Phnom Penh

06. Dezember 2016, Koh Rong Samloem

Ich hatte nicht die besten Erwartungen im Hinblick auf Kambodschas Hauptstadt, aber am Ende hatten wir wesentlich weniger Startschwierigkeiten als nach unserer Ankunft in Hanoi und trauten uns gleich viel mehr auf die Straße.

Unsere Nachbarschaft

Unsere Nachbarschaft

Das mag zum Teil daran gelegen haben, dass unser Hostel kein Ort war, wo wir uns unnötig lange aufhalten wollten. Es lag zwar sehr zentral in Laufnähe zu den meisten wichtigen Sehenswürdigkeiten, aber unser Zimmer war ein echter Klimaschock. Im dritten Stock unter dem Dach gelegen, mit einem einzigen kleinen Fenster zum Gang (nicht einmal nach draußen) und nur einem Ventilator, war die Luft dort derart heiß und sauerstoffarm, dass ich leichte Sorge hatte, wir könnten nachts im Schlaf ersticken.

Am ersten Abend wollten wir eigentlich nur etwas zu essen suchen gehen, aber man sagte uns, dass an diesem Abend Nachtmarkt am Fluss wäre, also liefen wir dorthin und bummelten über den Markt, fanden aber nichts, was wir unbedingt kaufen wollten. Außerdem machten wir unsere ersten Erfahrungen mit dem kambodschanischen Straßenverkehr, der dem vietnamesischen in nichts nachsteht, mit dem Unterschied, dass viel weniger gehupt wird und man tatsächlich zuweilen den Vortritt gelassen bekommt.

Die Nacht im Backofen in besagtem Zimmer war eine Vollkatastrophe; so schlecht geschlafen haben wir wahrscheinlich zuletzt die zwölf Stunden Nachtfahrt im hardseat von Xi’an nach Chengdu. Den Ventilator mussten wir die ganze Nacht laufen lassen, obwohl er natürlich auch nur den Mief umgerührt hat – aber ohne wäre es überhaupt nicht auszuhalten gewesen. Da er genau über dem Kopfende des Bettes angebracht war, mussten wir trotz der Hitze noch unsere Ohren zudecken, um uns keine Ohrenentzündung zuzuziehen; verkehrte Welt.

Am nächsten Tag besuchten wir vormittags den Königspalast und nachmittags das Nationalmuseum, beides in Laufentfernung vom Hostel. Der König Kambodschas wohnt auch direkt dort im Palast, in einem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Teil; man kann den Thronsaal und die Halle des Smaragdbuddhas sowie einen Teil des Parks besichtigen. Wir waren schon halb neun morgens dort, da das Thermometer hier jeden Morgen um acht die 30°C-Marke knackt, und in unserem Zimmer hätten wir es ohnehin nicht länger ausgehalten. (Mittags konnten wir zum Glück in einen klimatisierten Schlafsaal umziehen – eine Wohltat!)

Thronsaal

Thronsaal

Nett hat's der König...

Nett hat’s der König…

Die Halle des Smaragdbuddhas - welchen man allerdings nicht fotografieren darf

Die Halle des Smaragdbuddhas – welchen man allerdings nicht fotografieren darf

Das Nationalmuseum am Nachmittag war ganz nett, aber in erster Linie wegen seiner wunderschönen Khmer-Architektur und dem hübschen Innenhof. Zu sehen gab es im Wesentlichen eine Menge verstaubte Statuen.

Das Nationalmuseum von Phnom Penh

Das Nationalmuseum von Phnom Penh

Abends spazierten wir ein Stück am Flussufer entlang, wo die Brise und die leicht gesunkenen Temperaturen es endlich wieder erträglich machten. Man sollte in diesem Klima keine Städte bauen…

Die Uferpromenade

Die Uferpromenade

Nach langem Überlegen entschieden wir uns, am nächsten Tag ein besonders dunkles Kapitel der kambodschanischen Geschichte aufzuarbeiten: den Völkermord der Roten Khmer. Mit dem Tuktuk fuhren wir morgens zu den 17km außerhalb der Stadt gelegenen Killing Fields von Choeung Ek, wo einst Gefangene hingerichtet und in Massengräber geworfen wurden. Männer, Frauen, Kinder, sogar Babys; Regimegegner, Unbeteiligte, Soldaten der Roten Khmer selbst – niemand wurde verschont. Wenn ein Familienmitglied verhaftet wurde, aus welchem erfundenen Grund auch immer, wurde oft gleich die ganze Familie umgebracht, um spätere Rache der Kinder zu verhindern. Im ganzen Land gab es unzählige dieser Killing Fields, in denen nachts Propagandalieder und Generatorenlärm die Schreie der Sterbenden übertönten, damit die Bevölkerung der umliegenden Dörfer keinen Verdacht schöpfte, was dort wirklich geschah. Choeung Ek ist heute das Zentrum des Gedenkens. Dort wurde eine Stupa errichtet, in der 8.000 Schädel aufbewahrt werden. Wo die Massengräber waren, ist heute eine Art Park, aber man sieht noch die Senken im Boden. Es ist ein unfassbar trauriger Ort, und es gibt keine Worte, zu beschreiben, was in diesen Jahren in Kambodscha geschehen ist. In nur vier Jahren, von 1975 bis 1979, starben etwa ein Viertel der Bevölkerung durch die Gräueltaten der Roten Khmer, durch Zwangsarbeit, Mangelernährung und fehlende medizinische Versorgung. Jeder Kambodschaner, der heute älter als vierzig ist, ist Überlebender dieser schrecklichen Zeit, man sich gar nicht vorstellen, was das bedeutet.

Die Pagode mit den 8.000 Schädeln

Die  Stupa mit den 8.000 Schädeln

Im Anschluss fuhren wir zurück in die Stadt und schauten uns das Foltergefängnis S-21 (Tuol Sleng) an. Nach der Räumung Phnom Penhs wurde diese einstige Schule in ein Gefängnis umgewandelt, wo Gefangene so lange gefoltert wurden, bis sie die erfundenen Anschuldigungen gegen sie zugaben, nur um dann auf den Killing Fields hingerichtet zu werden. Man kann die Zellen besichtigen und in einigen Räumen sind Informationstafeln aufgestellt, wo man über das Regime und das Leben der Menschen in dieser Zeit lernen kann. Aber nichts kann die Frage nach dem Warum beantworten. Warum Menschen einander solche Grausamkeiten antun. Am Ende fühlt man sich hilflos, fassunglos, leer. Von den mehr als 17.000 Menschen, die in der Zeit des Khmer Rouge-Regimes hier inhaftiert waren, haben nur elf überlebt.

Tuol Sleng

Tuol Sleng

Um etwas auf andere Gedanken zu kommen, fuhren wir dann auf den Zentralmarkt, schauten uns die bunten Stände an, die von Kleidung, Taschen, gefälschten Uhren und anderem Schnickschnack überquollen, tranken einen frisch gepressten Zuckerrohrsaft und buchten uns abends einen Bus nach Kep an der Küste, um die Stadt am nächsten Tag hinter uns lassen zu können.

2 Gedanken zu „Phnom Penh

  1. Euer Bericht über die Greueltaten der Roten Khmer erinnern stark an die Zeit des Faschismus in Deutschland mit all den Konzentrationslagern. Um den Grund dafür zu erfahren, habe ich mal bei Wikipedia geschaut und folgendes gefunden:
    Die Roten Khmer wollten die Gesellschaft mit Gewalt in einen Agrarkommunismus überführen. Dieser Prozess umfasste auch die fast vollständige Vertreibung der Bevölkerung der Hauptstadt Phnom Penh und mündete in einen Massenmord an der kambodschanischen Bevölkerung, der weltweite Bekanntheit erlangte…
    Ich finde es aber gut, dass Ihr auch um so etwas keinen Bogen macht – das Leben hat eben leider nicht nur sonnige Seiten.

    • Ja, über die nüchternen Gründe haben wir auch gelesen, und ich hatte mich auch vorher schonmal belesen über diese Zeit. Aber am Ende bleibt man trotzdem fassungslos über das Ausmaß des Grauens. Es waren ja Menschen wie du und ich, sowohl die Opfer als auch die Täter, und wie viele waren ein bisschen von beidem. Und wer kann ihnen Vorwürfe machen – wer weiß, wie man selbst unter solchen Umständen reagiert hätte. Aber schon die Tatsache, dass in Pol Pots Ideologie Lehrer und Studierte zu den „neuen“ Menschen gehörten, die als Feinde des Systems eliminiert wurden, obwohl er selbst und viele der obersten Anführer seiner Organisation sogar im Ausland studiert haben; da versteht man doch die Welt nicht mehr. Aber ja, wir hatten das Gefühl, dass wir auch eine Verantwortung haben, uns das anzuschauen; schließlich ist es ein wichtiges Stück kambodschanischer Geschichte. Es war zwar kein schöner Tag in dem Sinne, aber wir sind froh, dass wir dort waren.

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