15. Oktober 2016, schon in Chengdu
Jetzt müssen wir das Motto doch früher bemühen als uns lieb ist…
Wir hatten uns im Internet die mit zwölf Stunden Fahrzeit schnellste Verbindung von Xi’an nach Chengdu herausgesucht. Es war eine Nachtfahrt und die Liegewagen waren leider schon ausgebucht aber wir dachten uns, schlimmer als zwölf Stunden Langstreckenflug kann es auch nicht sein und für eine Nacht wird es schonmal gehen. Der Zug fuhr vom außerhalb der Stadt gelegenen Südbahnhof ab, aber wir hatten gelesen, dass dieser von der letzten Metrohaltestelle nur noch ein Stück mit dem Taxi entfernt wäre.
Mak hatte uns vorgewarnt, dass der Zug ein älteres Modell und nicht so komfortabel wäre wie die Schnellzüge, mit denen wir bisher gefahren waren; auch, dass der Südbahnhof am A** der Welt wäre, aber wir ließen uns von seinen Horrorgeschichten über rauchende Fahrgäste und starre Sitze nicht beirren und so half er uns dann trotzdem, die Fahrkarten zu buchen. Der Ticketkauf war wieder ein Erlebnis in sich; die Halle mit den Ticketschaltern war wieder einmal rappelvoll obwohl bestimmt 20 Schalter geöffnet waren.
Am ersten Schalter (ja, es brauchte wieder mehrere Versuche) sagte uns die Beamtin, dass es den Zug, den wir im Internet gesehen hatten, nicht gäbe. Sie versuchte uns einen anderen aufzuschwatzen, der erstens vom günstiger gelegenen Zentralbahnhof fuhr und zweitens freie Plätze im Liegewagen hatte, aber der wäre 16 Stunden unterwegs gewesen und hätte deutlich mehr gekostet, und wie schlimm konnte es schon sein…
Wir checkten nochmal, fanden sehr wohl „unseren“ Zug und versuchten unser Glück an einem anderen Schalter. Der gerade geschlossen wurde. Also auf zum nächsten Schalter. Der auch gerade geschlossen wurde. Versuch Nummer vier brachte uns schließlich zu einem Beamten, der den Zug tatsächlich fand, aber uns vehement zu überreden versuchte, den Zug vom Zentralbahnhof zu nehmen. Die Chinesen konnten einfach nicht fassen, dass jemand freiwillig ‚hard seat‘ (also Sitzplätze, entgegen dem Namen sind sie aber gepolstert) buchen will.
Im Endeffekt erhielten wir unsere Tickets, und am Abfahrtstag half Mak uns noch, bis zum Südbahnhof zu kommen. Es stellte sich heraus, dass der Südbahnhof wirklich sehr, sehr weit weg vom Stadtzentrum ist. Eigentlich hat man eher das Gefühl, dass er irgendwo auf dem Land liegt. Wir fuhren fast bis zum Ende der U-Bahnlinie und von dort war es mit dem Taxi im fließenden Verkehr noch gut eine halbe Stunde, im Dunkeln, über unbeleuchtete Straßen durch fast menschenleere Gebiete. Am Bahnhof angekommen konnte der Taxifahrer nicht einmal direkt auf dem Vorplatz halten; dieser wurde von Polizisten bewacht, die sicherstellten, dass er nur von örtlichen Taxifahrern angefahren werden konnte, und so musste unser Fahrer das Taxi leer wieder zurück nach Xi’an fahren. Mak, der darauf bestanden hatte, das Taxi zu bezahlen, zahlte ihm daher freiwillig auch noch den doppelten Preis.
Der Bahnhof war auch ein Erlebnis. Er war klein, alt und schmuddelig, und trotz der späten Stunde (wir kamen gegen 20 Uhr an, unser Zug sollte 21:02 fahren) völlig überfüllt. Mak konnte uns nicht in die Wartehalle begleiten, da man nur mit Ticket hineindurfte (das ist anscheinend an jedem chinesischen Bahnhof so), und so unterhielten wir uns noch eine Weile draußen bis es Zeit zum Verabschieden war.
Im Bahnhof gab es nur wenige Sitzplätze, die allesamt schon belegt waren, und so standen die meisten Menschen oder saßen auf ihren teilweise riesigen Gepäckstücken. Auf die Bahnsteige durfte man nämlich immer erst kurz vor Abfahrt des Zuges. Man konnte sich zwischen den Menschenmengen kaum bewegen. Es gab weder eine Uhr noch irgendeine Art von Anzeigetafel, sodass wir keine Ahnung hatten, wie wir herausfinden sollten, wann das Boarding für unseren Zug beginnt. Es gab permanent Ansagen in Chinesisch, die uns natürlich nichts nützten, und wir fühlten uns leicht verloren. Wir reihten uns in eine Schlange ein – wobei nicht klar war, wer Schlange stand und wer einfach nur so herumstand – und zeigten einer freundlich aussehenden, jüngeren Frau unser Ticket. Sie signalisierte uns, zu warten und tippte dann auf ihrem Handy die Nummer des Zuges, der gerade angesagt wurde; zumindest vermuteten wir, dass sie das meinte. Ein Zug fuhr ein, es war kurz nach neun, aber anscheinend war es nicht unserer, denn die Nummer stimmte nicht überein. Die Zeit verging, es wurden weitere Züge angesagt, aber unserer war nicht dabei. Wir vermuteten, dass er Verspätung hatte, aber wir konnten es nicht herausfinden, und niemand sprach Englisch, also warteten wir einfach stoisch und vertrauten der Frau, die wir gefragt hatten, während Ansage um Ansage durch die Halle plärrte. Irgendwann signalisierte unsere Helferin uns, dass jetzt unser Zug angekündigt wurde und bedeutete uns, vorzugehen. Wir schoben uns durch bis die Menge zu dicht wurde und lunschten auf die Tickets der anderen Leute. Die bemerkten natürlich unsere Neugier, aber ein freundliches Lächeln brach das Eis und im Nu zeigten uns mindestens drei Leute ihre Fahrkarten und wir waren beruhigt, dass sie nicht nur dieselbe Zugnummer sondern sogar den benachbarten Waggon hatten.
Das Schlangestehen wurde dann noch sehr gesellig, denn nur weil der Zug angesagt wurde, hieß das nicht, dass er auch gleich kam. Unsere chinesischen Zuggefährten versuchten sich mit uns zu unterhalten, was aber wegen der Sprachbarriere nur in Gelächter auf beiden Seiten endete, und dann bekamen wir Gesellschaft von einem anderen Ausländer in der Schlange: Andrej aus der Slowakei, mit dem wir schon den Schlafsaal unseres Hostels in Peking geteilt hatten. Irgendwann tauchten weiter hinten in der Schlange/dem Pulk noch zwei weitere Ausländer auf und der alte Mann neben mir gestikulierte, dass ich hingehen und mit ihnen reden sollte. Das tat ich also, fragte ob sie Hilfe brauchten, aber sie hatten einen viel späteren Zug gebucht und mussten ohnehin noch warten.
Am Ende hatte unser Zug reichlich eine Stunde Verspätung. Der Bahnsteig hatte keine Markierungen für die Wagennummern und wir wussten nicht, wo wir uns anstellen mussten, also zeigten wir wieder unser Ticket anderen Fahrgästen, die uns bedeuteten, dass wir einfach stehen bleiben könnten, wo wir waren. Am Ende mussten wir auch gar nicht so weit bis zu unsrem Waggon laufen.
Am Vortag waren noch fast 400 Sitzplätze für unseren Zug verfügbar gewesen, daher hofften wir, dass es nicht so voll wäre und wir vielleicht zwei Doppelsitze belegen könnten; auch dass die Leute nachts vielleicht schlafen und nicht rauchen würden (ja, in den alten Zügen darf tatsächlich noch geraucht werden). Aber unsere Hoffnungen wurden leider nicht erfüllt.
Der Zug war komplett ausgebucht; in unserem Waggon gab es keinen einzigen freien Platz mehr. Die Sitze (wieder zwei zur einen Seite des Ganges und drei zur anderen) waren gegenüberliegend angeordnet, mit einem kleinen Tisch in der Mitte. Wenigstens hatten wir einen Zweier- und keinen Dreiersitz erwischt, aber die beiden älteren Herren, die schon da waren, hatten sich gegenüber gesetzt und schliefen schon. Da wir nebeneinander sitzen wollten, mussten wir einen von beiden leider wachrütteln, aber er räumte unseren Platz anstandslos. Eine Kraxe verstauten wir in der letzten Lücke der Ablage über den Sitzen (Chinesen haben immer unglaublich viel Gepäck), die andere und unser Handgepäck stopften wir mit etwas Gewalt unter die Sitzbank. Die Sitze gingen, wie Mak schon angekündigt hatte, tatsächlich nicht zurückzustellen. Vor uns lagen zwölf Stunden…
Die Fahrgäste, die noch wach waren, spielten Karten oder schauten Filme auf ihren Handys, wobei niemand irgendwelche Anstalten machte, aus Rücksicht auf andere Passagiere auch nur ansatzweise leise zu sein. Das Licht war die ganze Nacht an. Geschlafen wurde, indem man den Kopf auf die Arme und die Arme auf den Tisch legte (wir sind ja noch jung…), wobei die Chinesen teilweise in den verdrehtesten Positionen schliefen. Einige hatten sich auch einfach in den Gang gegenüber der Toilette gelegt. Die Toilette war im chinesischen Stil zum Hinhocken, der Wasserhahn zum Händewaschen direkt daneben auf Kniehöhe ohne Waschbecken, und die Tür ging nicht abzuschließen.
Die meisten Fahrgäste waren wie unsere Sitznachbarn Männer mittleren Alters mit abgetragener Kleidung und wettergegerbten Gesichtern, aber auch einige junge Leute, vielleicht Studenten, und sogar Familien mit kleinen Kindern waren darunter (die armen!). Unsere Sitznachbarn machten keine Anstalten, sich mit uns zu unterhalten und schliefen die meiste Zeit, aber wir wollten auch lieber unsere Ruhe und beobachteten einfach das Treiben oder versuchten, etwas zu dösen. Einmal drehte einer der beiden Männer eine kleine Rolle aus einem Stück Papier und kitzelte den anderen, der gerade mit den Armen auf dem Tisch schlief, damit im Ohr. 😀
Rauchen direkt im Waggon war zum Glück verboten; die Männer stellten sich stattdessen in den Bereich zwischen die Wagen. Es stank nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte, und außerdem wurde anscheinend auch immer mal irgendwo ein Fenster geöffnet.
Anzeigetafeln oder Ansagen gab es natürlich auch keine; der Zugbegleiter brüllte einfach an jedem Bahnhof irgendetwas durch den Waggon aber Chengdu war zum Glück die Endstation.
Wir hätten uns auch keine Sorgen machen müssen, den Bahnhof zu verschlafen (nicht dass wir sonderlich tief geschlafen hätten), denn gegen 7:30 morgens ging die Musik durch die Zuglautsprecher an – chinesische Schlager in unangemessener Lautstärke – und wurde auch bis Chengdu nicht mehr abgestellt, was zusammen mit den Filmen, die die Leute auf ihren Smartphones guckten, und all den Gesprächen und Telefonaten im Zug für eine interessante Geräuschkulisse sorgte. Chinesen sind sehr laut.
Alles in allem waren wir dann doch ziemlich froh, gegen zehn Uhr morgens endlich Chengdu zu erreichen und werden versuchen, für die nächste Nachtfahrt zumindest einen Schlafwagen zu bekommen. Naja, wie sagt man so schön, wenn zwei eine Reise tun… 😉
Das war ein toller Sonntag – gleich mit so vielen Neuigkeiten!!!
Da hat sich der Blick in den Blog (der mindestens 3x täglich stattfindet) ja echt wieder gelohnt…
Vielen Dank und liebe Grüße
das M
Danke für deine Geduld. 🙂 Einmal täglich würde sicher auch reichen, da wir ja nicht so oft was neues posten, aber wir freuen uns sehr über das Interesse und versuchen, weiter zu „liefern“. 😉
Ich schau auch regelmäßigst rein, aber ich verstehe das auch, dass ihr nicht täglich berichten könnt. Ihr wollt ja auch was erleben und später nicht berichten können, dass ihr am Abend nur geschrieben habt.
Wenn man eure Beschreibungen der vollen Züge so liest, wird einem klar, was für ein Luxus die Deutsche Bahn sein kann…
Das Chinesen sehr laut sein können, kann ich nur bestätigen. Hatte mal eine große Reisegruppe im Flieger von Barcelona nach München zurück. Sind die Chinesen auch alle mit ihren Fertignudeln zum Bordbistro / Küche gerannt, um heißes Wasser zu holen? War ein sehr lustiger Anblick, in einem nicht unbedingt ruhigen Flug haufen Chinesen mit heißen Wasser durch die Gänge laufen zu sehen.
Liebe Grüße und lasst es euch gutgehen.
Euer I
Haha, das mit den Fertignudeln können wir nur bestätigen. In jedem Zug gibt es einen Heißwasserspender, und Chinesen können Cupnoodles morgens, mittags und abends essen. ^^
Hallo Mädels,
vielen Dank für die nächsten Berichte, die ich, nun schon in alter Manier, mit Begeisterung und Gier verschlungen habe, es macht unwahrscheinlich viel Spaß mit euch auf Reisen zu sein. Eure Eindrücke der Zugfahrt, errinnern mich an Reisen mit der Bahn in Indien. Dieser Subkontinent ist übrigens mein Winterfavorit.
Vielleicht kann ich euch einen Tip zum Ticketkauf für die Bahn geben. Die Zugfahrkarte für meine erste Bahnfahrt in Indien habe ich mir auch selbst gekauft. Die Fahrt führte mich von Margao nach Gokarna und sollte ein und eine dreiviertel Stunde dauern. Ich hab mich brav in so eine Wartegemeinschaft am Schalter eingereiht, und hatte dann nach genau einer und einer dreiviertel Stunde mein Ticket. Die Warterei war nicht langweilig, da die Inder unwahrscheinlich neugierig sind und sofort beginnen, einem Löcher in den Bauch zu fragen. Die nächste Zugfahrt sollte 20 Stunden dauern und ich dachte mir, wenn ich jetzt auch so lang anstehen soll, muss ich auf dem Bahnhof übernachten. Also bin ich in ein kleines Reisebüro marschiert und hab das Ticket in Auftrag gegeben. Am nächsten Morgen konnte ich es abholen und der Reisebüromensch berrechnete mir einen Aufpreis von 5 Prozent und lud mich noch auf einen Tee ein. Von diesem Moment an, hab ich sämtliche Fahrkarten organisieren lassen. Auch die Beschäftigten von Hotels, Gästehäusern und Pensionen waren gern bereit, diesen Job zu übernehmen.
Ich wünsche euch weiterhin viel Spaß und gute Eindrücke und den zu haus Gebliebenen viiiiiiele neue Berichte.
Grüße aus Bad Schandau
Jenser
Hallo Jenser, danke für den Tip! Bei unseren letzten Tickets haben wir uns dann auch von den Hosteleignern helfen lassen, und selbst die hatten noch Schwierigkeiten. Aber neugierig sind die Chinesen auch, sie können nur kein Englisch, um einen irgendwas zu fragen. Sie machen dafür ganz viele Fotos von uns… ^^;
Viele Grüße in die Heimat! Demnächst gibt’s Fotos von unserem aktuellen Wandergebiet, das wie eine XXL-Version der Sächsischen Schweiz erscheint…