Weiße Gipfel, grüne Wälder, blauer Dunst

11. August 2017, Mission/Kanada – 4. September 2017, West Yellowstone, Montana/USA

Gestern noch in Hilo bei stickigen 33°C auf dem Balkon unseres Hostels gesessen und die Geckos auf dem Geländer beobachtet, befinden wir uns heute schon in der kanadischen Provinz British Columbia, an einem breiten Strom, umgeben von endlosen Nadelwäldern, während sich die Luft anfühlt wie Sommer im Gebirge. Von Hilo aus waren wir abends nach Honolulu zurück geflogen und hatten eine super Aussicht auf den Mauna Kea über den Wolken bei Sonnenuntergang. Nachts flogen wir dann die fünfeinhalb Stunden nach Vancouver, holten morgens direkt am Flughafen unseren Mietwagen ab und schafften es noch bis in ein Kaff namens Mission, wo wir zu müde waren um weiterzufahren und uns daher im erstbesten Motel einquartierten. Dieses hieß lustigerweise Diamond Head Motel (wie der Hausberg vom Waikiki Beach) und warb sogar mit einer Silhouette ebendieses Berges, aber warum es so hieß, konnte uns der Manager auch nicht sagen.

Am nächsten Morgen setzten wir unsere Fahrt in Richtung Rocky Mountains fort und mussten feststellen, dass Kanada wirklich sehr, sehr groß ist. Wir fuhren über 500 km bis nach Blue River und waren immer noch nicht am Ziel, aber die Landschaft sah schon so aus, wie wir uns Kanada vorgestellt hatten: riesige Berge, endlose Wälder, türkisblaue Flüsse; einmal sahen wir einen Fischadler über uns kreisen und ein Elch trank aus einem See. Am dritten Tag erreichten wir immerhin McBride an den Ausläufern der Rockies, wo wir zwei Nächte blieben und die Umgebung erkundeten. Auf dem Weg dorthin waren waren wir gut und gern 30 Kilometer durch dicken, blauen Dunst gefahren, da im Nachbartal ein großer Waldbrand wütete. Kanada hatte in den Wochen vor unserer Ankunft die schlimmste Hitzewelle seit 60 Jahren erlebt und allein in British Columbia, dem Bundesstaat, in dem wir uns befanden, gab es fast 150 Waldbrände. Unser Autothermometer zeigte einmal sogar 37°C – wärmer als auf Hawaii! Und dann zogen über Nacht dicke Wolken auf, die Temperatur fiel binnen 24 Stunden auf 13 Grad, doch anstatt die Luft zu verbessern, staute sich der Qualm unter der Wolkendecke und es wurde noch schlimmer. Erst am Nachmittag, nachdem es eine Weile wie von den Farmern sehnsüchtig erwartet geregnet hatte, legte sich der Gestank.

Wir machten einen Ausflug zu einem Fluss, wo man die Lachse stromaufwärts über einen kleinen Wasserfall springen sehen konnte – aber leider waren wir wohl zu früh, bzw. die Lachse dieses Jahr etwas spät dran, wie man uns danach sagte; wir sahen jedenfalls keinen einzigen. Bei wolkenverhangenem Himmel wanderten wir außerdem durch einen gemäßigten Regenwald mit über 1.000 Jahre alten Zedern, von deren Ästen die Flechte wie Bärte hingen. Auf dem Weg dorthin sahen wir sogar einen Schwarzbär über die Straße laufen – leider hatten wir die Kamera nicht schnell genug griffbereit, also müsst ihr uns das jetzt einfach so glauben.

The Ancient Forest

Am nächsten Tag passierten wir den Mt. Robson Provincial Park, ein Naturschutzgebiet zu Füßen des fast 4.000 Meter hohen Mt. Robson, welcher der höchste Gipfel der kanadischen Rocky Mountains ist. Dort unternahmen wir eine Wanderung zum Kinney Lake, einem türkisblauen See inmitten tiefer Nadelwälder. Kanadas Landschaft ist wirklich traumhaft schön.

Zufluss zum Kinney Lake, Mt. Robson

Abends erreichten wir Jasper, die einzige Ortschaft im Jasper Nationalpark, welcher der größte in den kanadischen Rockies ist. Hatten wir bisher in Motels übernachtet, war es hier eine Jugendherberge, in der wir zufälligerweise zwei Betten im 28er-Schlafsaal ergattert hatten und prompt noch jede eine Jugendherbergsmitgliedschaft erwarben. In Kanada ist nicht nur gerade Hauptreisezeit, sondern der kanadische Dollar steht aktuell auch eher schlecht zum US-Dollar, weshalb viele US-Amerikaner nach Kanada reisen und die Kanadier es sich nicht leisten können, in die USA zu fahren und deshalb zu Hause Urlaub machen. Noch dazu feiert das Land dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen, entsprechend wimmelt es nur so von Touristen – vor allem, da es anlässlich des Jubiläums kostenlosen Eintritt in die Nationalparks gibt. Für uns bedeutete das leider, dass wir unsere Zeit in Kanada von vornherein durchplanen und alle Quartiere schon im Voraus buchen mussten, wenn wir nicht überall das letzte, teuerste Zimmer abkriegen wollten.

So konnten wir leider auch nicht das schlechte Wetter abwarten, das für den nächsten Tag angesagt war und machten uns früh bei frischen 11°C und einer dicken Wolkendecke auf den Weg zu einem Wasserfall und einem ehemaligen Handelsposten am Fluss. An der Straße sahen wir ein Bighorn-Schaf, und einmal kreiste ein Fischadler über uns. Danach wollten wir im Maligne Canyon wandern, aber der Parkplatz sah schon sehr voll aus, also fuhren wir erst einmal weiter zu zwei Seen. Am Medicine Lake sahen wir eine Elchkuh mit Kalb auf einer Insel, die dann prompt ins Wasser wateten und durch den See ans andere Ufer schwammen. Mittlerweile haben wir gelernt, dass Elche gut schwimmen und auch mehrere Meter tief tauchen können, um Wasserpflanzen zu fressen. Der am Ende des Tals gelegene Maligne Lake sollte eigentlich einer der schönsten Kanadas sein, aber der Charme der dramatischen Umgebung blieb leider im Wolkendunst verborgen.

Bighorn-Schaf

Medicine Lake – wer entdeckt die schwimmenden Elche?

Kleiner Tipp: das sind sie.

Wir versuchten es noch mit einer anderen Wanderung am Old Fort, einem schönen Waldweg, der auf einen Berg mit spektakulärer Aussicht führte. Leider versagte auf halber Strecke mein Schuhwerk. Man muss dazu sagen, dass mein Fuß nach dem Splitter auf Hawaii eigentlich gut verheilt war, aber es drückte immer noch an einer stetig größer werdenden Blase und deshalb konnte ich weiterhin keine Sandalen oder Wanderschuhe anziehen, sondern absolvierte all unsere Ausflüge in Flipflops. Mal davon abgesehen, dass ich mich normalerweise immer über die „Halbschuhtouristen“ in bergigem Gelände lustig mache, war das auch einfach eine ziemlich kühle Angelegenheit, wo doch der kanadische Rekordsommer an unserem zweiten Tag ein jähes Ende gefunden hatte. Auf ebendiesem Wanderweg blieb ich nun an einer völlig unscheinbaren Wurzel hängen und der Flipflop ging kaputt. Natürlich auch noch der am invaliden Fuß. Diese Flipflops haben mich durch Prag getragen, über scharfkantige Klippen in Japan, erkaltete Lavafelder auf Hawaii und viele Sommertage lang zur Arbeit. Ihr werdet mir fehlen, treue Gefährten. So musste ich erst einmal barfuß zurück zum Auto – zum Glück war der Weg überwiegend weich, und die entgegen kommenden Wanderer grüßte ich mit einem Lächeln, als ob es ganz normal wäre, barfuß durch die kanadische Wildnis zu spazieren. Nun musste der Fuß doch irgendwie in die Trekkingsandale, aber Kathrin kam auf die geniale Idee, die sich formende Beule mit links und rechts mit Ohropax abzupolstern, die mit Hansaplast angeklebt wurden; so war ich zumindest erst einmal wieder mobil (und nicht mehr barfuß).

Immerhin war die Aussicht schön, wenn leider auch sehr grau im Dunst der Waldbrände.

Und das war auch gut so, denn wir hatten ganz spontan für diesen Abend Karten für ein kulturelles Event der Region besorgt. Als wir morgens aufgewacht waren, hatten wir noch keine Ahnung, dass wir abends zum Rodeo gehen würden, aber dann sahen wir das Plakat und wann bietet sich schon einmal so eine Gelegenheit? Von Jasper aus sollte es einen Shuttle zum Gelände geben, aber als wir dann vor der alten Feuerwehr mit all den anderen Leuten warteten und zwei Taxi-Vans angefahren kamen, wurde klar, dass die Veranstalter nicht mit so viel Andrang gerechnet hatten. Wir hatten Glück und kamen schon mit dem zweiten Taxi mit – Vorteil, wenn man klein ist und auf die enge Rückbank passt. Am Rodeogelände angekommen suchten wir uns Sitzplätze auf der offenen Tribüne; da wir eine Stunde eher da waren, gab es noch Auswahl. Außerdem besorgten wir uns zum Abendbrot ein kanadisches Nationalgericht an der Imbissbude: Poutine. Hinter diesem Haute Cuisine implizierenden weil französischen Namen verbergen sich Pommes mit einem mozzarella-ähnlichen, zerkrümelten Käse und Bratensauce, was tatsächlich wesentlich besser schmeckt als es klingt.

Die Reihen hatten sich inzwischen gut gefüllt und Punkt 18:00 begann das Rodeo. Alle Beteiligten waren stilecht gekleidet in Jeans und Lederstiefeln, karierten Hemden und den obligatorischen Hüten. Zur Einstimmung gab es eine Vorführung im Formationsreiten, an deren Ende die Reiterinnen noch die Flaggen der Sponsoren durch die Arena trugen. Danach ging es gleich richtig zur Sache mit dem, was wir in Deutschland unter Rodeo verstehen: Cowboys auf wild ausschlagenden Pferden, die sich nur mit einer Hand an einem Gurt um den Pferdebauch festhalten durften und eine bestimmte Zeit lang oben bleiben sollten. Abgeworfen wurde tatsächlich fast keiner; die gängige Methode zum Absteigen bestand darin, dass zwei Hilfsreiter nach erfolgreich absolvierter Zeit das buckelnde Pferd zwischen sich nahmen und der Cowboy auf eines der Nachbarpferde wechselte. Alle Rodeoreiter trugen zudem eine Art Kevlarweste, um ihre Wirbelsäule zu schonen, die bei jedem Satz mit dem Rücken des Pferdes kollidierte. Leider trugen die Pferde keinen Wirbelsäulenschutz.

(Zwei Anmerkungen zum Video: erstens wurde uns später von einer Pferdeliebhaberin versichert, dass die Rodeopferde keine Stacheln o.ä. unter den Gurt bekommen, sondern auf das Buckeln trainiert sind und sich nicht wehtun, sonst würde der Tierschutz eingreifen. Zweitens ist der Clown, der am Ende des Videos auf dem Zaun sitzt…nun ja, der Clown. Gehört anscheinend zu jedem Rodeo.)

Als nächstes sollten Kälber mit dem Lasso gefangen werden. Wenn ein Cowboy das Kalb erwischt hatte, sprang er sofort vom Pferd, griff das arme Kälbchen und warf es auf den Boden, wo er ihm dann in Windeseile drei Beine mit einem Seil zusammenband. Das Kalb musste dann mindestens sechs Sekunden liegen bleiben, sonst gab es Strafpunkte. Die Cowboypferde wussten auch genau, was sie zu tun hatten und hielten das Seil, das am Sattelknauf befestigt war, straff, während der Reiter arbeitete. Zum Schluss kamen immer zwei Helferinnen und befreiten das Kalb, bevor der nächste dran war.

Kälberfangen

In einer weiteren Disziplin arbeiteten zwei Reiter zusammen, um ein Kalb zu fangen: einer warf das Lasso um die Hörner des Kalbs und der andere sollte eigentlich dessen Hinterbeine mit einem weiteren Lasso erwischen, aber das gelang nur einem Paar. Zwischendurch gab es eine Vorführung im Kunstreiten, bei der drei Frauen auf galoppierenden Pferden akrobatische Figuren zeigten, die der Schwerkraft gänzlich zu trotzen schienen. Davon abgesehen war die einzige Damendisziplin das Barrel Race, bei dem drei Fässer mit dem Pferd möglichst schnell umrundet werden mussten, ohne diese umzustoßen.

Barrel Race

Zum Abschluss wurden noch mehr buckelnde Tiere geboten: erst Pferde, diesmal mit Sattel, und dann als krönenden Abschluss Stiere. Hatten die Cowboys auf den Pferden noch ihre Hüte auf, trugen sie hier einen Helm mit Gesichtsgitter ähnlich Eishockey-Spielern zusätzlich zu den Kevlarwesten. Diesmal gab es auch keine Hilfsreiter; absteigen oder herunterfallen musste jeder selbst und dann schleunigst das Weite suchen. Es war auf jeden Fall mal ein Erlebnis der anderen Art

So wie man sich Rodeo eben vorstellt…

Nebenbei wurden noch Lottotickets und Popcorn verkauft, und der Clown versuchte, die Zuschauer zum Tanzen zu animieren, wobei er mit dem größtenteils auswärtigen Publikum (so viele Deutsche…) seine liebe Mühe hatte. Das ganze Spektakel dauerte reichlich zwei Stunden, und danach wollten natürlich alle gleichzeitig mit dem Shuttle zurück in den Ort. Immerhin hatte man inzwischen gemerkt, dass es mit den Taxis allein nichts wird, bzw. gab es wahrscheinlich auch kaum noch Taxis, da viele Leute sich privat eins bestellt hatten, und so fuhr jetzt ein kleiner Bus, der aber trotzdem noch drei Runden brauchte, bis er alle aufgesammelt hatte.

Am nächsten Morgen verließen wir Jasper und machten uns auf den Weg in den benachbarten Banff-Nationalpark. Der Highway dorthin wird Icefields Parkway genannt, da er an mehreren Gletschern vorbeiführt. Leider sahen wir von diesen gar nichts, da wieder Rauchschwaden von Waldbränden die Sicht behinderten. Zwei schöne Wasserfälle lagen an der Strecke, die Athabasca und die Sunwapta Falls, an denen wir jeweils kurz hielten; und einmal stand eine Gruppe Bergschafe (wobei wir uns bezüglich der Art nicht ganz sicher sind) am Straßenrand und verursachte erst einmal einen Stau durch die vielen Schaulustigen (uns eingeschlossen). Stau in Folge von interessanten Tieren am Straßerand wird hier bear jam, also Bärenstau genannt. Auch Gänse und einen Steinadler sahen wir, und mehrere Eichhörnchen und Streifenhörnchen. Zum Tiere beobachten ist Kanada echt toll. Als der Dunst gegen Nachmittag abzog, hielten wir noch am Peyto Lake und am Lake Louise, wo es kurze Spaziergänge zu Aussichtspunkten gab.

Athabasca Falls, direkt stimmungsvoll im Waldbrand-Smog

Huftiere am Straßenrand…

…sorgen fast immer für Stau durch Schaulustige.

Eichhörnchen

Bei schönstem Wetter erreichten wir am frühen Abend Banff, den einzigen Ort im gleichnamigen Nationalpark, wunderschön gelegen inmitten hoher Felswände, aber von Touristen hoffnungslos überlaufen. Die Jugendherberge kostete deutlich mehr als in Jasper, obwohl sie zur selben Kette gehörte, und auch alle anderen Aktivitäten waren teuer. Statt kostengünstig wandern zu gehen, machten wir aber am nächsten Morgen erst einmal einen Ausflug ins Medical Center, da die Beule an meinem Fuß jetzt auch warm wurde und alles auf eine Entzündung hindeutete. Und siehe da, eine Betäubungsspritze und etwas Sucherei mit der Pinzette später, fand sich ein über 1 cm langer Dorn, um den sich ein Abszess gebildet hatte. Da war sogar der Arzt überrascht. Hoffen wir mal, dass wir ab jetzt von weiteren Arztbesuchen verschont bleiben.

Danach versuchten wir unser Glück an zwei Wanderpunkten, wo ich im Auto auf Kathrin gewartet hätte, aber an dem einen war der Weg, den sie gehen wollte, für Wartungsarbeiten geschlossen, und an dem anderen fanden wir schlicht und ergreifend keinen Parkplatz mehr. Da die Betäubung in meinem Fuß dann auch nachließ, verbrachten wir den Nachmittag in der Jugendherberge mit notwendigen Dingen wie Wäsche waschen, Auslandskrankenversicherung verlängern, Blog schreiben und vor allem: Füße hochlegen.

Mit der Wanderung zum Johnston Canyon, wo wir am Vortag nicht parken konnten, wurde es am nächsten Tag doch noch etwas, da wir zeitig starteten. Kathrin machte sich allein auf den Weg zu den Wasserfällen im Canyon, während ich im Auto meinen Fuß schonte. Danach gönnten wir uns ein Ahorn-Walnuss-Eis und fuhren nachmittags nach Radium Hot Springs, wo wir eine Nacht in einem gemütlichen B&B verbrachten, von dessen Terrasse man einen wunderschönen Blick auf die Berge der Umgebung hatte. Unser Gastgeber reparierte sogar provisorisch meinen kaputten Flipflop, hurrah.

Die Umgebung von Banff

Wanderung im Johnston Canyon, sogar bei klarem Himmel!

Von Radium aus fuhren wir nach Golden, wo wir zwei Nächte in einem Hostel im Blockhüttenstil gebucht hatten. Golden war ein guter Ausgangspunkt, um noch einmal in den Banff-Nationalpark zu fahren und am Lake Louise wandern zu gehen. Der See mit seiner türkisblauen Farbe ist eine der größten Attraktionen im Nationalpark und entsprechend gut touristisch erschlossen. Trotz relativ früher Ankunft wurden wir unser Auto auf dem gigantischen Parkplatz nicht mehr los und mussten sieben Kilometer weiter auf den Ausweichplatz fahren, von wo ein Shuttleservice eingerichtet war. Das funktionierte ziemlich gut, und während wir warteten, konnten wir gleich noch die Sonnenfinsternis beobachten, die hier im Norden zwar nur partiell war, aber dafür dank einiger Wölkchen am Himmel auch ohne Spezialbrille gut zu sehen war.

Die Sonnenfinsternis

Am See angekommen mussten wir uns noch durch die Touristenmassen schieben, bis wir endlich auf den Weg zum Lake Agnes trafen. Alleine waren wir dort natürlich auch nicht, aber es war trotzdem eine schöne Wanderung mit herrlichen Ausblicken auf den See. Am Ziel gab es ein Teehaus, eine Art kleine Baude, wo wir Sandwiches und Suppe zum Mittag aßen und sehr nett mit einem Kanadier und seiner Tochter ins Gespräch kamen, die uns noch ein paar Tipps für die Weiterreise gaben. Sie waren erst diesen Sommer in Deutschland im Urlaub gewesen und waren ganz begeistert, wie wir umgekehrt auch von ihrem Land.

Lake Louise und…

…unser Ziel, Lake Agnes

Die Wanderung hatte noch einmal so richtig gut getan, bevor wir wieder über 700 Kilometer Auto fahren mussten, um nach Vancouver zurückzukehren. Die Fahrt führte wieder lange Zeit durch Rauch von Waldbränden, es stank und der Himmel war gelb und unheimlich. Nach anderthalb Tagen gaben wir unser Auto am Flughafen zurück und waren ab da wieder auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen, der in Vancouver zum Glück ziemlich gut ist.

Wir hatten uns wieder einmal ein Hostel im Zentrum gebucht, wo wir einen Zweier-Schlafsaal bekamen: ein Zimmer mit nur einem Doppelstockbett. Auch gut, mehr Ruhe für uns. Gleich am Nachmittag machten wir einen Bummel durchs Stadtzentrum und fuhren hinauf zum Vancouver Lookout, einer Aussichtsplattform im Harbour Center, das nur 200 Meter von unserem Quartier entfernt lag. Dank unserer kurz zuvor erworbenen Jugendherbergsmitgliedschaft kamen wir sogar zum halben Preis hinein, und das Ticket galt für beliebig viele Besuche innerhalb eines Tages, sodass wir abends noch einmal hingingen, um das Lichtermeer der Stadt zu bewundern.

Downtown Vancouver bei Tag…

…und Nacht.

Danach gingen wir erst einmal getrennte Wege. Kathrin hatte sich für den nächsten Tag zu einer Walbeobachtungstour angemeldet und brach gleich nach dem Mittagessen auf. Ich ruhte mich tagsüber aus und hatte dafür abends große Pläne – dazu muss ich aber etwas ausholen: Vancouver besitzt eines der größten Filmstudios in Nordamerika und trägt daher auch den Beinamen „Hollywood North“. Eine meiner Lieblingsserien geht in die dritte Staffel, und diese wird gerade dort gedreht. In die Studios kommt man natürlich nicht einfach hinein, aber wie es der Zufall wollte, gab es justament während unseres Aufenthaltes einen Außendreh. Das konnte ich mir natürlich für nichts in der Welt entgehen lassen. Es gab nur zwei winzig kleine Haken: erstens lag der Drehort circa vierzig Kilometer außerhalb des Stadtzentrums. Das an sich wäre noch nicht so schlimm gewesen, mit Bus und Bahn kam man gut dort hin. Doch zweitens waren die Dreharbeiten für 19 Uhr abends bis vier Uhr morgens angesetzt. Und der letzte Zug fährt in Vancouver kurz nach Mitternacht. Eine Taxifahrt auf dieser Strecke hätte gut und gern 90 Dollar gekostet. Die Alternative: die Nacht am Drehort verbringen bis zum ersten Bus früh um fünf… Ausgerüstet mit Kamera, Essen, Trinken, warmen Klamotten und der Adresse des nächstgelegenen 24 Stunden-McDonalds fuhr ich also abends zum Walnut Grove Community Center in Langley, das aus einem Schwimmbad, einer Bibliothek und einer Cafeteria bestand. Als ich ankam, waren schon Krans und LKWs mit jeder Menge Filmausrüstung rund um das Gebäude geparkt. Die Crew sagte mir, dass es erst 22:30 Uhr losgehen würde, also hing ich in der Bibliothek herum, bis diese schloss und verquatschte mich dann total nett mit der Rezeptionistin und dem Hausmeister, die mir beide zusagten, dass das Gebäude die ganze Nacht offen wäre und ich auf jeden Fall dort bleiben könnte. Irgendwie verging der Abend und als es Zeit für den Drehbeginn war, machte ich mich auf die Suche nach der Action, die natürlich nicht schwer zu finden war. Auf dem hinteren Teil des Parkplatzes war inzwischen das Filmteam versammelt, unzählige Menschen, die Gott weiß was zu tun hatten. Am Rand standen drei Fans, zu denen ich mich gesellte, und dann beobachteten wir das Treiben am Set. Bis dahin hatte ich nicht einmal gewusst, wer von den Schauspielern eigentlich anwesend wäre, aber es war die Protagonistin persönlich und dafür hatte sich das Kommen schon gelohnt. Draußen wurde leider nur eine einzige Szene gedreht und diese war schon beim ersten Versuch im Kasten. Danach wurden die Dreharbeiten nach drinnen ins Schwimmbad verlegt und man sah kaum noch etwas. Die kleine Gruppe Fans verabschiedete sich nach und nach, als abzusehen war, dass es keine Fotos oder Autogramme gäbe. Zurück blieben nur ein älterer Herr und ich; wir suchten uns einen neuen Aussichtspunkt im Gebäude und schauten noch eine Weile zu, bis auf einmal kurz vor eins ein Mitarbeiter der Crew zu uns kam und uns hinausjagte; nicht einmal auf dem Parkplatz durften wir bleiben. Wahrscheinlich wollten sie nicht, dass Fotos der Szenen, die sie danach drehten, veröffentlicht würden. Für mich bedeutete das leider, dass ich noch über vier Stunden totzuschlagen hatte. Ich lief zu dem nahe gelegenen McDonalds, das ich herausgesucht hatte, aber dort angekommen musste ich leider feststellen, nur der Drive Thru rund um die Uhr geöffnet hatte und ich nicht drin sitzen konnte. Zum Glück nannte mir der McMitarbeiter ein anderes Fast Food-Restaurant in der Nähe, wo ich dann bei einem Tee und einem Apple Crumble dreieinhalb Stunden hockte, gegen den Schlaf ankämpfte und die anderen Gäste beobachtete. Man staunt, was nachts um drei für Leute bei Denny’s essen gehen – von Musikern über Eltern mit Kind (!?) bis hin zu Müllmännern. Mit den ersten Berufsverkehrpendlern fuhr ich früh in die Stadt zurück und schlief im Hostel sofort ein, sogar während Kathrin mit ihrer Familie skypte.

Eine Runde sehr notwendigen Schönheitsschlaf später machten wir Chinatown unsicher, die zweitgrößte Chinatown Nordamerikas, die mit historischen Gebäuden und exotischen Geschäften und Restaurants aufwartete.

Chinatown

Wir hoben uns unseren Appetit aber auf für den Nachtmarkt, der jedes Wochenende inklusive freitags stattfindet und sehr populär sein sollte. Schon eine Stunde vor Öffnung kamen wir an und tatsächlich war die Warteschlange am Eingang bestimmt schon 100 Personen lang. Rein äußerlich erinnerte der Markt an das, was wir in Deutschland unter einem Rummel oder Jahrmarkt verstehen – bunte Buden und Zelte, allerdings weniger Fahrgeschäfte (wir sahen nur ein einziges Karussell) sondern fast ausschließlich Essen, Kleinkram und eine Bühne, auf der verschiedene Bands auftraten. Das Essensangebot war geprägt von der kulturellen Vielfalt der Bewohner Vancouvers; es gab Leckereien aus vielen, in erster Linie asiatischen Ländern und wir probierten eine Menge Dinge aus. Zu kaufen gab es alles von handgemachter Keramik über Handyhüllen bis hin zu sehr witzigen Socken made in Korea. Als wir gegen neun wieder gingen, war die Schlange vor dem Eingang noch viel länger geworden. Zeitiges Kommen, gute Plätze, man kennt es…

Am nächsten Tag musste Kathrin zeitig aufstehen, um einen zweiten Anlauf zur Walbeobachtung zu starten. Aus der Tour war nämlich zwei Tage zuvor nichts geworden, da das Boot einen Motorschaden gehabt hatte. Aber diesmal klappte es, und das soll sie euch am besten mal selbst berichten:

>> Da ich schon um 8:00 Uhr beim Bootsanleger sein musste, hieß es an diesem Tag wirklich sehr früh aufstehen. Den ganzen Weg zum Pier hoffte ich innerlich, dass die Tour diesmal auch wirklich stattfinden würde. Um mich einzustimmen, hatte ich noch am Vortag Free Willy angeschaut und freute mich jetzt um so mehr, selber Orcas in freier Wildbahn beobachten zu können. Die Tour startete pünktlich und wir machten uns auf den Weg zu den zahlreichen Inseln, die vor Vancouver im Pazifik liegen. Ich machte es mir mit ein paar anderen Gästen auf dem offenen Oberdeck bequem, wo es zwar während der Fahrt trotz Sonne sehr kalt und windig war, aber man dafür eine wunderbare Aussicht auf das Meer und die Inseln um einen herum hatte (und hoffentlich auch auf Wale). Während der Fahrt erklärte uns Wilma, eine Meeresbiologin, viele Dinge über Vancouver, seine Umgebung und natürlich Orcas.

Die Orcas in den Gewässern vor Vancouver sind nicht zahm und immer in Bewegung, daher weiß die Crew nie, wo genau sie sich aufhalten und beginnt somit jeden Morgen neu mit der Suche. Dabei ist der Kapitän mit einigen anderen Booten in Kontakt und so werden Orcasichtungen an alle weitergegeben. Sonst würde man in dem Labyrinth von Inseln wahrscheinlich ewig suchen, und auch so kann der Touranbierter keine Orcasichtung garantieren. Wir hatten aber Glück und waren an diesem Morgen die ersten, die eine Gruppe aus fünf Walen – vier Weibchen und ein Kalb – an einer kleinen Felsgruppe vor Mayne Island sichtete. Wilma erklärte uns, dass Orcas in matriarchalischen Familiengruppen leben und man zwischen resident Orcas, welche sich von Fisch ernähren, und transient Orcas, welche sich auf die Jagd von Robben spezialisiert haben, unterscheidet. Unsere Gruppe war transient und kreiste um die Felsen vor Mayne Island, auf denen sich unzählige Robben mit ihren Jungen tummelten. Orcas sind geschickte und intelligente Jäger und wenn sich die Robben nicht im Wasser blicken lassen, dann helfen die Wale schon mal mit der Schwanzflosse und einem Schwall Wasser nach, um ihre Beute ins Wasser zu treiben.

Wir folgten unserer Orcagruppe für eine ganze Stunde und jedesmal, wenn sie anmutig durch die Wasseroberfläche brachen, um zu atmen, hörte man auf unserem Boot Seufzer und Ausrufe der Bewunderung. Es war für mich unglaublich, diese wunderschönen Tiere in natura zu sehen und ich bin überglücklich, dass ich mir diesen Traum erfüllen konnte.

Danach ging es zurück Richtung Vancouver, vorbei an unzähligen Inseln, manche bewohnt manche nicht, und wir sahen noch viele Meeresvögel – sogar einen Seeadler – und auch eine Rettungsboje, welche von Seelöwen in Beschlag genommen war. Diese Bojen sind eigentlich für Personen in Seenot gedacht, die ins Innere der Boje klettern können, um sich so vor dem Ertrinken und Unterkühlung zu retten, aber hier wäre man auf die Großzügigkeit der Seelöwen angewiesen, dass sie die Boje mit einem teilen. <<

Seelöwen haben es sich auf dieser Rettungsboje gemütlich gemacht.

An unserem letzten Abend in der Stadt spazierten wir durch den Stadtteil West End, vorbei an Apartment Blocks, in denen vermutlich niemand unter 40 wohnt und vorbei an Restaurants, in denen eine Mahlzeit wahrscheinlich mehr gekostet hätte als unser wöchentliches Essensbudget. Wir folgten der Water Front bis zum Stanley Park, einem der größten innerstädtischen Parks Nordamerikas, wo wir Totempfähle der Ureinwohner bestaunten und den Blick auf North Shore, den nördlichen Teil der Stadt jenseits des Wassers des Burrard Inlets genossen. Der Park liegt am Ende der Halbinsel, die das Zentrum Vancouvers bildet, und direkt an der Spitze steht schon seit dem 19. Jahrhundert eine Kanone, die jeden Abend punkt neun Uhr abgefeuert wird. Wir saßen auf einer Bank nicht weit entfernt und mussten uns tatsächlich die Ohren zuhalten, so laut war der Knall. Angeblich ist er, wenn der Wind richtig steht, drei Minuten später noch im 70 Kilometer entfernten Mission zu hören, wo wir unsere erste Nacht verbracht hatten.

Der „Pixel-Orca“ ist eine Statue der etwas anderen Art an der Water Front

Die Water Front im Stadtteil West End

Vancouver bei Nacht, links im Bild das Kongresszentrum, und noch weiter links die Neun-Uhr-Kanone im Stanley Park

Am nächsten Tag verließen wir Kanada leider schon wieder und fuhren mit dem Greyhound-Bus nach Seattle im US-Bundesstaat Washington. Wir wären gern länger geblieben, aber wir waren ja zuvor schon in Hawaii gewesen und dürfen pro Aufenthalt nur drei Monate in den USA bleiben. Ein Visa-Run nach Kanada ist dabei leider nicht gestattet, das heißt, auch wenn wir in Kanada waren, galt das nicht als Ausreise aus den USA, und somit haben wir nur drei Monate für Kanada und die USA zusammen. Und ja, das bedeutet leider, leider auch, dass wir jetzt ein Rückreiseticket haben und das Ende unserer Weltreise damit feststeht: Am 22. Oktober fliegen wir von New York zurück nach Deutschland, wo wir am 23. ankommen. Dann werden wir dreizehneinhalb Monate unterwegs gewesen sein – ein großartiges Gefühl. Jetzt genießen wir aber erst einmal noch den Rest unserer Zeit in den USA; vor uns liegen Yellowstone und der Grand Canyon und wer weiß was noch für Abenteuer…