UXO – Laos tödliches Erbe

23. Januar 2017

Laos ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Infrastruktur ist schlecht, viele Dörfer sind nur über lehmige Pisten zu erreichen, die bei Regen unpassierbar werden. Viele Menschen haben nicht genug zu essen, obwohl es genug Land gäbe, um die Bevölkerung zu ernähren. Doch es werden kaum neue Straßen gebaut, und die Menschen zögern, neues Land urbar zu machen. Der Grund dafür heißt UXO – unexploded ordnance (nicht-explodierte Munition/Blindgänger). Reisen bildet – in Laos haben wir mehr gelernt als in allen anderen Ländern bisher – und dieses Wissen möchten wir gern mit euch teilen, da es im Rest der Welt leider kaum bekannt ist.

Laos hält den traurigen Rekord des am stärksten bombardierten Landes der Welt gemessen an der Bevölkerungszahl. Obwohl Laos nie direkt in den Vietnamkrieg involviert war, wurde es von den USA im sogenannten ’secret war‘, dem heimlichen Krieg zwischen 1964 und 1973 bombardiert wie kein anderes. Die USA verfolgten zwei Ziele: zum einen, die Versorgungswege der vietnamesischen Armee im Süden von Laos zu unterbrechen und zum anderen, die kommunistische Pathet Lao-Bewegung im Nordosten des Landes zu zerstören, um den Kommunismus aufzuhalten. Das Ausmaß des Bombardements war beispiellos – auf Laos fielen mehr amerikanische Bomben als während des zweiten Weltkriegs über Deutschland und Japan zusammen. Ein Angriff durchschnittlich alle acht Minuten, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, neun Jahre lang… weit über 580.000 Luftangriffe, und viele zielten nicht einmal auf militärische Punkte, sondern auf Dörfer, Felder oder Höhlen, in denen die Menschen Schutz suchten. Von Stützpunkten in Thailand aus flogen die Bomber ihre Angriffe auf vietnamesische Ziele, doch wenn sie ihre Mission wegen schlechten Wetters oder Feindbeschusses nicht erfüllen konnten, entlud manch ein US-Bomber nicht-verbrauchte Bomben beim Rückflug lieber über Laos (oder auch Kambodscha), da das Landen mit Ladung unter dem Sicherheitsprotokoll zu umständlich gewesen wäre. Ein Großteil der Munition waren Streubomben – diese öffnen sich im freien Fall und schütten hunderte Kleinbomben aus, nur so groß wie Tennisbälle, die sich über ein riesiges Gebiet verteilen. Mehr als zwei Millionen (!) Tonnen Bomben luden die USA über Laos ab, und schätzungsweise ein Drittel davon detonierte nicht – 80 Millionen Blindgänger blieben als tödliches Erbe zurück. Diese haben seit dem Ende des Krieges mehr als 50.000 Menschen getötet oder verletzt, fast die Hälfte davon Kinder, und verhindern bis heute den Fortschritt in diesem Land. Denn wie soll man neue Straßen, Häuser, Kanäle bauen, neue Felder bestellen, wenn jeder Schritt, jeder Spatenhieb der letzte sein könnte? Viele Menschen werden bei der Feldarbeit verletzt, oder während sie Kräuter im Wald suchen. Manche im Lehmboden versteckte Kleinbomben detonieren durch die Hitze eines Kochfeuers. Manche Menschen versuchen, Blindgänger zu öffnen, um den darin enthaltenen Sprengstoff für die Erschließung eines neuen  Feldes oder Grundstücks zu nutzen. Kinder suchen oft nach Metallresten, die sie verkaufen können, um so ihre Familien zu unterstützen und sind dadurch besonders gefährdet. Da viele Menschen Bombenteile als Alltagsgegenstände wiederverwerten, erkennen Kinder sie manchmal nicht als gefährlich und spielen damit. Die Bomben liegen überall; wir haben Geschichten von Bauern gehört, die über die Jahre mehr als 50 dieser Kleinbomben, von den Laoten Bombies genannt, aus ihrem Acker geholt haben. Viele Hilfsorganisationen setzen sich unermüdlich für die Beräumung des Landes, die medizinische Betreuung und Rehabilitierung der Opfer sowie die Aufklärung der Bevölkerung, vor allem der Kinder, über den richtigen Umgang mit Blindgängern, ein.

Überbleibsel aus dem Krieg

Dachten wir anfangs noch, dass die Gefahrenzonen weit ab von den touristischen Pfaden in Gegenden lägen, in die wir sowieso nicht kommen, wurden wir bald eines besseren belehrt, denn Phonsavan liegt im Zentrum eines der am stärksten bombardierten Gebiete in Laos.

Zu unserer Tour zur Ebene der Steinkrüge hatte sich noch drei andere Frauen angemeldet: Milène aus Frankreich, die am Vortag im selben Bus wie wir aus Vang Vieng angereist war, sowie eine weitere Französin, Noémi, und eine US-Amerikanerin, Megan, die zusammen reisten. Zuerst ging es zu Fundstätte Nummer eins, wo wir uns in einer kleinen Ausstellung über die Krüge und die Region informieren konnten bevor wir mit einem Golfcart zur eigentlichen Sehenswürdigkeit gefahren wurden.

Die meisten Krüge sind kleiner als mannshoch und unterschiedlich gut erhalten. Nicht wenige wurden durch die Bombardements beschädigt und auch zwischen den Krügen sahen wir immer wieder Einschlagkrater. Darüber hinaus setzen ihnen aber auch Verwitterung, Plünderung und nicht zuletzt der neuerdings wachsende Tourismus zu – das Gebiet steht auf der Unesco-Anwärterliste, aber sonderlich viele Touristen waren eigentlich nicht unterwegs.

Stätte 1

Ein Einschlagkrater in Stätte 1

Während wir herumliefen, hörten wir in der Ferne einen Knall, der wie eine Explosion klang. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass das wirklich ein Blindgänger gewesen sein soll; vielleicht kam das Geräusch von einer Baustelle? Doch dann knallte es erneut, und diesmal sahen wir im Tal eine Wolke aufsteigen….

Die Fundstätten sind von Blindgängern beräumt und markiert mit Steinen im Boden, die eine rote und eine weiße Seite haben – auf der weißen Seite ist es sicher zu gehen, die rote wurde noch nicht untersucht. Sie tragen das Kürzel der Mines Advisory Group (MAG), einer brititschen Nichtregierungsorganisation, die weltweit in Krisengebieten Munitionsrückstände beräumt und seit über 20 Jahren in Laos tätig ist.

MAG-Marker

Mit dem Minibus fuhren wir zu Stätte zwei, die in einem wunderschönen Kiefernwäldchen verteilt auf zwei Hügel liegt, und von dort gab es einen markierten Wanderweg zu Stätte drei. Der Weg war links und rechts mit MAG-Markern gekennzeichnet – ein seltsames Gefühl, sich bewusst zu machen, dass 20 Meter weiter vielleicht noch eine Bombe im Boden liegt… Wir waren tunlichst darauf bedacht, immer innerhalb der Marker zu bleiben.

Nach etwa zwanzig Minuten erreichten wir eine Anhöhe mit einer allem Anschein nach recht neu errichteten Picknickhütte, von wo aus wir einen fantastischen Rundblick auf die bergige Landschaft hatten, die uns mit ihren trockenen Wiesen und Kiefernwäldchen an Dalat in Vietnam erinnerte.

Stätte 2

Die Picknickhütte…

…und die wunderschöne Landschaft – doch der Frieden ist trügerisch.

Von der Hütte aus führte der Weg bergab in ein Dorf, wo uns unser Minibus wieder in Empfang nahm. Während wir am Eingang zu Stätte drei Mittag aßen, hörten wir erneut eine Detonation. Die Einheimischen im Restaurant sagten uns, das käme jeden Tag vor…

Stätte drei war ein sonnenbeschienener Hain zwischen Reisfeldern, auf denen Rinder weideten. Die Krüge unterschieden sich nicht wirklich von denen in den anderen beiden Stätten, aber die Atmosphäre war friedlich und die Landschaft schön, und dafür hat es sich schon gelohnt; noch dazu verstanden wir uns super mit den anderen drei Damen.

Stätte 3

Megan, Noémi, Kathrin, Milène und Birgit im Reisfeld

Kurze Zeit später hielt der Fahrer mit uns auf einer Anhöhe außerhalb des Dorfes, und dort konnten wir den Räumungsteams der MAG live bei der Arbeit zusehen. Mitarbeiter mit Megaphonen warnten die Menschen im Dorf vor den anstehenden Detonationen. Dann wurde es sehr still. Und dann kam die Explosion, der Knall, die Rauchwolke. Zwei davon sahen wir aus einer Entfernung von wenigen hundert Metern. Wir waren froh, dass alle Explosionen, die wir an diesem Tag gehört hatten, kontrollierte Sprengungen im Rahmen der Räumungsarbeiten waren, aber gleichzeitig auch traurig und entsetzt, wie präsent die Problematik tatsächlich ist.

Letzter Programmpunkt (von einer kurzen Verkostung in einer Reiswhiskey-Destille abgesehen) war ein Stopp an einem alten russischen Panzer, der im Vorgarten eines Bauern vor sich hin rostet. Geht ein Großteil der Blindgänger auch zu Lasten der USA, darf man nicht vergessen, dass die Russen Waffen an alle im Krieg beteiligten Seiten in Laos und Vietnam verkauften und neben den Blindgängern auch noch zahlreiche Landminen und nicht-explodierte Granaten der laotischen Truppen im Boden liegen.

Heute wachsen Blumen im Bauch des Panzers…

Da wir nachmittags noch Zeit hatten, besuchten wir das Informationszentrum der MAG, um noch mehr über die Problematik der UXO in Laos und die Arbeit der Räumungsteams zu lernen, die wir nur eine Stunde zuvor mit eigenen Augen gesehen hatten. Diese Menschen sind wahre Helden, und wir können euch nur empfehlen, hier: http://www.maginternational.org mehr über ihre lebensgefährliche und gleichzeitig lebensrettende Arbeit zu erfahren. Auf der Website gibt es auch ein Spendenportal.

Zurück in Phonsavan gesellten sich einige Schülerinnen zu uns, die ihr Englisch verbessern wollten und so unterhielten wir uns eine Weile mit ihnen. Sie sprachen schon sehr gut Englisch, sodass wir eine relativ flüssige Konversation haben konnten. Abends aßen wir mit den drei Damen aus unserer Tourgruppe und am nächsten Morgen fuhren wir mit Megan und Noémi zu unserem nächsten Reiseziel nach Luang Prabang.

Die Namen der Schülerinnen haben wir leider nicht so gut verstanden, geschweige denn uns gemerkt…

Hatten wir bei unserer Ankunft in Phonsavan eine unangenehme Atmosphäre im Ort gespürt – möglicherweise die Last der Geschichte – verbesserte sich unser Gefühl am nächsten Tag. Einerseits hatten wir sehr freundliche Menschen kennengelernt (sowohl unsere Tourgruppe als auch die sehr wissbegierigen Schülerinnen) und andererseits mehr über das Leben der Menschen im UXO-kontaminierten Gebiet erfahren und gesehen, dass ihnen von vielen Seiten geholfen wird. Dann machte uns die Situation nicht mehr so viel Angst. Auf jeden Fall werden wir das, was wir in Laos über das schreckliche Erbe des Krieges gelernt haben, niemals vergessen.

12 Gedanken zu „UXO – Laos tödliches Erbe

  1. Das ist furchtbar und übertrifft noch bei weitem das, was man bisher hier in Deutschland über diese Thematik gehört hat. Bei dieser Masse an Bomben und Minen ist es fraglich, ob jemals alles gefunden werden kann, so dass die Menschen dort wohl für immer mit der Gefahr werden leben müssen. Das kann man sich gar nicht vorstellen…

    • Ja, wir konnten es auch gar nicht fassen und sind froh, dass wir mehr darüber lernen konnten.
      Die Beräumung des Landes wird noch Jahrzehnte dauern, wenn nicht länger, und wie du schon sagst, wird wohl niemals alles gefunden werden. Umso schrecklicher ist der Gedanke, dass die gleichen Streubomben noch heute in Kriegsgebieten zum Einsatz kommen und weitere Millionen Menschen langfristig gefährden.

  2. Ich hatte erst das video bei YouTube gesehen (da mir mitgeteilt wurde, ein neues video meines abonnierten kanals sei online) … und habs erstma gar nicht verstanden. Nach euren Blog wars dann klar. Es ist auf jeden Fall sehr traurig und erschreckend, dass es nach so vielen Jahren immernoch solche Gefahren bestehen, und hier kaum einer etwas darüber weiß. Aber der anderen Seite finde ich beeindruckend und mit Ehrfurcht erfüllend, dass ihr euch auch solchen Themen widmet.

    Sind die 3 Mitreisenden eigentlich jeder für sich alleine unterwegs? Zu zweit ist das ja doch alles nochmal einfacher …

    • Kann ich mir vorstellen, daher haben wir das Video diesmal erst zusammen mit dem Beitrag hochgeladen.
      Leider hört man von dieser Problematik bei uns kaum etwas. Aber darüber zu lernen ist ein Schlüssel, um Laos zu verstehen, denn die Blindgänger bremsen ja die Entwicklung des Landes massiv.

      Von den drei Mädels waren Megan und Noémi zusammen unterwegs, wobei sie sich glaube ich erst in Thailand kennengelernt hatten. Wir treffen immer mal Leute, die eigentlich allein reisen, aber sich unterwegs mit jemandem anfreunden und dann eine Weile zusammen weiterreisen bevor jeder wieder seiner Wege geht. Aber Milène war allein unterwegs.

  3. Hallo Mädels, euch ist wieder ein interessanter Bericht gelungen, wenngleich so eine Thematik immer sehr beklemmend wirkt, ich habe auch euren Mut bewundert, als ihr über die roten Khmer geschrieben habt, Hut ab. Letztendlich ist es aber gut und wichtig, diese Gegenden unbeschwert und sicher bereisen zu können.
    Es gibt ja auch noch die schönen Seiten des Lebens, die ihr nun hoffentlich wieder genießt.
    Grüße aus Bad Schandau

    • Danke dir, in diesen Bericht sind auch viele Gedanken und viel Arbeit geflossen. Die UXO sind genau wie die Schrecken der Roten Khmer in Kambodscha so prägend für die Gesellschaften der beiden Länder als ganzes, dass man eigentlich nicht darum herum kommt, wenn man verstehen will, warum die Dinge jetzt so sind wie sie sind. Ich finde, man hat auch eine Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen, auch wenn man sich bei weitem nicht mit allen Problemen eines Landes beschäftigen kann oder sollte.
      Das wichtigste fände ich, wenn die Menschen in ihren Dörfern wieder sicher leben könnten – wir können ja weiterreisen und die Probleme hinter uns lassen. :-/ Aber zumindest konnten wir einen kleinen Beitrag leisten und ein paar mehr Menschen von der Situation berichten.

  4. Die Gedanken von dem M,I und Jensen zu der teuflischen UXO-Belastung der Menschen in Laos und ihres Lebensraums bewegen auch uns sehr stark. Die armen Kinder! Da denken wir Älteren z. B. auch an die bedrohlichen, verrosteten Bomben und die Munition, die in Dresden 60 Jahre nach dem Abwurf gar nicht so selten immer wieder gefunden werden.
    Die Nothilfe-Idee durch die MAG-Steine ist offenbar wirksam. Bloß gut.
    Alles Gute, auch wieder unbeschwerte Erlebnisse, wünscht
    das CK

    • Ja, an die Blindgänger in Dresden und anderen deutschen Städten mussten wir dort auch oft denken – ein Wunder, dass nicht mehr Unfälle passieren. Aber anders als die großen Fliegerbomben, die in Dresden noch immer gefunden werden, sind der größte Teil der Blindgänger in Laos ja die kleinen Streubomben, die viel unscheinbarer sind und nahe unter der Erdoberfläche oder einfach im Dickicht liegen können, wodurch die Unfallwahrscheinlichkeit viel höher ist. Umso schrecklicher ist es, dass diese Art Bomben noch immer in Kriegsgebieten eingesetzt werden.
      Vielen Dank für eure Wünsche! Der nächste Beitrag ist wieder positiver.
      Das B + K

    • Wir wussten davon vorher auch noch nichts, aber jetzt sind wir froh, dass wir ein paar Menschen mehr darüber aufklären konnten.
      Danke für den Kommentar; freue mich immer, von euch zu hören. 🙂

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    • Thank you for reading it. Apparently, the same problem exists in Cambodia but even we didn’t know until we learned about it in Laos. It will take such a long time to solve that problem; and the country cannot do it alone.
      We are in a safer place now; I think Thailand doesn’t have this kind of problems…
      Good luck to you too! Keep warm!

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