15. Oktober 2016, schon in Chengdu
Willkommen im Herzen Chinas. Während ich das schreibe, sind wir zwar schon in der nächsten Stadt angekommen, aber wir wollen euch ja nichts vorenthalten; außerdem war es auch wieder sehr erlebnisreich dort.
Unser Hostel fanden wir relativ problemlos, weil zumindest eine von uns Karten lesen kann (ohne Kathrin hätte ich wahrscheinlich sehr, sehr lange gesucht). Es lag, und jetzt kommt eine Überraschung, mitten im muslimischen Viertel. Ja, Xi’an hat eine große chinesisch-muslimische Gemeinde – die Männer tragen teils kaftanähnliche Gewänder und Kappen als Kopfbedeckung, die Frauen tragen bunte Kopftücher in verschiedensten Stilrichtungen.
Die „Muslim Street“ ist eine der geschäftigsten Straßen der Stadt, gesäumt von unzähligen Restaurants und Geschäften, vor denen die Fußwege überquellen von Straßenständen, an denen man vor allem Essen kaufen kann. Das Hostel lag gut versteckt – man musste durch einen Papierladen direkt neben der Schlange am Kebabstand – aber dafür war es drin erstaunlich still; vom Lärm der Händler und Touristen draußen hörte man gar nichts.
Unser Schlafsaal hatte drei Doppelstockbetten, die leer waren, sich aber im Laufe des Abends und der Nacht noch füllten. Wir hatten nur eine Nacht gebucht, da wir erstmal schauen wollten, ob es uns dort gefällt, aber das Zimmer war sehr sauber, also verlängerten wir gleich noch drei Nächte und machten uns dann auf, etwas zu essen zu kaufen.
Die Auswahl an den Ständen war schier überwältigend; die Muslim Street ist der Ort, um street food zu essen. Es gab natürlich viel Fleisch, das lieben die Chinesen ja, und Lämmer wurden auf offener Straße, von großen Haken hängend, zerlegt.
Man konnte auch verschiedene Arten von Fladen- und Pitabroten kaufen, Gemüsepfannen, Nudeln, Nüsse, Obst, Süßigkeiten, frisch gepressten Granatapfelsaft für 1-2€ pro Becher,… Viele Stände verkauften längliche gelbe Kuchenstücke an Spießen, die sich als eine Art sehr fester Rührkuchen entpuppten und vor dem Verkauf noch einmal in Rosenwassersirup getunkt wurden – sooo lecker!
Am späten Nachmittag gingen wir zum Drum Tower/Trommelturm, der direkt am Ende der Muslim Street liegt. Früher hatte jede Stadt einen Trommel- und einen Glockenturm, die den Menschen die Uhrzeit mitteilten. Tagsüber läuteten die Glocken und nachts wurde zu festen Zeiten die Trommel geschlagen. Für mich (B) war es natürlich Ehrensache, den Trommelturm zu besuchen. Er hatte mehrere Etagen und von oben hatte man einen guten Blick auf die umliegenden Gebäude (die Muslim Street war unter dem dichten Blätterdach der alten Bäume praktisch unsichtbar), den angrenzenden Park und den nahe gelegenen Glockenturm. Außerdem waren sehr viele sehr große Trommeln ausgestellt und wir erwischten ein kurzes Konzert mit Trommeln und traditionellen chinesischen Instrumenten in der Haupthalle.
Danach spazierten wir zum Südtor der Stadtmauer, die noch viel größer und beeindruckender ist als die in Pingyao, aber da es schon spät war, gingen wir nicht hinauf.
Am Montagmorgen machten wir uns auf den Weg zum Shaanxi History Museum, da es erstens kostenlos war und zweitens Informationstafeln in Englisch haben sollte. Allerdings hatten wir gelesen, dass man zeitig kommen müsste, da die Anzahl der Tickets limitiert sei, also brachen wir schon um sieben auf.
Wir hatten uns im Internet die Busnummer herausgesucht und liefen am Glockenturm von Haltestelle zu Haltestelle auf der Suche nach der richtigen. Der Glockenturm steht quasi im Zentrum der Altstadt inmitten eines riesigen Kreisverkehrs, um den herum unzählige Haltestellen liegen. Nur die Nummer die wir suchten, stand nirgends dran. Wir beschlossen also, zum Museum zu laufen – wir hatten immerhin einen Stadtplan und so weit sah es gar nicht aus…
Zwei Stunden, in denen wir uns zweimal verliefen, zwei Polizisten nach dem Weg fragten, die dann ihrerseits einen gerade anwesenden Müllmann konsultierten mussten, und viel Frust später fanden wir auch tatsächlich das Museum.
Es hatte montags geschlossen.
Gut. Wir liefen zur nächsten Metrostation und entdeckten auf dem Weg dorthin einen Tempel, den Da Xing Shan Tempel, der weder im Reiseführer noch auf Wikitravel erwähnt wurde, aber da wir schonmal da waren und der Eintritt frei war, gingen wir hinein. Zu unserer Überraschung war das Tempelareal riesengroß, sehr neu und gepflegt, und es waren kaum Leute da. So schlenderten wir bestimmt 20 Minuten durch das Gelände und die Tempelgebäude und genossen die Ruhe.
Mit der Metro fuhren wir dann zur Kleinen Ganspagode.
Wir hatten wieder Glück; Eintritt musste man nur für die Pagode, nicht aber für den umliegenden Park zahlen, also spazierten wir durch den sehr schönen Park bis uns die Füße weh taten (es war inzwischen ja schon Nachmittag) und fuhren dann mit der Metro zurück zum Hostel, mit kurzem Stopp auf der Straße, um Mittagessen zu kaufen. Dann war erstmal Zeit für ein Nachmittagsschläfchen, denn ich (B) hatte einen Hustenrückfall und Kopfschmerzen und brauchte eine Pause. Wir waren ziemlich froh, dass wir nicht den Tagesausflug zu den Bergtempeln Hua Shan gemacht hatten, der erstens locker 60 € pro Person gekostet, sondern auch noch mindestens fünf Stunden Wandern in steilem Berggelände bedeutet hätte.
Stattdessen machten wir abends nochmal die Straße unsicher und probierten uns weiter durch die Fressbuden. Besonderes Highlight war ein Trinkobststand (man kann es nicht anders nennen), wo man sich eine Frucht aussuchte, z.B. eine Melone, Orange, oder in unserem Fall Drachenfrucht, die dann durch eine kleine Öffnung oben mit einer Art Bohrer innen noch in der Schale püriert und mit einem Strohhalm versehen wurde, mit dem man das nun flüssige Innere trinken konnte. Suuuperlecker.
Am Dienstag trafen wir uns mit unserem Freund Mak, der inzwischen ebenfalls aus Peking eingetroffen war (sein Heimatdorf liegt in der Nähe von Xi’an). Als erstes half er uns, im Hostel eine Erstattung für die letzte Nacht zu erhalten, da wir für vier Nächte bezahlt hatten, aber unser Plan sich nun geändert hatte und wir schon eine Nacht eher weiterfahren wollten. Die Managerin sagte uns, das ginge nicht und es stünde explizit auf ihrer chinesischen Website (na toll). Mak diskutierte eine ganze Weile mit ihr und letztendlich stimmte sie doch zu. Danach fuhren wir zum Zentralbahnhof, um Fahrkarten für unsere Weiterfahrt nach Chengdu zu kaufen – aber das ist ein separates Kapitel und wird im nächsten Eintrag ausführlich gewürdigt. 😉 Von dort aus nahmen wir einen Bus zur Terrakotta-Armee, dem größten Hightlight Xi’ans. Die Armee liegt eine Dreiviertelstunde Busfahrt vom Zentrum entfernt; auf dem Weg dorthin säumten Scharen von Händlern die Schnellstraße und verkauften Granatäpfel und kleine Kaki-Früchte, die gerade Saison haben. Die kleinen Kakis werden dabei erst gegessen, wenn sie schon so weich sind, dass man sie kaum noch zwischen zwei Fingern halten kann.
Mak hatte versprochen, uns Eintrittskarten für die Terrakotta-Armee zu organisieren, da der reguläre Eintritt mit satten 25 € pro Nase zu Buche geschlagen hätte. Er sagte, er hätte einen Freund, der für die Regierung arbeitet und uns Tickets zum halben Preis verschaffen könnte. Am Areal der Armee angekommen trafen wir die Ehefrau des Freundes, die uns die Tickets brachte, aber am Ende konnten wir niemandem irgendwas bezahlen und wurden effektiv eingeladen.
Um die Ausgrabungsstätten der Terrakotta-Armee herum ist ein schöner Park angelegt, vor dessen Toren ein wahres Einkaufszentrum liegt, wo es Unmengen von Souvenirläden und Schnellrestaurants gibt, sogar ein Starbucks. Verkauft wird alles von den obligatorischen Nachbildungen der Soldaten über fast food bis hin zu echten Tierpelzen, die verdächtig nach Hundefellen aussahen. Hat man sich erst einmal bis zum Eingang der eigentlichen Ausstellung durchgeschlagen, gelangt man zu drei Ausgrabungsstätten in großen Hallen, wobei die größte (die man auch von Fotos kennt) die Größe eines Flugzeughangars hat. Dort stehen die tönernen Krieger in Reih und Glied samt ihrer Pferde in endlosen Reihen und nehmen circa ein Drittel der Halle ein. Danach folgt ein Drittel, wo die Ausgrabungsarbeiten im Gange sind und eines, wo die ausgegrabenen Soldaten und Pferde aufgestellt werden, wenn sie nicht intakt sind. Vielleicht sollte Kathrin diesen Part besser schreiben, denn ich muss sagen, nach fünf Minuten sahen sie eigentlich alle gleich aus.
Da muss ich (Kathrin) jetzt mal meinen Senf dazutun, denn Fakt ist ja, dass wirklich keine der Figuren aussieht wie die andere. Sie haben alle unterschiedliche Gesichter, Bärte, Frisuren, Rüstung und Haltung, von denen man zB auch ihren militärischen Rang ablesen kann. Zum anderen besteht die ‚Armee‘ nicht nur aus Soldaten, obwohl diese in der Haupthalle die Mehrheit sind, sonderern es gibt auch Akrobaten, Schreiber, Handwerker etc. Bis heute ist wohl ungeklärt, ob die Figuren wirklichen Vorbildern nachempfunden wurden, oder ob die Handwerker ihrer Kreativität einfach freien Lauf ließen. Die Grabanlage wurde für den chinesichen Kaiser Qín Shǐhuángdì gebaut, der quasi seinen gesamten Hofstaat mit ins Totenleben nehmen wollte.
Was mich (B) eher beeindruckt hat, war die Tatsache, dass erstens ein großer Teil noch gar nicht ausgegraben ist – es sind an vielen Stellen nur die Gräben markiert, in denen sich noch weitere befinden, insgesamt schätzungsweise 6.000, und dass sie zweitens nur Trümmerhaufen sind, wenn sie ausgegraben werden und in jahrelanger, mühevoller Puzzlearbeit zusammengesetzt werden müssen – ja, ich alte Ignorantin und Geschichtsbanausin hatte ehrlich gedacht, sie hätten da all die Jahrtausende so ordentlich unter der Erde gestanden… Zwischendurch trafen wir mal wieder Jon und Tasha, das Paar aus London, die in UB und Peking in den selben Hostels wie wir übernachtet hatten und sogar im gleichen Zug und Waggon wie wir nach China gefahren waren. Wir plauschten ein bisschen und beschlossen, in Chengdu (wo wir alle als nächstes hinfahren, haha) mal essen zu gehen. In Halle zwei und drei waren die Ausgrabungsstätten kleiner als in der Haupthalle; dort standen Soldaten in anderen Uniformen und Pferde in Kutschformation, dazu gab es noch eine Ausstellung von Bronzeskulpturen und Waffen, und irgendein ein Museum, durch welches wir uns dann aber schon ziemlich fußlahm schleppten.
Abends hatten wir uns eigentlich mit Mouna verabredet, doch wir mussten ihr absagen, da Maks Freund (der bei der Regierung arbeitet) beschlossen hatte, uns zum Essen einladen zu wollen, und die Höflichkeit hätte es verboten, abzulehnen, da er uns ja die Karten versorgt hatte.
Seine Frau (die uns mittags schon die Tickets gebracht hatte), holte uns mit dem Auto ab. Während wir auf sie warteten, beschloss Mak, dass wir unbedingt noch ein paar Granatäfpfel kaufen müssten, und dass er uns zehn Stück für einen Euro erfeilschen könnte. All unsere Proteste, dass wir keine zehn Stück bräuchten, stießen auf taube Ohren und er fing mit der nächstbesten Händlerin vor dem Parkplatz an zu verhandeln. Im Endeffekt leierte er ihr acht Stück aus dem Kreuz – zugegeben, acht Granatäpfel für einen Euro sind schon ein echtes Schnäppchen – aber wir waren leicht frustriert, da es uns eigentlich zu viele waren.
Dann kam die Frau, um uns abzuholen; Mak nahm auf dem Beifahrersitz Platz und wir beide setzen uns auf die Rückbank zum kleinen Sohn der Frau, etwas über dreieinhalb Jahre alt. Die Zartbesaiteten oder Kinderliebhaber unter euch überspringen den Rest dieses Absatzes jetzt besser…Die Sicherheitsstandards im chinesischen Straßenverkehr entsprechen gelinde gesagt nicht den deutschen. Es gibt nicht nur keine Gurtpflicht auf der Rückbank (oder Helmpflicht auf Motorrädern, oder die Pflicht, an roten Ampeln zu halten); anscheinend gibt es auch keine Kindersitze. Und es scheint auch niemanden zu stören. Der dreieinhalbjährige Knirps stand fröhlich auf dem erhobenen Teil vor der Mitte der Rückbank und hielt sich an Fahrer- und Beifahrersitz fest. Als die Mama einmal etwas schärfer bremsen musste und der Kleine unwillkürlich einen Ruck nach vorn machte, wurde nur gelacht und etwas auf Chinesisch gesagt – vermutlich, dass er sich besser festhalten soll…
Im Restaurant angekommen trafen wir den Ehemann, Maks Schulfreund, der schon auf uns wartete, und einen weiteren Freund von Mak. Als Gäste durften wir einen Teil des Essens an der Theke aussuchen, wo es verschiedenste Gemüse gab. Es wurden zwei Teller mit sechs verschiedenen Gemüsegerichten gefüllt und in die Mitte des Tisches gestellt, davon konnten sich alle bedienen. Dann erhielt noch jeder eine Schüssel Eintopf, ein Schälchen eingelegte Knoblauchzehen sowie Getränke – Limonade für die Damen, Bier für die Herren. Der Eintopf war eine sehr schmackhafte Brühe mit Fleischstücken, Glasnudeln und einer Art kleiner dicker Schupfnudeln; sehr lecker aber auch sehr reichlich; ich hab meins nicht geschafft. Mak und seine Freunde hatten sich natürlich viel zu erzählen, da sich sich ja auch seit Monaten nicht gesehen hatten, und ab und zu versuchte einer der Freunde auch, ein paar Worte Englisch mit uns zu wechseln. Einer der beiden fuhr uns danach noch zur Bushaltestelle, von wo aus wir zurück nach Xi’an fahren konnten. Insgesamt war es ein sehr unterhaltsamer Abend.
Am Mittwoch schließlich kam Mak uns noch einmal im Hostel abholen und wir schlenderten durch das muslimische Viertel und stückelten uns an vielen verschiedenen Ständen unser Frühstück zusammen. Wir aßen eine Art Crêpe mit Ei, Blattsalat und Koriander, gefüllte Kaki-Pfannkuchen (Kathrins neues Lieblingsessen) und noch einiges mehr. Wir besichtigten das Folk House, ein altes Wohnhaus für eine Angestelltenfamilie des Kaisers, was wirklich sehr interessant und stimmungsvoll war, und danach setzten wir uns in die Lobby des Hostels und zerlegten den größten Teil der Granatäpfel; so konnten wir die Tupperdosen, die wir im Gepäck hatten, endlich mal nutzen. 😉
Abends gingen wir noch Nudeln mit Gemüse essen – schon wieder scharf, wie so vieles in Xi’an, und mein Magen protestierte mit Krämpfen wie schon die letzten drei Tage, es war einfach zu viel scharfes und zuviel unbekanntes, und ich wollte nichts weiter als eine Schüssel Grießbrei – und fuhren dann zum Südbahnhof, um unseren Nachtzug nach Chengdu zu nehmen. Dann wurde es auch Zeit, uns von Mak zu verabschieden. Er bleibt noch eine Weile in Xi’an und fährt Ende des Monats zurück nach Russland, um besser Russisch zu lernen. Wir verdanken ihm wirklich sehr viel. Nicht nur hat er uns sehr viel zum Essen eingeladen, Taxifahrten und Tickets für uns bezahlt, sondern mit ihm war China auch noch viel interessanter und erlebnisreicher, dank ihm haben wir eine Menge exotisches Essen probiert und er hat uns viel bei der Organisation unserer Reise geholfen.
Die darauffolgende Zugfahrt war so voller Eindrücke, dass sie unserer Meinung nach einen separaten Eintrag verdient und wir sie entsprechend würdigen möchten…