders dunklen Gegend, so mitten im Pazifik, das heißt, wenn es dunkel wird, sieht man besonders viele Sterne. Daher befindet sich auf dem Gipfel ein großes Observatorium, und unten im Besucherzentrum werden regelmäßig Informationsabende veranstaltet. Entsprechend waren wir nicht die einzigen Besucher und mussten schon froh sein, noch einen Parkplatz zu erwischen, aber in den Vortrag eines Observatoriumsmitarbeiters kamen wir leider nicht mehr hinein. Stattdessen stiegen wir auf einen Hügel und genossen von dort aus einen der schönsten Sonnenuntergänge unserer Reise. Wer sich noch an unseren Sonnenaufgang auf den Klippen in Nordthailand erinnert: dies war definitiv das abendliche Pendant dazu. Mit bestem Rundumblick beobachteten wir, wie die Sonne die kleinen Krater am Hang und das Wolkenmeer über Hilo in immer tieferes Rot tauchte, während im Osten der Mond am bereits dunklen Himmel aufging und sich über uns die ersten Sterne zeigten.

Das Wolkenmeer über Hilo

Einfach unbeschreiblich…

Der Mond war leider auch der Grund, dass wir nicht so viele Sterne sehen konnten wie sonst (etwa 400 im Vergleich zu 4.000 bei Neumond), aber es war trotzdem beeindruckend. Kein Kreuz des Südens mehr am Horizont, dafür war der Große Wagen wieder in unser Blickfeld gerückt. Am Besucherzentrum waren mehrere große Teleskope aufgebaut, durch die man verschiedene Himmelskörper sehen konnte. An jedem stand eine lange Schlange an und so schafften wir am Ende nur drei der fünf, aber es hat sich echt gelohnt. Wir sahen Jupiter, sogar mit seiner streifigen Oberfläche, umgeben von seinen vier Monden. Saturn mit seinen Ringen! Und die Mondkrater in einer Präzision, dass man sogar noch die Kraterränder und die Krater in den Kratern sah. Es war so beeindruckend.

Als es noch hell war, konnte man Sonnenflecken durch ein Teleskop beobachten.

Und als ob das noch nicht genug der Highlights gewesen wären, gab es natürlich noch den Vulkan-Nationalpark, dessen Eingang sich passenderweise gleich hinter dem Dorf Volcano befand, und wo wir mehrere Tage zubrachten. Kern des Parks ist Kilauea, der aktivste Vulkan der Erde – seine letzte Eruption begann im Januar 1983 und hält bis heute an. Fährt man entlang der 35km langen Chain of Craters Road vom Krater hinab zur Küste, sieht man buchstäblich schwarz: erkaltete Lavafelder, soweit das Auge reicht, markiert mit Schildern à la „Ausbruch 1974“, „Ausbruch 1983“ usw.; dazwischen zahlreiche nicht mehr aktive Nebenkrater, Schwefelfelder und Petroglyphen. Letztere sind in die Lava geritzte Symbole der hawaiianischen Ureinwohner, die dort die Nabelschnuren ihrer neugeborenen Kinder vergruben und beteten, dass diese so kräftig sein und ein so langes Leben führen mögen wie die Lava. Die Hawaiianer verehren den Vulkan als die Göttin Pele, die neues Land und damit neues Leben erschafft.

Lavafelder soweit das Auge reicht – dazwischen schlängelt sich die Chain of Craters Road

Der Hauptkrater des Kilauea besteht überwiegend aus erkalteter Lava, aber an vielen Stellen steigt Dampf aus dem Boden auf, wie auch aus dem Kraterrand, auf dem man steht und wo die Straße entlangführt. Im Krater befindet sich ein weiterer, kleinerer Krater mit dem Namen Halema’uma’u (gesprochen halle-ma-u-ma-u), Wohnsitz der Göttin Pele, und aus diesem steigt beständig eine dicke, bläuliche Dampfwolke auf, die langsam in Richtung Horizont treibt. Man kann den Krater aus sicherer Entfernung von einem Aussichtspunkt beobachten; hinunter darf man nicht. Bleibt man bis nach Sonnenuntergang, wird man mit dem einmaligen Anblick von Peles glühendem Atem belohnt: orange-rot leuchtet der Dampf aus dem Krater und wenn man ganz großes Glück hat, sieht man sogar ab und zu die Lava hochspritzen.

Regenbogen über dem Krater

Laufen konnte ich zwar nicht, aber fliegen ging und so konnte ich glücklicherweise einen weiteren, lang ersehnten Punkt auf meiner Bucket List angehen: einen Helikopterflug über den Vulkan. Kathrin brachte mich zum kleinen Flughafen von Hilo und winkte, während ein freundlicher Mitarbeiter mich im Golfcart über das Rollfeld fuhr und mich und die anderen drei Passagiere im Hubschrauber gut anschnallte. Gutes Anschnallen war hier oberstes Gebot, ebenso wie feste Schuhe und Handschlaufen für die Kamera. Der Helikopter hatte nämlich keine Türen, damit man die Hitze des Vulkans spüren konnte. Wenn schon, dann richtig.

Auf, auf und davon!

Der Rundflug dauerte ungefähr eine Dreiviertelstunde und war unglaublich stürmisch. An das gelegentliche Wackeln des Helikopters gewöhnte ich mich irgendwann, aber nicht an den Wind, der mir selbst mein Pony wie Peitschenhiebe ins Gesicht schlug. Aber das war es sowas von wert. Zuerst flogen wir über die endlosen erkalteten Lavafelder, die in allen Schwarz-, Grau- und Anthrazittönen unter uns lagen, bis zur Küste, wo ein beständiger Lavastrom ins Meer fließt und dabei nicht nur eine riesige Dampfwolke sondern auch immer mehr neues Land erzeugt. Dann ging es hinauf in Richtung Krater, wobei es nicht der Halema’uma’u-Krater war, aus dem wir es abends dampfen sehen hatten, sondern ein anderer, weiter hangabwärts, der den Namen Pu’u O’o trägt (einfach jeden Vokal zweimal sprechen). An der Seite des Hangs war ein silbrig-glänzender Lavafluss zu sehen, der stellenweise sogar orange glühte; der Pilot sagte, dieser wäre erst einige Stunden zuvor an die Oberfläche getreten. Im Krater selbst sah man ebenfalls die Lava glühen, und auch, wenn es nicht schweißtreibend heiß im Helikopter war, spürte man schon die Wärme in 150 Metern Höhe. Zurück ging es über Regenwald und Wasserfälle – was für ein tolles Erlebnis!

Flach und grün ist der Südosten von Big Island.

Lava und Regenwald.

Feuer trifft Wasser, wo der Lavastrom ins Meer fließt; rechts sieht man noch die abrupt endende Straße.

Je silbriger die Lava glänzt, desto frischer ist sie.

Der Pu’u O’o-Krater

Am letzten Abend, als ich schon wieder halbwegs auftreten konnte, fuhren wir nach Kalapana an der Küste unterhalb des Kilauea. Vom gut gefüllten Parkplatz führte eine 7km lange Piste zum Lavafluss, und da wir nicht so weit laufen wollten bzw. konnten, liehen wir uns Fahrräder, was die Wegezeit von zwei Stunden auf 30 Minuten verkürzte. Am Ziel angekommen ging es noch ein paar Schritte über erkaltete Lava und dann beobachteten wir fast aus nächster Nähe (man musste 300 Meter Sicherheitsabstand einhalten), wie das geschmolzene Gestein unter großen Dampfwolken zischend ins Meer floss. Als es dann allmählich dunkel wurde, sah man die Lava feurig glühen, und auf dem Rückweg sahen wir dann auch an vielen Stellen am Hang kleine Lavaflüsse wie Fackeln in der Dunkelheit leuchten – ein unvergesslicher Anblick. Auch wenn Hawaii von Deutschland sehr weit weg ist, würden wir beide den Weg wieder auf uns nehmen, um noch mehr von diesen traumhaften Inseln zu entdecken.

Lava fließt ins Meer; es entsteht neues Land (und viel Dampf).