14.09.2016, 12:05 (Moskauer Zeit), irgendwo vor Perm
Seit knapp 24 Stunden fahren wir jetzt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Wir haben uns bewusst für die 3. Klasse entschieden, um einen authentischen Eindruck zu erhalten. 54 Betten sind zweistöckig in einem Waggon arrangiert, jeweils 4 als offenes Abteil quer zur Fahrtrichtung und gegenüber 2 längs zur Fahrtrichtung. Wir haben zwei Betten übereinander in einer der Vierergruppen.
Unsere Nachbarn sind schon da, als wir einsteigen – ein Paar aus Frankreich in unserem Alter, die ebenfalls nach Irkutsk und Ulan-Bator und weiter nach Peking fahren. Wir freuen uns, jemanden zum Reden zu haben. Kurze Zeit später kommt noch eine junge Reisende vorbei, die ihr Bett sucht und heilfroh ist, als sie uns Französisch sprechen hört – noch eine Französin, die ganz allein unterwegs ist, und ab jetzt die meiste Zeit bei uns sitzen wird.
Wir sind uns einig, dass es eine großartige Vorstellung ist, die nächsten 3,5 Tage nur im Zug zu verbringen (sonst würden wir das ja auch nicht machen) und freuen uns auf die Ruhe und die Freizeit. Viel zu tun gibt es ja nicht: sich unterhalten, lesen, Russisch lernen, zum Fenster rausschauen, essen, Tee trinken, schlafen …
13:50 sind wir losgefahren und viele Leute haben sich direkt schlafen gelegt. Vielleicht müssen sie heute Nacht irgendwo aussteigen – allein in der Nacht wird der Zug 16 mal halten, wovon wir aber schlafenderweise nichts mitbekommen. Tagsüber gibt es hin und wieder längere Halte von 20 – 30 Minuten, wo wir aussteigen und frische Luft schnappen können. Im Zug ist es mollig warm, 26 Grad, aber draußen sind abends nur noch neun Grad. An den Bahnsteigen, wo der Zug lange hält, stehen Händler; mancherorts haben sie feste Stände und verkaufen Getränke, Obst, Käse, Fertiggerichte und Plüschtiere, an anderen Bahnsteigen verkaufen sie Äpfel und selbstgemachtes Essen aus Eimern oder Kinderwagen. Wir kaufen Blini (eine Art Crêpe) mit Quark, 2 Stück für umgerechnet weniger als einen Euro, die sehr gut schmecken.
Im Waggon gibt es einen Samowar, einen Heißwasserspender, und da wir 5-Minuten-Terrinen, Teebeutel und Tassen mithaben, können wir ihn gut nutzen. Außerdem gibt es einen Trinkwasserspender und eine Steckdose. Die Toilette ist nach unten offen, das Geschäft landet also direkt auf dem Gleisbett, aber wir sind ja in Sibirien. Denken wir zumindest; wir wissen ehrlich gesagt nicht so genau, wo Sibirien eigentlich anfängt.
Auf jeden Fall haben wir gemerkt, dass die Leute schon viel freundlicher geworden sind, seit wir Moskau verlassen haben; die Händler auf den Bahnsteigen lächeln sogar mal, und die Waggonbegleiterin hört sich geduldig meine Versuche an, ihr in rudimentärem Russisch zu erklären, aus welchen Ländern wir kommen. Auch die drei Franzosen haben in Moskau keine guten Erfahrungen mit den Leuten gemacht, und wir hoffen, dass es vielleicht wirklich nur in Moskau so ist, Hauptstädte sind ja immer anders als der Rest des Landes.
Es ist erstaunlich ruhig im Waggon, obwohl fast alle Betten belegt sind.Wir sind mit Abstand die lauteste Gruppe, und eine gegenüber sitzende alte Frau bringt uns mit einem ernsten Blick zum Schweigen. Auch nachts ist es unglaublich ruhig. Gegen 21:45 wird das Licht bis auf eine Minimalbeleuchtung ausgeschaltet, aber da sind die meisten Passagiere schon schlafen gegangen. Bis früh um sechs hört man keinen Mucks; nur die alte Frau gegenüber schnarcht selig vor sich hin.
Gleich erreichen wir Perm und haben wieder über 20 Minuten Halt; mal sehen, was es da zu kaufen gibt…
30 Minuten später…
Es gab u.a. Piroggen mit Kartoffelfüllung, sehr lecker. Es gab auch wieder Plüschtiere, irgendwelche Sammelkarten, Kartoffelscheiben mit einer Hähnchenkeule in einer Asiette, und die obligatorischen Äpfel.
Nun sind wir schon etwa 1500 km von Moskau entfernt, aber die Landschaft hat sich kaum verändert. Wälder, Felder, schlammige Straßen, auf denen dreckige Autos an den Bahnübergängen warten, kleine Dörfer mit teils bunten, aber überwiegend grau-braunen Häuschen. Nahe der Bahnhöfe riesige Fabrikgebäude in verschiedenen Verfallsstadien. Überhaupt ist in Russland alles riesig. Das Land selbst. Die Hochhäuser in Moskau. Die Wohnblöcke entlang der Bahnhöfe. Die Bahnhöfe selbst mit unzähligen Gleisen. Die Güterzüge sind ewig lang, die Loks und Wagons wirken zwei Nummern größer als in Deutschland.
In unserem Waggon ist es sehr gemütlich. Es riecht auch irgendwie gut; der Waggon hat einen ganz eigenen, zugegeben leicht muffigen Geruch; ein ganz kleines bisschen süßlich, so wie Dachboden, aber manchmal wabert auch eine Schwade Nudelsuppengeruch vorbei, wenn wieder jemand sein Essen auspackt (und gegessen wird hier viel).
Die Franzosen schlafen bzw. lesen; Kathrin schläft auch. Ich habe gerade neuen Tee aus dem Samowar geholt und schaue wieder in die russische Landschaft, das könnte ich stundenlang tun. Die alte Frau uns gegenüber ist in Perm ausgestiegen und hat uns eine gute Reise gewünscht.
Update, 16.09.2016, 07:30 Moskauer Zeit
Jetzt sind wir 65 Stunden gefahren, 4000 km und vier Zeitzonen von Moskau entfernt, und seit gestern sehen wir die große sibirische Weite. Wälder, Flüsse, kleine Dörfer, die teilweise unglaublich verfallen aussehen bis man doch einen Menschen entdeckt, und dazwischen endlose Steppen. Besonders morgens und nachmittags ist das Licht magisch und ich schaue stundenlang aus dem Fenster.
Unsere neuen Nachbarn seit anderthalb Tagen sind eine Mutter mit ihrer Tochter, die auf unsere Frage „You speak English?“ viel zu schnell mit „No!“ antwortet. Wir versuchen uns in gebrochenem Russisch zu unterhalten, erzählen ihnen wo wir herkommen und erfahren, dass sie auf Familienbesuch sind und bis Krasnoyarsk fahren. Sie haben eine risige Pirogge mit (eine Art Calzone mit Kartoffel-, Kohl- und Fleischfüllung) und schenken uns ein großes Stück, was für uns fünf mehr als ausreichend ist. Wir schenken ihnen zum Dank ein paar Tütchen Haribo und die Franzosen kleine Eiffelturm-Anhänger, von denen sie einen ganzen Beutel voll mithaben.
Zugegeben, wir müffeln mittlerweile ein bisschen, keiner hat sich seit Fahrtbeginn umgezogen, aber immerhin haben wir schon gelernt, Haare zu waschen oder zu „duschen“ mit nur einer halben Tasse warmen Wassers aus dem Samowar und Feuchtetüchern. Ganz vielen Feuchtetüchern.
Nach Novosibirsk wechselt die Landschaft, wird hügelig und bewaldet, und die Bäume haben eine deutliche Herbstfärbung angenommen. Wir sind supererholt, und ich träume schon davon, irgendwann mal die ganze Strecke bis Vladivostok zu fahren. Ich werde jetzt erstmal weiter aus dem Fenster schauen…
Liebe Kathrin und Birgit (unbekannter weise), ich lese aufmerksam euren blogg, und warte sehnsüchtig auf Fotos von Robben am Baikalsee
ihr lebt gerade meinen Traum, und ich bin wirklich froh, mitlesen zu können
@Kathrin: es ist weiterhin komisch, ohne dich aus dem Büro zu gehen
Hallo Maren,
leider, leider haben wir überhaupt keine Robben am Baikalsee gesehen. *schnüff* Wir haben gehört, dass sie sich hauptsächlich an einer kleinen Landzunge auf der östlichen Seite des Sees aufhalten, da haben wir leider Pech gehabt und können dir keine Fotos liefern 🙁
Die Transsib war wirklich eine wunderbare Erfahrung, du solltest dir unbedingt selbst ein Bild machen und deinen Traum in die Tat umsetzen. Vielleicht hast du mit den Robben mehr Glück?
Ganz liebe Grüße
Kathrin (& Birgit)
Toller Bericht – das selbst das Interesse der Omas ist riesig und sie warten begierig auf Neues ;))) Ganz viele liebe Grüße an die beiden Weltreisenden von allen zu Hause
Vielen Dank fürs Schreiben, meine Mama war heute ganz begeistert, dass Neuigkeiten von euch da sind.
Vielen Dank auch für den englischen Part, da auch in Brasilien mitgelesen wird.
Ich wünsche euch weiterhin eine tolle Fahrt und in eurer ersten nicht-fahrenden Unterkunft eine schöne erfrischende Dusche 😉
Vom westlichsten Teil Portugals – Capo de Roca – senden wir den Weltenbummlerinnen unsere herzlichen Gruesse. Wir lesen mit Interesse Eure Reiseeindruecke. Weiterhin viele interessante Erlebnisse.
Bon voyage les filles et peut être a bientôt!!