Sind wir schon in Sibirien? Oder wie wir in Russland unser Französisch aufbessern

14.09.2016, 12:05 (Moskauer Zeit), irgendwo vor Perm

Seit knapp 24 Stunden fahren wir jetzt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Wir haben uns bewusst für die 3. Klasse entschieden, um einen authentischen Eindruck zu erhalten. 54 Betten sind zweistöckig in einem Waggon arrangiert, jeweils 4 als offenes Abteil quer zur Fahrtrichtung und gegenüber 2 längs zur Fahrtrichtung. Wir haben zwei Betten übereinander in einer der Vierergruppen.

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Transsiberische Eisenbahn – Platzkartny – 3. Klasse Abteil

Unsere Nachbarn sind schon da, als wir einsteigen – ein Paar aus Frankreich in unserem Alter, die ebenfalls nach Irkutsk und Ulan-Bator und weiter nach Peking fahren. Wir freuen uns, jemanden zum Reden zu haben. Kurze Zeit später kommt noch eine junge Reisende vorbei, die ihr Bett sucht und heilfroh ist, als sie uns Französisch sprechen hört – noch eine Französin, die ganz allein unterwegs ist, und ab jetzt die meiste Zeit bei uns sitzen wird.

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Unsere neuen Freunde aus Frankreich

Wir sind uns einig, dass es eine großartige Vorstellung ist, die nächsten 3,5 Tage nur im Zug zu verbringen (sonst würden wir das ja auch nicht machen) und freuen uns auf die Ruhe und die Freizeit. Viel zu tun gibt es ja nicht: sich unterhalten, lesen, Russisch lernen, zum Fenster rausschauen, essen, Tee trinken, schlafen …

13:50 sind wir losgefahren und viele Leute haben sich direkt schlafen gelegt. Vielleicht müssen sie heute Nacht irgendwo aussteigen – allein in der Nacht wird der Zug 16 mal halten, wovon wir aber schlafenderweise nichts mitbekommen. Tagsüber gibt es hin und wieder längere Halte von 20 – 30 Minuten, wo wir aussteigen und frische Luft schnappen können. Im Zug ist es mollig warm, 26 Grad, aber draußen sind abends nur noch neun Grad. An den Bahnsteigen, wo der Zug lange hält, stehen Händler; mancherorts haben sie feste Stände und verkaufen Getränke, Obst, Käse, Fertiggerichte und Plüschtiere, an anderen Bahnsteigen verkaufen sie Äpfel und selbstgemachtes Essen aus Eimern oder Kinderwagen. Wir kaufen Blini (eine Art Crêpe) mit Quark, 2 Stück für umgerechnet weniger als einen Euro, die sehr gut schmecken.

Im Waggon gibt es einen Samowar, einen Heißwasserspender, und da wir 5-Minuten-Terrinen, Teebeutel und Tassen mithaben, können wir ihn gut nutzen. Außerdem gibt es einen Trinkwasserspender und eine Steckdose. Die Toilette ist nach unten offen, das Geschäft landet also direkt auf dem Gleisbett, aber wir sind ja in Sibirien. Denken wir zumindest; wir wissen ehrlich gesagt nicht so genau, wo Sibirien eigentlich anfängt.

Auf jeden Fall haben wir gemerkt, dass die Leute schon viel freundlicher geworden sind, seit wir Moskau verlassen haben; die Händler auf den Bahnsteigen lächeln sogar mal, und die Waggonbegleiterin hört sich geduldig meine Versuche an, ihr in rudimentärem Russisch zu erklären, aus welchen Ländern wir kommen. Auch die drei Franzosen haben in Moskau keine guten Erfahrungen mit den Leuten gemacht, und wir hoffen, dass es vielleicht wirklich nur in Moskau so ist, Hauptstädte sind ja immer anders als der Rest des Landes.

Es ist erstaunlich ruhig im Waggon, obwohl fast alle Betten belegt sind.Wir sind mit Abstand die lauteste Gruppe, und eine gegenüber sitzende alte Frau bringt uns mit einem ernsten Blick zum Schweigen. Auch nachts ist es unglaublich ruhig. Gegen 21:45 wird das Licht bis auf eine Minimalbeleuchtung ausgeschaltet, aber da sind die meisten Passagiere schon schlafen gegangen. Bis früh um sechs hört man keinen Mucks; nur die alte Frau gegenüber schnarcht selig vor sich hin.

Gleich erreichen wir Perm und haben wieder über 20 Minuten Halt; mal sehen, was es da zu kaufen gibt…

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30 Minuten später…

Es gab u.a. Piroggen mit Kartoffelfüllung, sehr lecker. Es gab auch wieder Plüschtiere, irgendwelche Sammelkarten, Kartoffelscheiben mit einer Hähnchenkeule in einer Asiette, und die obligatorischen Äpfel.

Nun sind wir schon etwa 1500 km von Moskau entfernt, aber die Landschaft hat sich kaum verändert. Wälder, Felder, schlammige Straßen, auf denen dreckige Autos an den Bahnübergängen warten, kleine Dörfer mit teils bunten, aber überwiegend grau-braunen Häuschen. Nahe der Bahnhöfe riesige Fabrikgebäude in verschiedenen Verfallsstadien. Überhaupt ist in Russland alles riesig. Das Land selbst. Die Hochhäuser in Moskau. Die Wohnblöcke entlang der Bahnhöfe. Die Bahnhöfe selbst mit unzähligen Gleisen. Die Güterzüge sind ewig lang, die Loks und Wagons wirken zwei Nummern größer als in Deutschland.

In unserem Waggon ist es sehr gemütlich. Es riecht auch irgendwie gut; der Waggon hat einen ganz eigenen, zugegeben leicht muffigen Geruch; ein ganz kleines bisschen süßlich, so wie Dachboden, aber manchmal wabert auch eine Schwade Nudelsuppengeruch vorbei, wenn wieder jemand sein Essen auspackt (und gegessen wird hier viel).

Die Franzosen schlafen bzw. lesen; Kathrin schläft auch. Ich habe gerade neuen Tee aus dem Samowar geholt und schaue wieder in die russische Landschaft, das könnte ich stundenlang tun. Die alte Frau uns gegenüber ist in Perm ausgestiegen und hat uns eine gute Reise gewünscht.

Update, 16.09.2016, 07:30 Moskauer Zeit

Jetzt sind wir 65 Stunden gefahren, 4000 km und vier Zeitzonen von Moskau entfernt, und seit gestern sehen wir die große sibirische Weite. Wälder, Flüsse, kleine Dörfer, die teilweise unglaublich verfallen aussehen bis man doch einen Menschen entdeckt, und dazwischen endlose Steppen. Besonders morgens und nachmittags ist das Licht magisch und ich schaue stundenlang aus dem Fenster.

Unsere neuen Nachbarn seit anderthalb Tagen sind eine Mutter mit ihrer Tochter, die auf unsere Frage „You speak English?“ viel zu schnell mit „No!“ antwortet. Wir versuchen uns in gebrochenem Russisch zu unterhalten, erzählen ihnen wo wir herkommen und erfahren, dass sie auf Familienbesuch sind und bis Krasnoyarsk fahren. Sie haben eine risige Pirogge mit (eine Art Calzone mit Kartoffel-, Kohl- und Fleischfüllung) und schenken uns ein großes Stück, was für uns fünf mehr als ausreichend ist. Wir schenken ihnen zum Dank ein paar Tütchen Haribo und die Franzosen kleine Eiffelturm-Anhänger, von denen sie einen ganzen Beutel voll mithaben.

Zugegeben, wir müffeln mittlerweile ein bisschen, keiner hat sich seit Fahrtbeginn umgezogen, aber immerhin haben wir schon gelernt, Haare zu waschen oder zu „duschen“ mit nur einer halben Tasse warmen Wassers aus dem Samowar und Feuchtetüchern. Ganz vielen Feuchtetüchern.

Nach Novosibirsk wechselt die Landschaft, wird hügelig und bewaldet, und die Bäume haben eine deutliche Herbstfärbung angenommen. Wir sind supererholt, und ich träume schon davon, irgendwann mal die ganze Strecke bis Vladivostok zu fahren. Ich werde jetzt erstmal weiter aus dem Fenster schauen…

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Unser Zug

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An Unexpected Arrival

September 16, 2016, 10:15 am local time

We are on the Transsibirian somewhere between Novosibirsk and Krasnoyarsk. It is 6:15 am Moscow time which means we have been on the train for about 65 hours now. And what can I say? I love it. It is just as great as I ever imagined it to be and the only thing that bothers me is that we don’t go all the way to Vladivostok. Well, plans for the next trip. 😉

No, honestly, I could ride on for days. The landscape passing is just beautiful beyond words. Especially yesterday, before and after Omsk, it really was the great Siberian plains, endless grasslands interspersed with light beech forests or little lakes. The light was magical. Sometimes, there are little villages, some houses colourful, others a greyish-brown. Overall, the cities and villages look very dull and depressing, and at first glance I would often think they are run-down and abandoned only to notice a person working a cabbage patch next to it on second glance.

The train stops about once every hour, and has about 2-3 longer stops of 20-40 minutes every day. During those stops, we may exit the train and walk around on the platform where we can also buy things, food mainly, but sometimes also toys or fur hats.

And inside the train it is so cozy. First of all, it is anything but cold. While the temperature outside may vary between 9 and 17°C, it is constantly around 26°C or warmer inside the train. People wear t-shirts, shorts and slippers.

Since we are going 3rd class (platzkartny), it means 54 beds in one carriage. They are arranged two above each other in open compartments, four to one side of the aisle, and two in the direction of the train on the other side. Above the beds, in about 2m height, there is a storage board, but there is also a huge storage box under the bottom beds where we have left our backpacks.

As fate will have it, we have two beds in one of the four-bed “compartments” which we share with a young couple from France. Another young woman from France who travels alone has a bed two compartments down and spends most of the time with us. We talk English and French, and try to learn some Russian, share food and get along really well.

Our neighbours change; few seem to go to Irkutsk or further. At first, there was an old lady who chided us for being too loud but wished us a good journey when she left, and now there is a mother with her daughter on a family visit who shared a giant pirog (like a calzone filled with potatoes, cabbage and meat) with us the first night. We gave them some of our things in return and tried to communicate but it’s hard.

What amazes us all is how mindful the people are. Since 54 people basically share one open space with two toilets and a samowar (a hot-water dispenser; tea and cup noodles are right up there on everyone’s menu), we expected it to be noisy and dirty but the opposite is the case. Everyone is very quiet and respectful, and mostly stays in their own space. The car is cleaned everyday by the stewardess (there are two on each car who take shifts and seem to go all the way to the final destination).

I admit we are all a bit on the smelly side by now since no-one has changed their clothes ever since getting on the train (really, what’s the point?) but we have in the mean-time figured out how to shower or wash one’s hair in the cramped space of a train toilet and stay somewhat hygienic by using wet wipes. One has to make sacrifices, and it is totally worth it.

For the first time since we set out almost a week ago, I feel a bit like we are actually backpacking and travelling a long-distance. It is crazy to think that we are already 4000 km away from Moscow, having covered four time zones by now. With little to do except sleeping, reading, eating, talking, and figuring out the train, a lot of time remains for looking out of the window into the beautiful landscape and thinking about how happy and content we have started feeling ever since we boarded.

Apart from all that, I want to let you know how we eventually arrived in Moscow on Monday.

There was a super-thorough and slightly intimidating border control between Poland and Belarus, and after that the train changed tracks in Brest which was very exciting. The cars of the train were elevated by giant machines, the tracks pulled out underneath and the new ones pushed in and fixed. By tracks I mean the wheels of the train but I don’t know the proper English term for it. After that, night fell, and we expected to be woken up for the Russian border control in the early hours of the morning.

However, nothing happened. Monday came, the names of the towns that we passed didn’t give us any indication, and when the train stopped for a long period, we thought nothing of it except that we’d arrive in Moscow mighty late. Only when our French compartment neighbour (yes, another French, travelling the same route as us to Beijing) came knocking on our window with all his luggage, we realized that we had already arrived. No border control. No stewardess telling us that we are approaching our destination. Not a single sign on the platform indicating the place. Welcome to Moscow.

We found our hotel and tried to convey to the non-English speaking receptionist that we would like to leave our luggage since it was only noon. She was very unfriendly and signalled us that it was not possible. Great, that meant taking all our luggage with us for our tour of the city. While we were still trying to decide what to do, an Englishman came by who happened to also speak some Russian. He helped us and asked the receptionist again about our luggage, this time in Russian, and behold, all of a sudden there was a luggage room. We dumped our backpacks and hoped there would be another receptionist when we came back in the evening.

We went to pick up our train tickets at the Real Russia office where we had booked them and took a stroll around the Kremlin, St. Basil’s Cathedral, the Gum shopping centre and the surrounding streets in the afternoon, and had borschtsch and vareniki for dinner is a café.

Returning to the hotel in the evening, we found the same lady sitting at the reception, and our hearts sank. She checked our passports, our visa, and the documents that we had filled out at the Belorussian border, copied everything and then started to make a phone call. It was all a bit scary, especially since she kept talking to us in Russian and with a grim expression. In the end, we got our keys and she showed us the room as if nothing had happened.

The next morning, we visited a nearby church which was incredibly splendid since almost everything inside from the walls to the lamps to the picture frames was made from gold, and several priests and a small choir were singing beautiful chorals.

After a stop at the supermarket and checking out (with still the same lady), we went to Yaroslavsky station to wait for our train, being rather glad to leave Moscow since everyone we had met had been pretty unfriendly and no-one spoke English, or showed any effort to help us with anything. Our overall impression was that Moscow is a very unwelcoming city (probably like most capitals).

We have found that people on the train and in the countryside are a bit friendlier and more open but all in all we don’t really feel welcome yet in Russia.

Plötzlich in Russland

13.09.2016, Moskau

Zunächst einmal das Wichtigste: vielen Dank, ihr Lieben, für eure Kommentare! Wir freuen uns sehr, von euch zu lesen und kommen hoffentlich auch mal dazu, euch einzeln zu antworten (ihr dürft uns auch gern Dinge fragen, die nicht im Blog stehen). Aber es ist wirklich schön, zu wissen, dass ihr mitlest und dabei seid. 😀

Aber nun zur Sache.

Wir sind in Russland und hätten’s fast nicht gemerkt…

Die Zugfahrt verlief noch sehr angenehm bis auf die Grenzkontrolle zwischen Polen und Weißrussland – alles planmäßig, aber ein bisschen einschüchternd wirkte das Ganze schon, zumal der Beamte nur Russisch sprach und erstmal sämtliche Pässe einsammelte und damit verschwand. Gegen 17:00 waren wir an der Grenze und 17:45 ging es weiter; eine Dreiviertelstunde hat das Ganze also etwa gedauert. Wir mussten eine Ein- und Ausreisekarte ausfüllen, von denen die Einreisekarte einbehalten wurde. Wir behielten die Ausreisekarte für die Grenzkontrolle zur russischen Grenze. Dachten wir.

In Brest wurden dann die Fahrgestelle unter den Wagons gewechselt, da in Russland ja die Spurbreite anders ist. Der Zug fuhr in eine riesige Werkhalle und wurde in mehrere Abschnitte geteilt, die dann mehr oder weniger gleichzeitig bearbeitet wurden. Aussteigen konnte man nicht, die Wagons wurden ja ca. einen Meter hochgeschraubt und einen Bahnsteig gab es logischerweise nicht. Die Tür unseres Wagons war trotzdem offen (da der Zugbegleiter Alkohol kaufen musste) sodass wir zumindest mal zur Tür raus das Treiben beobachten konnten. Die Wagons wurden mit einer Art Wagenhebern angehoben, die alten Fahrgestelle wurden darunter hervor gezogen und die neuen dann drunter geschoben. Zum Schluss wurden die Abschnitte wieder aneinander gesetzt, wozu der Zug natürlich ein paar mal hin und her fahren musste. Alles in allem dauerte das ganze etwa anderthalb Stunden. Danach standen wir noch bis 21:25 Uhr am Bahnsteig in Brest bevor es weiter ging. Da wir dort ca. eine halbe Stunde Zeit hatten, spazierten wir den Bahnsteig entlang und wurden von Frauen, die Obst und Gemüse verkauften, förmlich überrannt. Himbeeren, Brombeeren, Äpfel und Gurken aus eigenem Anbau, dazu Wasser, Säfte, Kefir und Bier,… Wir gönnten uns einen Becher Himbeeren, die wunderbar schmeckten, und unterhielten uns mit einem Mitreisenden aus dem Nachbarabteil – Sofian aus Frankreich, der schon in Paris eingestiegen war und ebenfalls mit der Transsib nach China fährt. Auch er wird in Irkutsk und Ulan-Bator aussteigen, daher treffen wir ihn vielleicht noch einmal wieder.

Geschlafen haben wir dann sehr ruhig; ich habe nicht einmal mitbekommen, wie der Herr aus unserem Abteil in Minsk ausstieg. Der Morgen kam, aber was nicht kam, war die russische Grenze. Wir hatten uns ausgerechnet, dass noch zwei Kontrollen kommen müssten: bei der Ausreise aus Weißrussland und kurz darauf bei der Einreise in Russland. Doch der Zug fuhr und fuhr, es wurde Tag, und nichts passierte. Aus den Ortsnamen wurden wir auch nicht schlauer. Irgendwann hielt dann der Zug mal wieder (Durchsagen zu den Bahnhöfen gab es übrigens nicht) und stand lange an einem Bahnsteig. Da es schon kurz vor zehn war, rechneten wir uns gerade aus, wie viele Stunden Verspätung wir wohl hätten, als es an der Scheibe klopfte. Draußen stand Sofian, unserer französischer Nachbar, mit seinem Gepäck, und fragte uns, ob wir nicht auch ausstiegen; wir seien doch in Moskau…? Dann kam die Zugbegleiterin und drängelte uns, und auf einmal musste alles ganz schnell gehen: Umziehen, Sachen zusammenpacken, letzter Check, dass auch nichts vergessen wurde, und dann raus. Der Bahnsteig war ewig lang, aber es stand nicht ein einziges Schild da, welches den Ort genannt hätte. Nur in der Ferne, oben am Bahnhofsgebäude, stand MOSKVA. Das war also unsere Ankunft in Moskau. Ohne Sofian hätten wir wahrscheinlich noch sehr lange in dem Zug gesessen oder wären schon wieder auf der Rückfahrt nach Deutschland…

Nach einigem Suchen fanden wir die Metrostation und fuhren zu unserem Hotel. Es lag versteckt im 6. Stock eines leicht maroden Gebäudes in der Nähe des Kazansky-Bahnhofes. Die ältere Dame, die an der Rezeption saß, sprach nicht ein einziges Wort Englisch. Wir versuchten ihr klarzumachen, dass wir gerne unser Gepäck im Hotel lassen würden, aber sie war alles andere als freundlich und machte uns klar, dass das nicht geht und wir erst ab 14:00 einchecken könnten. Es war gerade halb zwölf… Während wir noch überlegten, ob wir nun mit unserem Gepäck zum Büro der Reiseagentur fahren sollten, um unsere Transsib-Tickets abzuholen, kam ein freundlicher Herr, der uns auf Englisch ansprach. Es stellte sich heraus, dass er Engländer war und seit anderthalb Jahren in Russland lebte. Er bot uns seine Hilfe an und fragte die Rezeptionistin noch einmal auf Russisch nach der Gepäckaufbewahrung, und siehe da, es gab einen Gepäckraum, wo wir unsere Kraxen unterstellen konnten…

Das Büro von Real Russia, wo wir die Tickets gebucht hatten, fanden wir auf Anhieb und nahmen unsere Fahrkarten nach Irkutsk und Ulan-Bator entgegen. Da das Wetter sehr schön warm und sonnig war, picknickten wir danach in einem nahe gelegenen Park auf einem Spielplatz und fuhren dann ins Zentrum für ein bisschen Sightseeing. Wir schlenderten durch den Park hinter dem Kreml, wo es wunderschöne Springbrunnen und Wasserspiele gab, und spazierten an der Kreml-Mauer entlang zum Kaufhaus Gum, wo wir kurz hinein gingen und uns an der Touristeninformation bei einer grimmig dreinblickenden jungen Dame, die nur widerwillig von ihrem Handy aufblickte, einen Stadtplan besorgten.

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Kreml

Danach liefen wir zur Basilika, was für mich ein echtes Highlight war, da mir das Gebäude mit seinen riesigen, bunten Zwiebeltürmen schon als Kind gefiel; weiter in Richtung Bolschoi-Theater und durch eine Fußgängerzone, wo wir auch Abendbrot aßen, zurück zum Roten Platz. Wir aßen in einem kleinen Café Borschtsch, Vareniki und Piroggen, und es war nicht mal teuer, 9 € zusammen. Allerdings war auch da das Personal nicht sonderlich freundlich und wir hatten eher das Gefühl, zu stören. Eine der (jungen) Kellnerinnen sprach gleich gar kein Englisch und holte leicht panisch ihre Kollegin, um uns zu bedienen. Das einzige, was schnell kam, war das Essen; auf Rechnung und Restgeld warteten wir jeweils lange.

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Basilika

Insgesamt hatten wir keinen besonders guten Eindruck von den Russen; alle, mit denen wir bis dahin zu tun hatten, waren mürrisch und überhaupt nicht hilfsbereit. Daher waren wir auch nicht böse, am nächsten Tag schon weiterfahren zu können. Eine Gruppe indonesischer Touristinnen, die uns vor dem Kreml anlächelten, als wir ihnen den Vortritt für ein Foto ließen, war ein echtes Highlight – die ersten freundlichen Menschen des Tages!

Im Hotel saß leider bei unserer Rückkehr abends immer noch die gleiche Dame am Empfang und war kein bisschen freundlicher geworden. Wir hatten das Gefühl, dass sie die Passkontrolle, die an der Grenze nicht stattgefunden hatte, nachholte; sie kontrollierte und kopierte die Visa für Weißrussland und Russland und wollte dann noch eine Migrationskarte von uns; wir hatten nur leider keine Ahnung, was das sein sollte. Ich zeigte ihr meinen Voucher (die Einladungskarte, die wir für das Visum gekauft hatten) aber damit konnte sie nichts anfangen. Sie redete weiter auf Russisch auf uns ein und wir kamen keinen Schritt weiter. Schließlich zeigte sie uns die Unterlagen anderer Gäste und wir verstanden, dass sie die Ausreisekarte sehen wollten, die wir in Weißrussland ausgefüllt hatten. Diese wurde auch noch kopiert, und dann griff sie zum Telefon und rief irgendjemanden an, wovon wir natürlich nichts verstanden. Mein Name fiel mehrmals, und uns wurde langsam mulmig. Am Ende legte sie auf und schrieb den Preis für die Übernachtung auf einen Zettel. Wir bezahlten, sie zeigte uns das Zimmer, und das war’s. Wofür all die Aufregung war, wissen wir nicht. Vielleicht konnte sie einfach nichts mit dem Voucher anfangen und hat die Hotelleitung angerufen, ob wir schon bezahlt haben. In jedem Fall hatten wir dann ein Bett für die Nacht, aber mehr war es auch wirklich nicht. Wir wussten schon bei der Buchung, dass es ein Zimmer ohne Fenster war. Es war aber leider auch ein Zimmer ohne Platz. Auf einer Seite des Doppelbettes war noch ca. ein halber Meter Platz, ebenso am Fuß des Bettes, was aber nicht mal reichte, um die Tür vollständig zu öffnen. Ein Hocker und ein Mini-Regal mit Flachbildfernseher waren die einzige Einrichtung. Eine Decke gab es auch nicht, nur einen leeren Deckenbezug, aber was will man für 20 € in Moskau schon erwarten. Da die Belüftung nur mäßig funktionierte, war es ohnehin nicht sehr kalt.

Dienstag morgen liefen wir zu einer nahe gelegenen Kirche. Kathrin wollte lieber draußen warten, aber ich ging hinein. Von außen war sie ja schon sehr schön anzusehen, aber das Innere verschlug mir wirklich die Sprache. Bis auf den Fußboden war alles aus Gold, aber auch wirklich alles – Die Wände, die Leuchter, die Bilderrahmen,… Drei Priester hielten Andachten ab, sangen und schwenkten Weihrauchgefäße; der Duft war überwältigend. Ihnen folgten mehrere Frauen, die alle Kopftücher trugen (ich hatte leider keines, aber niemand schien sich daran zu stören) und mehrstimmig sangen, und viele Gläubige zündeten Kerzen an, küssten die Ikonenmalereien an den Wänden, die hinter Glas waren. Insgesamt war die Atmosphäre sehr düster und ehrfürchtig. Besucher kamen und gingen, viele junge Leute unter ihnen, Männer mit Aktentaschen, die aussahen, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit.

Danach deckten wir uns im Supermarkt gegenüber des Hotels mit Lebensmitteln für die kommenden vier Tage Zugfahrt ein. Instant-Kartoffelbrei, Kekse, Brot und Käse, und jede Menge Wasser.

Beim Check-Out saß immer noch oder schon wieder die selbe Dame an der Rezeption, aber diesmal war sie schon gefühlte 2 Grad freundlicher und lächelte sogar kurz.

Zum Yaroslavsky-Bahnhof war es nicht weit zu laufen und so waren wir schon gute anderthalb Stunden vor Abfahrt des Zuges da. Wir hoben Rubel am Geldautomaten ab und setzen uns dann in eine der riesigen Wartehallen. Der ganze Bahnhof schien nur aus Wartehallen und ein paar kleinen Läden zu bestehen. Ein Mann aus der Ukraine redete eine Weile auf uns ein und schenkte uns eine ukrainische Münze, aber da er Russisch mit nur einigen deutschen Wörtern dazwischen sprach, verstanden wir ihn kaum.

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Yaroslavsky Bahnhof

Dann wurde das Gleis unseres Zuges angezeigt und das Abenteuer Transsibirische Eisenbahn begann…

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B vor der Transsib