Vom Schicksalsberg zum ersten Tageslicht

24. Juli 2017, Muriwai

Nach einer nebelfeuchten und entsprechend kühlen Nacht in Taumarunui erkundigten wir uns am nächsten Morgen im Informationszentrum nach der Wettervorhersage, die  zu unserer Überraschung ausnahmsweise einmal richtig gut war, zumindest für diesen Tag, also nichts wie ab in den Tongariro-Nationalpark. Dieser besteht im Wesentlichen aus drei Vulkanen: Ruapehu – ein alpines Bergmassiv, an dessen Hängen die einzigen Skigebiete der Nordinsel liegen; auch der Vulkan mit dem schönsten Namen von den dreien. Dann Ngauruhoe – definitiv der Gipfel mit dem am schwierigsten auszusprechenden Namen, dafür ein Vulkan wie aus dem Bilderbuch: ein perfekter Kegel aus Asche und Schnee, ein Gugelhupf aus dunkler Schokolade mit Zuckerguss. In „Herr der Ringe“ stellt er den Schicksalsberg dar, in dem der Ring der Macht seinen Anfang und sein Ende findet. Und schließlich Tongariro, Namensgeber des Nationalparks – wüsste man nicht, dass er auch ein Vulkan ist, würde man diesen braunen Erdhaufen wahrscheinlich keines Blickes würdigen. Vielleicht hat man deshalb den Park nach ihm benannt, quasi als Trostpflaster. Oder, weil er in der Maori-Mythologie als Sieger aus einer Vier-Vulkane-Schlacht hervorging und die schöne Vulkanin Pihanga am Ufer des Lake Taupo für sich gewann. Einer seiner Widersacher war dabei übrigens Taranaki, der sich nach seiner Niederlage in den Westen der Nordinsel verzog und sein Antlitz bis heute aus Scham meistens in Wolken hüllt, was erklären würde, warum wir ihn nur einmal ganz kurz gesehen haben.

Ruapehu

Ngauruhoe/Schicksalsberg (rechts) und Tongariro (links)

Tongariro Nationalpark: bitte keine Kiwis überfahren

Vom Dörfchen Whakapapa, das eigentlich nur aus touristischer Infrastruktur besteht, wanderten wir entlang eines kleinen Flusses durch den Wald und dann über das Hochplateau zu den Taranaki Falls. Die Sonne lachte und bescherte uns traumhafte Aussicht über die endlose Ebene zu den drei Vulkanen. Wo ihre Strahlen hinschienen, war es angenehm warm, aber die Stellen, die sie nicht erreichte, waren selbst nachmittags noch von einer Eisschicht überzogen. Da es auch eine entsprechend kalte Nacht zu werden versprach, waren wir nicht böse, auf dem Parkplatz eines Motels in Ohakune am südlichen Ende des Nationalparks übernachten zu können, wo wir den Abend im kaminbeheizten Aufenthaltsraum verbringen durften und sogar das Bad beheizt war. Wir unterhielten uns den ganzen Abend mit einem älteren neuseeländischen Herren, der auf Dienstreise in der Gegend war, und einer jungen Frau aus Argentinien, die ein Work&Travel-Jahr hier verbringt und gerade in einem Hotel an der Rezeption arbeitet.

Taranaki Falls

Neben dem Tourismus lebt Ohakune von der Landwirtschaft. Die Karotten gedeihen hier so gut, dass man ihnen ein Denkmal gesetzt hat (kein Scherz).

Der nächste Tag brachte schon wieder Regen, der oben auf den drei Vulkanen sicherlich als Schnee fiel – wir sahen jedenfalls überhaupt nichts von ihnen, sie waren völlig in den Wolken verborgen, als wir im Osten an ihnen vorbei auf der Desert Road fuhren, auf der man zwischenzeitlich wirklich meint, in der Wüste zu sein, so karg ist dort die Landschaft.

Am Ende der Desert Road liegt der Lake Taupo, der größte See Neuseelands und eigentlich der kollabierte Krater eines riesigen Vulkans, der zuletzt vor etwa 27.000 Jahren ausgebrochen war. Er liegt auf einer Verwerfungslinie, die sich quer durch die Nordinsel vom Taranaki im Westen bis zu White Island im Osten zieht, und damit waren wir nun mitten im Herzen der vulkanischen Aktivität angekommen. In Tokaanu im Süden des Taupo-Sees besuchten wir ein Geothermalgebiet mit dampfenden Bächen, brodelnden Teichen und spuckenden Schlammlöchern, und über allem waberte der schwefelige Gestank fauler Eier. Auch auf der Fahrt entlang des Sees trat an vielen Stellen Dampf aus der Erde, einfach mitten auf der Wiese. Stellenweise gab es sogar Dampf-Warnschilder am Straßenrand. Vielerorts sah man riesige Metallrohre, die zu den Erdwärme-Kraftwerken gehörten, mit denen dort Energie erzeugt wird.

Lake Taupo

Eine weitere Sehenswürdigkeit der Region hing ebenfalls mit der Stromerzeugung zusammen. Am Aratiatia-Damm, wo Wasser für ein weiteres Kraftwerk gestaut wird, muss mehrmals täglich der Pegel ausgeglichen werden, damit der Stausee nicht überläuft. Das heißt, dass zu festgesetzten Zeiten jeweils eine Viertelstunde lang Wasser aus dem See abgelassen wird. In der dahinter liegenden Schlucht verwandelt sich der harmlos dahin plätschernde Bach daraufhin in Minutenschnelle in eine reißende Flut und dieses Spektakel kann man aus sicherer Entfernung von mehreren Aussichtspunkten aus beobachten. Wir waren so angetan, dass wir es uns am nächsten Tag noch einmal anschauten.

Aratiatia-Damm: vorher….

…. und nachher

Ein paar Kilometer oberhalb des Stausees liegt außerdem mit den Huka Falls der mächtigste, wenn auch bei weitem nicht höchste, Wasserfall Neuseelands. Obwohl er gerade einmal elf Meter hoch ist, führt er so viel Wasser, dass er innerhalb von 11 Sekunden ein olympisches Schwimmbecken füllen würde. All das schauten wir uns bei mehr oder weniger beständigem Regen an. Wasser von allen Seiten…

Huka Falls

Auch auf unserer Weiterfahrt nach Osten besserte sich das Wetter nicht wesentlich. Die Landschaft auf der Strecke nach Napier bestand aus steilen, grünen Tälern und (wie immer) kurvigen Straßen, aber es schüttete dermaßen, dass sich Anhalten gar nicht lohnte. In Napier konnten wir immerhin ein bisschen durchs Stadtzentrum spazieren, dass mit seiner Art Déco-Architektur sehr charmant ist, aber auf dem Campingplatz wateten wir rund um unser Auto durch den Matsch und waren schon froh, nicht einzusinken. Als uns der nächste Tag tatsächlich mal wieder ein paar Sonnenstrahlen bescherte, machten wir einen Abstecher nach Hastings mit noch mehr schönen Art Déco-Gebäuden und einer tollen Aussicht vom Te Mata Peak über die Hawke’s Bay, der wir dann den Rest des Tages entlang nach Osten folgten.

Napier

Aussicht vom Te Mata Peak über die Hawke’s Bay

Unser Ziel, den östlichsten Punkt Neuseelands, erreichten wir allerdings erst am nächsten Tag, nach einer Zwischenübernachtung in Wairoa, dessen Campingplatz uns wohl in erster Linie wegen des zahmen, zugelaufenen Kaninchens in Erinnerung bleiben wird, welches dort frei herum hoppelte und sich sogar streicheln ließ. Laut der Managerin war es eines Tages einfach aufgetaucht und geblieben. Auf der Weiterfahrt wollten wir eigentlich eine Badepause an einer heißen Quelle machen, aber es regnete schon wieder. Erst am Nachmittag klarte es auf, sodass wir uns noch auf zum Ostkap machten und dort mit einer tollen Aussicht vom Leuchtturmgelände aus über die Küste und das Meer im Abendlicht belohnt wurden. Hier geht die Sonne in Neuseeland als erstes auf, weshalb der höchste Berg der Gegend für die Maori heilig ist.

Aussicht vom Ostkap

Auch uns hätte etwas mehr Licht für die Fahrt genützt, denn die Straße zum Kap hatte es wirklich in sich. Schotter wechselte sich ab mit Schlamm und Baustellen, stellenweise war sie nur breit genug für ein Fahrzeug zwischen abrutschgefährdetem Hang auf der einen und Steilklippe ins Meer auf der anderen Seite. Wo keine unmittelbare Gefahr bestand, mit dem Auto baden zu gehen, musste man aufpassen, keine der freilaufenden Schafe, Kühe, Pferde und Hunde zu überfahren, die zu den vielleicht zwei Farmen entlang der gesamten Strecke gehörten. So konnte man für 20 km schon mal eine gute halbe Stunde einplanen, pro Richtung (dazu kamen noch die mehreren hundert Treppenstufen bis zum Leuchtturm), weshalb wir leider erst in der Dämmerung zurückfahren konnten. Ohne Tageslicht machen Schotterpisten echt keinen Spaß. Das Scheinwerferlicht ist nicht nur nutzlos zum rechtzeitigen Erkennen der Schlaglöcher, es irritiert auch die auf der Straße stehenden Kühe, die sich dann – buchstäblich wie das Reh im Scheinwerferlicht – erst recht nicht mehr von der Stelle bewegen. Da hilft dann nur Licht aus, ganz langsam anfahren und warten, dass sie den Hinweis irgendwann verstehen. Im Endeffekt erreichten wir Te Araroa, den letzten Ort vor dem Kap, erst in der Dunkelheit und fanden wieder einmal Unterschlupf auf dem Parkplatz eines Hostels – die Wiese wäre von all dem Regen der vorangegangenen Tage zu nass gewesen. Wir hofften darauf, irgendwann mal wieder Internet zu haben, um wenigstens einmal nach dem Wetter schauen zu können…

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