Auch heute gibt es wieder mehrere Einträge für euch. Hier ist Eintrag Nummer 2. 🙂
30. September 2017, Lindsay/Kalifornien
Bei Las Vegas denken viele wohl jetzt nicht mehr zuerst an Glücksspiel und ausgefallene Hotelkomplexe, sondern an das schreckliche Massaker, das sich nur wenige Tage nach unserer Abreise dort ereignete. Wir verließen Vegas wohl justament an dem Tag, als der Todesschütze im Mandalay-Hotel eincheckte, wie wir wenige Tage später aus den Nachrichten erfuhren. Davon bekamen wir zum Glück nichts mehr mit und hörten es tatsächlich zuerst von Freunden aus Deutschland. Als wir die Stadt besuchten, war die Welt noch in Ordnung.
Rückblickend kann ich nur staunen, dass wir es tatsächlich mit dem Auto in das Moloch von Las Vegas geschafft haben. Seit Wochen waren wir auf meist zweispurigen (eine pro Richtung) Highways durch Rinderweiden und Berglandschaften gefahren, und nun fanden wir uns auf einmal in der vierten Spur von sieben, in einem Land, wo links und rechts überholt werden darf und wo man ein Verkehrshindernis darstellt, wenn man die Höchstgeschwindigkeit einhält. Aber irgendwie kamen wir ohne Zusammenstöße bis zu unserem Motel, das in Laufentfernung zum Las Vegas Boulevard mit all den skurrilen Glitzerhotels lag.
Umgeben von der Wüste Nevadas ist die Stadt wirklich wie eine Fata Morgana, erstreckt sich endlos in die hellbraune Einöde und hat sich aus irgendeinem Grund zur Spielhölle der USA entwickelt. Der Strip erinnert ein bisschen an Disneyland, nur dass er in erster Linie aus Hotels mit angeschlossenen Kasinos besteht, aber es gibt auch hier Achterbahnen, verschiedenste künstliche Attraktionen und jede Menge kostümierte Darsteller, mit denen man sich gegen einen kleinen Obolus fotografieren lassen kann – von Elvis über sehr leicht bekleidete Sambatänzerinnen bis hin zu Pikachu. Die vierstöckige M&M-World liegt gleich neben der Coca Cola-World und gegenüber einer verkleinerten Version der New Yorker Brooklyn Bridge. Zwischen den Casinos wird Daiquiri in allen denkbaren Geschmacksrichtungen in Flaschen verkauft, die in ihrer Form an Wasserpfeifen erinnern, aber mehrere Liter Flüssigkeit fassen. Auf riesigen Plakaten sieht man Werbung für alles von Sternerestaurants über Zaubershows (David Copperfield ist immer noch groß im Geschäft) bis hin zur Blue Man Group und Zirkus (es gibt hier sogar eine Ü18-Variante des Cirque du Soleil). Unser kleiner Spaziergang den Strip entlang führte vorbei an verschiedenen Hotelresorts mit so klangvollen Namen wie Luxor, Excalibur oder Caesars Palace, dazwischen fanden sich der Tierpark von Siegfried und Roy ebenso wie Madame Tussauds oder das Paris Hotel mit Repliken des Eiffelturms und des Triumphbogens. Am Bellagio Hotel schauten wir uns die Wasserfontänenshow an (einmal tagsüber und einmal im Dunkeln), am Mirage spuckte ein künstlicher Vulkan abends Feuer bis zu 30 Meter hoch, und am Venetian führte eine nachempfundene Rialtobrücke über ein paar kleine Kanäle, auf denen man sich sogar in schwarzen, venezianischen Gondeln entlang schippern lassen konnte, während die nicht italienischen Gondolieres Arien schmetterten und wir nicht darüber hinweg kamen, dass in den Gondeln tatsächlich Anschnallpflicht bestand. Davon abgesehen, dass das Wasser bestenfalls einen Meter tief war, wäre nicht eine Schwimmweste hilfreicher als ein Gurt, mit dem die Insassen nach dem Kentern kopfunter an die Gondel gekettet sind? Nun ja, wir werden den Sinn dahinter wohl nie erfahren.
In die Kasinos gingen wir nicht, außer eines, wo wir mal hindurch liefen um es wenigstens einmal gesehen zu haben. Sonderlich einladend sind sie ohnehin nicht, so ohne Tageslicht, und Geld zum Verspielen haben wir auch keines mehr, also begnügten wir uns damit, den Strip ein Stück hoch und wieder hinunter zu laufen, und die Eindrücke auf uns wirken zu lassen. Das war auch nebenbei schon eine Wandertour von locker zwölf Kilometern, da jedes Resort riesig ist und man zudem einige Umwege über Fußgängerbrücken in Kauf nehmen musste.
Zurück in unserem bescheidenen kleinen Motel am Rande des Highways fütterten wir die Maus in unserem Zimmer, die wir am Vorabend schon hatten rascheln hören. Ja ja, Mäuse sind Schädlinge, und das Management wäre wahrscheinlich wenig erfreut, dass wir auch noch unsere Kräcker mit ihr teilten, aber sie war sooo klein und sooo niedlich. Dass sie sich unserer großzügigen Spende zum Trotz noch kräftig an unseren Bageln bediente, bemerkten wir erst ein paar Tage später, als wir das Loch in der Packung (und entsprechend im untersten Bagel) entdeckten. Dabei hatten wir die Bagel auf dem Tisch gelagert und können uns nur wundern, wie sie mit Überhangkletterei das glatte Tischbein hochgekommen ist, aber irgendwie muss sie es geschafft haben.
Unseren zweiten Tag in Vegas verbrachten wir in einer Autowerkstatt, da unser Mietwagen anzeigte, er müsse gewartet werden. Vermutlich war es nur ein Ölwechsel, der nach einer bestimmten Anzahl gefahrener Meilen ohnehin fällig war, aber wir mussten trotzdem erst einmal die Genehmigung des Vermieters einholen, was in ein fast halbstündiges Telefonat ausartete, und dann hatte die Werkstatt natürlich auch nicht nur auf uns gewartet. Ein paar Stunden später war aber alles erledigt und wir konnten mit frischen Öl weiterfahren in die Wüste. Da unser nächstes Ziel Death Valley hieß, fühlten wir uns schon besser, wenn nicht bei jedem Motorstart das Wartungslämpchen aufleuchtete.
Wir verließen Sodom und Gomorrha Las Vegas und fuhren gen Westen, wo wir uns in der Kleinstadt Pahrump in einem Kasino-Hotel einquartierten – es war das günstigste in der Gegend, und wir widerstanden der (zugegeben ohnehin sehr kleinen) Versuchung des Glücksspiels. Statt auf Zahlen im Roulette setzten wir darauf, dass unser Auto uns in der Einöde des Todestals nicht im Stich lassen würde, denn wir hatten da schon Horrorgeschichten gehört, von geschmolzenen Bremsbelägen zum Beispiel.
Das Death Valley verdankte seinen unheilvollen Namen ursprünglich dem einen Unglücklichen, der bei der ersten Expedition dort ums Leben kam. Da hatte der Colorado River bei seiner Erforschung durch weiße Abenteurer eine wesentlich höhere Todesrate und trotzdem hat ihn niemand Death Canyon genannt. Aber sei’s drum. Der Name flößt Respekt ein, und tatsächlich fordern die Temperaturen jedes Jahr Todesopfer unter schlecht vorbereiteten Touristen. So gut ausgestattet wie wir nur konnten – mit Extrakanister Wasser, Essen und vollem Tank – machten wir uns auf in den Nationalpark. Die Fahrt dorthin war die einsamste, die wir bisher in den USA erlebt hatten. Nur alle paar Minuten kam mal ein anderen Fahrzeug entgegen, was aber besser war als nichts. Wenn man hier liegen bleibt, kann man nicht einmal Hilfe rufen, da es kein Handynetz gibt, deshalb war es auch nebensächlich, dass wir keine lokale Simkarte hatten. Wir hofften einfach auf’s Beste.
Erst gegen vier Uhr nachmittags erreichten wir die Ausläufer von Death Valley; wir waren bewusst spät aufgebrochen in der Hoffnung, dass die größte Mittagshitze schon vorüber wäre. Wandern wollten wir hier ohnehin nicht gehen. Nun ja, was soll man sagen, es war heiß. Es war unfassbar heiß. Selbst als zwei Stunden später die Sonne unterging, zeigte das Thermometer noch 37 Grad. Death Valley liegt mehr als 80 Meter unter Meeresniveau, ist damit der niedrigste Punkt Nordamerikas und wir müssen froh sein, dass es nur 37°C waren. Der höchste jemals gemessene Wert lag bei 57°C und die Oberflächentemperaturen können über 90°C erreichen.
Trotz dieser Extreme ist der Nationalpark so ziemlich der schönste (finde ich zumindest), den wir in den USA gesehen haben. Auf beiden Seiten des gewaltigen, mehrere Kilometer breiten Tales ragen teils schwarze, teils bunt gescheckte Berge in die Höhe, die alle Farben von Rottönen über Violett bis hin zu Blau und Grün aufweisen. Die spärliche Vegetation besteht aus kleinen Büschen mit silbrig schimmernden Blättern und am Boden des Tales fließt ein unterirdischer Fluss, dessen Lauf man nur an der weißen Salzschicht erkennt, die sich dort aus dem verdunstenden Wasser ablagert. Aus der Höhe betrachtet scheint es, als ob sich ein Fluss aus Salz durch das Tal windet. An einer Stelle liegt auch ein großer Salzsee.
Nach Sonnenuntergang machten wir ein Picknick am Zabriskie Point, einem der eindrucksvollsten Aussichtspunkte, der umgeben von bunt gestreiften Bergen hoch über dem Tal lag, und warteten darauf, dass die Sterne aufgingen. Die anwesenden Touristen fuhren nach und nach davon, bis nur noch wir beide übrig waren. Es war immer noch angenehm warm und kein Lüftchen ging. Wenn etwas noch beeindruckender war als die Weite und die Farbenpracht, dann war es die absolute, tiefe Stille dieses Ortes. Nicht einmal aus der Ferne waren irgendwelche Geräusche zu vernehmen, nur gelegentlich ein Auto, aber wenn es vorüber gefahren war, hörte man das Rauschen des Blutes in den eigenen Ohren, und einmal die Klicklaute einer dicht vorbeifliegenden Fledermaus. Es war unglaublich friedlich. Schließlich wurde es dunkel genug, dass man unzählige Sterne und sogar die Milchstraße ausmachen konnte, auch wenn der hell leuchtende Halbmond dafür sorgte, dass wir nur einen Bruchteil sahen. Dafür brauchten wir auf dem Weg zurück zum Parkplatz nicht einmal eine Taschenlampe, wir konnten sogar unsere Schatten im Mondlicht deutlich sehen.
Nach viel zu wenig Schlaf fuhren wir am nächsten Morgen um sechs schon wieder los, um der Hitze zuvorzukommen. Während der Park im Sonnenaufgang zu neuem Leben erwachte, sahen wir einige der Bewohner, die den neuen Tag begrüßten, sich aufwärmten und Frühstück suchten. Nachdem wir am Vorabend schon einen großen Hasen am Straßenrand entdeckt hatten, erblickten wir diesmal einen Koyoten in der Prärie, und auf dem Parkplatz am hoch über dem Tal gelegenen Dante’s Viewpoint stakste ein neugieriges Chukarhuhn, ein Verwandter des Fasans, um unser Auto, vermutlich auf der Suche nach Insekten, die im Kühlergrill hängen geblieben waren. Nichtsahnend fuhren wir die Straße zurück hinab ins Tal und dachten zuerst, dass da ein Stein auf der Fahrbahn läge. Aber bei näherem Hinsehen entpuppte es sich als riesige Spinne – die sollten nicht so groß sein, dass man sie aus dem fahrenden Auto noch erkennt. Als wir anschließend im Besucherzentrum nachfragten, erfuhren wir, dass es sich tatsächlich um eine Tarantel handelte, und später am Tag sahen wir noch eine. Gruselig. Zum Glück blieben uns zumindest Begegnungen mit den ebenfalls hier beheimateten Schwarzen Witwen, Klapperschlangen und Skorpionen erspart.
Als das Thermometer gegen zehn wieder die 30°C-Marke knackte, waren wir schon über den Pass ins Nachbartal, das ebenfalls wunderschöne Panamint Valley, und damit auf dem Weg in die bewaldeten Gegenden Kaliforniens, wo wir die letzten zwei Wochen unseres Roadtrips verbringen wollen.
Las Vegas muss man offenbar mögen. Interessant, mal reinzuschauen, aber nichts für länger. Aber es gibt sicher genug Leute, die genau wegen der dort angebotenen Actions hinfahren.
Süß – die Story vom Mäuschen. Vielleicht war eure freiwillige Gabe nicht ausreichend, wer weiß. Oder das Mäuschen hatte noch eine Familie zu versorgen…
Las Vegas ist eher ein Vergnügungspark als eine Stadt. Aber anscheinend findet sie ihr Publikum.
Bestimmt hatte das Mäuschen noch eine Familie – gute Erklärung! Denn unsere Kräckergabe war eigentlich ziemlich groß im Verhältnis. 😉