Immer noch 27.09.2016, Ulaanbaatar
Morgens kurz vor 7:00 erreichten wir Ulaanbaatar (in der hiesigen Schreibweise), noch im Dunkeln und bei Regen. Das war uns nun mal so gar nix, daher warteten wir erst einmal ab, bis es hell wurde und versuchten in der Zwischenzeit auszurechnen, wie viel Geld wir in der hiesigen Währung Tugrik abheben müssten, um unsere gebuchte Reittour zu bezahlen. Ich will jetzt nicht für Kathrin sprechen, aber meine Stärke war Mathe ja noch nie (Ines, ich höre dich bis hier lachen), und der Umrechnungskurs ist, gelinde gesagt, eine Herausforderung. Im Endeffekt kam nicht mal so viel Geld auf einmal aus dem Automaten und wir mussten zu mehreren gehen und stückeln und haben gefühlte fünfmal nachgezählt, weil wir die Summe einfach nicht glauben konnten. Jedenfalls waren wir für eine Weile mal Millionäre – Tugrikmillionäre, was bei einem Umrechnungskurs von 1€ = 2500 Tugrik nicht so schwer ist, wenn die Tour mit ein paar Hundert Euro zu Buche schlägt.
In jedem Fall liefen wir irgendwann, als es hell geworden war, trotz Regen los zu unserem Hostel und machten unsere ersten Erfahrungen mit dem mongolischen Straßenverkehr. Russland war schon sportlich, aber die Russen haben wenigstens an Zebrastreifen gehalten. Für Mongolen ist selbst eine rote Ampel bestenfalls eine Empfehlung, und später am Tag, im nachmittäglichen Berufsverkehr sahen wir, dass an den Ampeln, obwohl sie an waren, der Verkehr noch zusätzlich mit Verkehrspolizisten geregelt wurde. Umgekehrt sieht man viele Fußgänger selbst vierspurige Straßen überqueren, indem sie einfach langsam aber zielstrebig loslaufen. Wir haben uns an die Ampeln gehalten und uns dort unauffällig an einheimische Passanten gehängt (oder so unauffällig, wie zwei Europäerinnen mit großen Gepäck unter knallgelben Regenhüllen eben sind).
In unserem Hostel konnten wir nicht nur einchecken obwohl es gerade mal um neun war, wir haben sogar ein kostenloses Upgrade von Schlafsaal auf Doppelzimmer erhalten, weil nicht viel los war, und mit frühstücken durften wir auch gleich noch.
In der Nähe des Hostels liegt das buddhistische Gandan-Kloster, das wir bei mittlerweile sonnigem Wetter besichtigten. Es besteht aus mehreren Tempeln und Schulen, in denen Mönche jeden Alters in orangefarbenen Gewändern auf Holzbänken im Schneidersitz saßen und Texte sangen. Gläubige umrundeten die Mönche und steckten ihnen Geldscheine zu, und überall war der Weihrauchduft geradezu überwältigend. Im Haupttempel gab es eine riesige stehende Buddha-Statue, bestimmt 15m hoch.
Danach liefen wir die Peace Avenue entlang, sozusagen die Prager Straße von UB. Wer wie wir keine richtige Vorstellung von Ulaanbaatar hat, dem sei gesagt, es ist im Zentrum eine Metropole wie jede andere auch. Mehrspurige Straßen mit riesigen Kreuzungen, gläserne Wolkenkratzer, internationale Luxusmarken in den Kaufhäusern, an allen Ecken Geldautomaten und Restaurants, vor allem koreanische. Viele neue, riesige Apartmentblocks werden gebaut, aber nicht wenige von ihnen sind Bauruinen. Abseits der Hauptstraßen ändert sich das Stadtbild schnell, die Seitenstraßen sind unasphaltierte Schlammwege, viele Steinhäuser scheinen aus dem Kommunismus zu stammen und haben seitdem keine Modernisierung mehr gesehen, andere Häuser sind nur windschiefe Holzverschläge, und viele Menschen wohnen auch von vornherein gleich in Jurten, selbst hier mitten in der Stadt. UB liegt auf über 1000 m Höhe umgeben von bewaldeten Berghängen und ist die kälteste Hauptstadt der Welt mit winterlichen Tiefstwerten bis zu -40 C. Insgesamt fanden wir die Stadt wahnsinnig hässlich.
In der Touristeninformation ließen wir uns noch ein paar Tipps für die Stadt geben und liefen dann weiter Richtung des zentralen Platzes. Leider hatte es mittlerweile wieder angefangen zu regnen und wurde immer stärker. Da es auch schon Nachmittag war, sprangen wir ins nächstbeste Restaurant, aßen gebratene Nudeln und versuchten uns an mongolischem Milchtee (nicht so der Knaller, wenn man wie wir eigentlich gar nicht gern Milch trinkt) aber bis dahin waren wir schon völlig durchgeweicht. So war uns dann die Lust auf weitere Stadtbummelei erst einmal vergangen und wir verbrachten den Rest des Tages im Hostel mit dem Trocknen unserer Sachen, Geld zählen (siehe oben) und einer Dusche nach zwei Nächten im Zug. Leider war es auch drinnen schon ziemlich kalt und der Wirt erklärte uns, dass die Heizperiode in der Mongolei staatlich festgelegt ist und erst am 1. Oktober beginnt. Bis dahin heißt es frieren bei nächtlichen null Grad, aber wir hatten uns in weiser Voraussicht noch Extradecken geben lassen.
* * *
Den schönen Titel für diesen Blogeintrag habe ich geklaut – ich geb’s ja zu – von einem Buch im Regal des Hostels.
Samstag morgen wurden wir abgeholt von Mendee, der ein Camp für Reittouren namens Stepperiders südlich von UB betreibt, und bei dem wir eine dreitägige Tour gebucht hatten. Die Fahrt ins Camp dauerte etwa eine Dreiviertelstunde; zunächst ging es durch den chaotischen Stadtverkehr, dann auf eine Landstraße wo etwas außerhalb der Stadt eine Art Provinzgrenzstation lag. Dort wurden allen Fahrzeugen, die in die Stadt hineinfahren, von vermummten Arbeitern die Räder desinfiziert – eine Vorsichtsmaßnahme gegen die von Murmeltieren verbreitete Pest, die hier im Sommer zuweilen noch auftreten kann.
Irgendwann verließen wir die Asphaltstraße und fuhren auf einer Erdpiste hinauf in ein Tal, an dessen Ende das Camp liegt.
Wir wurden begrüßt von einem großen schwarzen Wuschel von Hund sowie zwei Europäern, die hier einige Wochen lang freiwillig gearbeitet haben: Eva aus den Niederlanden, die gerade eine Pause vom Studium macht, und Mac aus Irland, der Schauspieler beim Theater ist und sagt, dass man als Schauspieler viel mehr Rollen erhält, wenn man reiten kann. Außerdem war noch Chingfang, ein junger Mann aus Malaysia da.
Das Stepperiders-Camp besteht aus mehreren Jurten, oder Gers, wie sie hier genannt werden, in denen die Gäste untergebracht sind, einem großen Ger, das als Gemeinschaftsraum fungiert, sowie einigen kleineren Nutzgebäuden wie Küche, Dusche (wo es nur warmes Wasser gibt, wenn die Sonne scheint) und WC. Wir erhielten ein Ger für uns da nicht viel Betrieb war. Die Einrichtung im Inneren bestand aus vier Betten rings um den Rand, einem flachen Tisch sowie einem Metallofen in der Mitte, in dem abends dann Feuer gemacht wurde.
Am Vortag war dem Camp eine kleine Ziege zugelaufen, die offensichtlich krank war. Sie lag geschwächt im Gras; Eva hatte sie die Nacht über mit in ihr Ger genommen, aber seit dem Morgen fraß sie nicht mehr und konnte nicht mehr aufstehen. Niemand wusste, was sie hatte. Nach einigem Überlegen entschieden die Umstehenden, dass es besser wäre, das arme Tier von seinem Leiden zu erlösen. Boinaa, unser Guide für die nächsten Tage, steckte sich ein Messer in den Stiefel, packte Billy (die Ziege hatte inzwischen einen Namen erhalten) hinten auf ein Motorrad und fuhr gemeinsam mit einem Jungen hinter den nächsten Hügel… Willkommen in der Mongolei.
Wir aßen gemeinsam mittag (natürlich nicht Billy!) und dann ging es auch schon los zu unserem ersten Ritt.
Sowohl die mongolischen Pferde als auch die mongolische Reitweise sind relativ unkompliziert. All das Brimborium, das in Europa um den Reitsport gemacht wird – Pferdepflege, Ausrüstung, Technik, Reitwege etc. – sind hier vollkommmen unbekannt. Die Pferde leben halb wild in großen Herden, allein Stepperiders hat weit über 100 Pferde, und bei Bedarf werden einige eingefangen, gesattelt und los geht’s. Geputzt wird hier gar nicht und es hat auch nicht jedes Pferd einen eigenen Sattel. Die Sättel sind aus Holz – klein, leicht und nicht so unbequem wie es klingt; die Trense ist aus einem Strick geknüpft. Zum Loslaufen drückt man die Hacken ans Pferd und sagt „Chu!“, ebenso wenn man schneller reiten will, und zum Anhalten zieht man an den Zügeln, lehnt sich zurück und sagt „Hoosh!“.
Eva, Mac und Chingfang begleiten uns auf unserem Ritt, ebenso Boinaa. Er ist 20 Jahre alt, hat die Statur eines Jockeys und ist ein „Horseman“, eine Art Pferdetrainer und -hirte. Er erzählt uns, dass er im Winter bis zu 500 Pferde hütet und im Sommer Pferde beim größten mongolischen Volksfest, dem Naadam, einreitet. Boinaa ist ein richtiger Clown und albert die ganze Zeit herum; außerdem sind wir uns sicher, dass ihn nichts, aber auch gar nichts, aus dem Sattel wirft. Manchmal bückt er sich vom laufenden Pferd herunter um einen Stein aufzuheben, oder er stellt sich hinter den Sattel auf’s Pferd und reitet so weiter. Außerdem singt er die ganze Zeit mongolische Liebeslieder. Mama, die schwarze Wuschelhündin begleitet uns ebenfalls.
Am Ende des Rittes stellen wir fest, dass in den nächsten Tagen nicht der Hintern das Problem sein wird (oder zumindest nicht das einzige), sondern vor allem auch die Knie. Geritten wird mit relativ kurzen Steigbügeln und man steht beim Trab und Galopp viel im Sattel, was die Knie einer völlig ungewohnten Belastung aussetzt. Als wir schließlich absteigen, humpeln wir erst einmal ein paar Minuten.
Zurück im Camp flicke ich im letzten Sonnenlicht meine Wanderhose, die ich mir an einer Schnalle am Sattel aufgeschlitzt habe, und abends sitzen wir alle gemeinsam im großen Ger, wo Kathrin und ich mongolischen Poker beigebracht kriegen. Man spielt ihn zu viert mit herkömmlichen Rommeekarten; jeder erhält 13 Karten. Die niedrigste Karte ist die Drei, die höchste die Zwei (noch über dem Ass). Karo ist die niedrigste Farbe, dann kommen Kreuz, Herz und Pik. Es beginnt je nach Geschmack entweder der Spieler, der die niedrigste Karte hat oder die letzte Runde gewonnen hat. Er legt eine oder mehrere Karten nach Wahl ab, danach folgen die anderen Spieler und müssen höherwertige Karten drauflegen. Wer nicht kann oder will, kann passen. Man kann eine einzelne Karte ablegen, oder auch mehrere, zum Beispiel zwei oder drei Karten der gleichen Größe oder eine feste Konstellation aus fünf Karten. Die niedrigste Konstellation ist dabei der Flash (fünf Karten der selben Farbe), dann kommt die Straße (zusammenhängende Reihenfolge ungeachtet der Farbe), dann das Full House (zwei Gleiche und drei Gleiche), dann der Straight Flash (eine Straße mit Karten der selben Farbe) und die höchste Konstellation ist der Poker (viermal gleicher Wert plus eine andere Karte). Man kann auch eine Straße mit einer Straße schlagen, wenn die höchste Karte höher ist als die höchste der vorangegangenen, ebenso beim Full House, wenn die drei Karten einen höheren Wert haben als die drei Karten eines bereits liegenden Full House. Der erste Spieler gibt vor, wie viele Karten auf einmal abgelegt werden müssen; legt er eine Karte ab, können alle folgenden auch nur eine Karte legen; legt er z.B. eine Straße, müssen alle anderen auch eine Konstellation legen. Wenn jemand etwas legt, worauf alle anderen Spieler passen müssen, kann er bestimmen, wie viele Karten als nächstes gelegt werden. Wer zuerst alle Karten los ist, gewinnt das Spiel; alle anderen notieren sich Punkte in Höhe der Anzahl ihrer noch übrigen Karten. Wer zehn Karten auf einmal übrig hat, muss sich dafür allerdings gleich 20 Punkte aufschreiben. Wer 30 Punkte erreicht, scheidet aus bis nur noch zwei Spieler gegen einander spielen.
Es macht auf jeden Fall sehr viel Spaß und wir begreifen die Regeln ziemlich schnell.
Boinaa hat inzwischen den Ofen in unserem Ger befeuert und drinnen ist es mollig warm, während draußen nur noch ein paar Grad über Null sind. An diesem Abend brechen Boinaa und Mac noch einmal auf; sie wollen in den nahe gelegenen Bodg Khan Nationalpark reiten, weil dort Wölfe gesichtet worden sind, die Mac unbedingt sehen will. Man merkt Boinaa an, dass er nicht sonderlich begeistert von der Idee ist, und wir geben alle unseren Senf und unsere guten Ratschläge dazu während die beiden sich auf ihren Nachtritt vorbereiten. Wir hoffen sehr, dass sie heil wiederkommen, nicht nur wegen der Wölfe, sonder auch weil es draußen zappenduster ist, nicht einmal der Mond scheint.
Der nächste Morgen kommt und bringt Regen mit – keine guten Voraussetzungen für unseren Dreitagesritt. Mit Erleichterung stellen wir fest, dass sowohl Boinaa als auch Mac samt Pferden heil ins Camp zurückgekehrt sind. Sie haben die Wölfe in der Entfernung gesehen und auch heulen hören – fünf an der Zahl; dann hat Boinaa beschlossen, dass er genug von der ganzen Nummer hat und die beiden sind ins Camp zurück galoppiert. Wenn Boinaa Angst gehabt hat, muss es schon Ernst gewesen sein.
Nach dem Mittag klart das Wetter auf und wir brechen auf in Richtung Bogd Khan Nationalpark – genau der, wo letzte Nacht das Wolfsrudel unterwegs war. Eigentlich ist Camping für die Nacht vorgesehen, aber in Anbetracht der Kälte entscheiden unsere Guides, dass wir stattdessen in einem Ger übernachten. Bei dem Gedanken an die Wölfe sind wir nicht böse darüber, und ein Feuer für die Nacht ist uns auch sehr recht.
Wir haben die selben Pferde bekommen wie gestern für den Proberitt. Richtige Namen haben sie keine, aber sie bekommen immer neue Spitznamen von ihren jeweiligen Reitern. Ich nenne meines Blondie, weil es hellbraun ist und eine fast blonde Mähne hat, tendiere aber später zu Pancake – zum einen wegen der Farbe, zum anderen weil es sehr verfressen ist und ständig stehen bleibt, um ein paar Büschel Gras zu rupfen; daher erhält es auch noch den Beinamen Hungry Horse. Kathrins Pferd ist dunkelbraun und scheint nicht so recht aus dem Knick zu kommen; daher nennen wir es Donnie Darko aka Lazy Horse. Boinaa hat sein fast schwarzes Pferd mit den schönen Augen Angelina Jolie getauft. Ein Packpferd haben wir nicht, da unser Gepäck mit dem Auto gefahren wird.
Es geht bergauf und bergab, bergauf und bergab durch die fast baumlose Landschaft. Von den Bergrücken aus sieht man endlos weit auf noch mehr baumlose Berge und Täler; vereinzelt liegen ein paar Gers wie kleine weiße Punkte im Grün, hier und da weiden Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde; ein paar braune Pisten sind die einzigen Anzeichen von Zivilisation. Es ist wirklich das Land ohne Zäune. Man kann reiten wo man will; querfeldein, Schritt, Trab, Galopp, so lange man will, so weit man will. Es klingt kitschig, aber hier ist wirklich der Horizont die einzige Grenze.
Wir reiten etwa fünf Stunden überwiegend in gemäßigtem Tempo mit vielen Trabstrecken und einigen Galopps. Wenn Boinaa die Pferde von hinten treibt, liefern sie sich richtige Rennen und wir feuern sie mit wilden Hoowoop-Rufen noch weiter an. Kathrin hält sich trotz ihrer lange zurückliegenden Reiterfahrung wacker, aber schon im Verlauf des Nachmittags wird klar, dass meine Extrakilos an den entsprechenden Stellen ein großer Vorteil sind.
Die Sonne ist schon untergegangen als wir das Eingangstor zum Bogd Khan Nationalpark erreichen und es ist mittlerweile hundserbärmlich kalt geworden. Die Landschaft ändert sich hier, auf einmal reiten wir durch Kiefernwald, in dem sich schwarze Eichhörnchen die Bäume rauf und runter haschen; die Atmosphäre hat etwas von Märchenwald.
Relativ durchgefroren und ziemlich knielahm steigen wir schließlich an einer Art Campingplatz ab. Dort sind einige Gers aus Stein gebaut, sie haben sogar Fenster, und dort werden wir die Nacht verbringen. Tuusho, der Koch, ist schon mit dem Pick-up angekommen, hat unsere Kraxen ins Ger gebracht und angefangen, das Abendessen vorzubereiten. Im Ofen brennt schon ein schönes warmes Feuer und wir haben einen sehr gemütlichen Abend vor uns. Tuusho und Boinaa machen Khushuur, eine Art Teigtaschen mit Kartoffelfüllung, für uns alle, dazu gibt es eine Art Kimchi, der statt aus Kohl aus geraspelten Möhren besteht – superlecker! Zu trinken gibt es Tee soviel wir wollen und die Männer gönnen sich später noch eine Dose mongolisches Bier, das meiner Meinung nach ein bisschen wie Cola schmeckt, da es gar nicht bitter ist. Nach dem Abendessen spielen wir mongolischen Poker wie die Profis – eine Runde gewinnt Kathrin, eine Runde Tuusho, eine ich.
Danach gehen die Männer die Pferde absatteln (die Sättel werden immer erst abgenommen wenn die Pferde nicht mehr schwitzen) und geben uns dadurch auch gleich Gelegenheit zum Umziehen. Wirklich Umziehen müssen wir uns gar nicht; wir wissen, dass es am Morgen kalt sein wird, wenn das Feuer aus ist, und so legen wir letztlich nur einige Schichten unsere Kleidung ab und putzen Zähne mit Wasser aus der Flasche. Das Ger hat vier Betten, und so schlafen wir alle um den warmen Ofen herum, ohne Wecker, ohne festen Zeitplan.
In der Nacht fängt es leise an, aufs Dach des Gers zu prasseln, aber als wir am nächsten Morgen hinausschauen, ist es nicht nass sonder weiß. Gut fünf Zentimenter Schnee sind gefallen. Eine Kuhherde zieht gerade vorbei und eine Kuh schleckt den Schnee vom Auto.
Zum Frühstück gibt es gebratenes Brot mit Käse, Spiegeleier, Joghurt und Äpfel, und natürlich schwarzen Tee. Gekocht wird auf einem mitgebrachten Gaskocher.
Nach dem Frühstück liefern wir uns erstmal eine Schneeballschlacht mit Boinaa und Tuusho, bauen einen Minischneemann und laufen dann zum nahe gelegenen Manzushir-Kloster, das größtenteils nur noch aus Ruinen besteht seit es in den 70er Jahren im Kommunismus zerstört wurde. Die Sonne scheint mittlerweile schon wieder und lässt den Schnee schmelzen, aber vorher sind uns noch einige wunderschöne Fotomotive vergönnt. Wir kraxeln einen felsigen Hang hinauf zu weiteren kleinen Tempelgebäuden und haben von oben eine atemberaubende Sicht auf das bewaldete Tal des Nationalparks, das wie eine Märchenwelt zu unseren Füßen liegt.
Wieder unten angekommen schauen wir uns noch das zugehörige Museum an, was mehr oder weniger ein Sammelsurium aus ausgestopften Tieren und lokaler Kunst ist. Darunter sind einige wunderschöne, filigrane Tierbilder, welche aus Vogelfedern zusammengesetzt sind.
Inzwischen ist der Schnee getaut und wir wollen eigentlich weiter reiten, wenn es da nicht ein kleines Problem gäbe. Boinaa hatte unsere drei Pferde über Nacht zusammen gebunden, damit sie zwar herumlaufen und grasen können, dabei aber nicht nicht allzu schnell vom Fleck kommen. Blondie und Donnie Darko grasen noch brav nebeneinander aber Angelina Jolie steht abseits – ohne Trense. So verbringen wir die nächsten 20 Minuten erst einmal damit, die verlorene Trense zu suchen – wie das Pferd es geschafft hat, sie abzuschütteln, ist uns nicht so richtig klar; allerdings hatte sie das am Vortag schon einmal während des Rittes getan, woraufhin Boinaa sie vom Sattel aus wieder aufgezäumt hatte; wozu absteigen… Der Kerl reitet wie der Teufel. Schließlich finden wir das Corpus delicti und so kann es weiter gehen, aus dem Nationalpark hinaus zurück in die kargen Berge.
Sobald wir die Bäume hinter uns lassen, pfeift uns ein eisiger Wind um die Ohren, der den Rest des Tages unser Begleiter sein wird, aber dafür ist die Sicht grandios. Kathrin kann nicht mehr so richtig auf ihrem Pferd sitzen, daher tauschen wir und sie kriegt Blondie, mit dem sie tatsächlich auf Anhieb viel besser zurecht kommt. Dafür habe ich jetzt Donnie Darko aka Lazy Horse, aber der Tausch erweist sich als gut, den Donnie und ich kommen auch besser miteinander aus und den Namen Lazy Horse müssen wir wieder verwerfen. Wenn Donnie erstmal warm ist, kennt er nur noch ein Tempo, und das heißt Trab. Den Rest des Nachmittages rennen wir vorneweg.
Außerhalb einer Kleinstadt namens Zomod (oder so ähnlich) sind wir mit Tuusho zum Mittagessen verabredet. Wir warten an einer Statue auf einer Anhöhe vor den Toren der Stadt, die eigentlich nicht zu verfehlen sein sollte, doch von Tuusho und dem Pick-up fehlt jede Spur. Wir warten eine ganze Weile, ohne dass etwas passiert. Scherzte Boinaa anfangs noch herum, murmelt er jetzt in seinem gebrochenen Englisch „Aw shit“ vor sich hin. Ein Handy hat er nicht. Schließlich galoppiert er alleine los über den nächsten Berg um Tuusho zu suchen, während wir mit unserem Pferden in der Sonne warten.
Ein paar Minuten später kommt er zurück, lachend, denn er hat Tuusho einen Kilometer weiter an einer anderen Statue gefunden. Wir folgen ihm, binden die Pferde hinten an den Pick-up und setzen uns hinein, wo es windgeschützt ist. Tuusho kocht Nudelsuppe, doch der Gaskocher will hinten auf der Ladefläche im starken Wind nicht so richtig in Schwung kommen, daher stellen die Männer ihn kurzerhand auf den Fahrersitz neben uns. Wir versuchen, nicht darüber nachzudenken, dass wir direkt neben einer offenen Gasflamme und einem Topf voll kochender Brühe in einem Fahrzeug sitzen (bei laufender Zündung damit das Heizgebläse läuft) und machen uns stattdessen nützlich, indem wir die Suppe umrühren bis die Nudeln weich und die Rindfleischstückchen gar sind.
An dieser Stelle ist vielleicht auch ein kurzes Intermezzo zum Thema mongolisches Essen angebracht. Wer mich (Birgit) kennt, weiß, dass ich mich größtenteils vegan ernähre. Es ekelt mich nicht an, tierische Produkte zu essen (zumindest die meisten gängigen), ich habe nur für mich aus ethischen Gründen entschieden, dass ich es nicht tun möchte, da es in Deutschland auch sehr einfach ist, sich vegan gesund zu ernähren. Aber jetzt sind wir eben in der Mongolei, und mir war klar, dass dies für Vegetarier und Veganer eines der ungünstigsten Länder ist, dass man sich überhaupt aussuchen kann. Daher hatte ich von vornherein beschlossen, dass ich alles essen werde, was man mir vorsetzt, um unsere Gastgeber nicht vor den Kopf zu stoßen. Am Ende bin ich es, die die fettigen Stücke aus Kathrins Suppe mit isst (weil Kathrin sie partout nicht hinterkriegt), um den Koch nicht zu beleidigen, indem wir die (aus mongolischer Sicht) besten Stücke wegtun. Soweit ist es schon gekommen. Verkehrte Welt. (Kathrin: Meine Heldin!!!)
Gut gesättigt reiten wir weiter, aber der lange Ritt fordert seinen Tribut, vor allem von unseren Knien. Kathrin kann irgendwann gar nicht mehr sitzen und wir erreichen unser Nachtquartier ziemlich erschöpft.
Diese Nacht schlafen wir bei einer mongolischen Bauernfamilie in einem Ger. Der Bauer ist ein Freund von Boinaa und hält Ziegen und Schafe sowie einige Rinder. Ein paar Pferde und Hunde gehören in der Mongolei wahrscheinlich zur Grundausstattung.
Die Familie besteht aus Boinaas Freund, einem jungen Mann Anfang 20, seiner Frau und ihrem Baby, einem älteren Mann, der eventuell der Vater von Boinaas Freund ist, sowie einer alten Frau, die Großmutter sein müsste, wenn ich das richtig verstanden habe. Mit all diesen Leuten sowie Boinaa werden wir heute nacht im Ger schlafen, doch bis zum Schlafengehen herrscht ein Kommen und Gehen weiterer Leute, und wir sehen nicht durch, wer wie mit wem verwandt ist.
Das Leben im Ger ist so unglaublich faszinierend und so radikal anders als das Leben in Deutschland, dass ich den ganzen Abend nur dasitze und zuschaue, auch wenn wir kein Wort verstehen. In der Mitte des Gers steht, wie üblich, der Metallofen, in dem ein kräftiges Feuer brennt. Das Brennmaterial ist Schafdung. Dahinter steht ein flacher Tisch, und uns beiden werden Plätze am Tisch auf niedrigen Plastikhockern zugewiesen. Zur Begrüßung bekommen wir jeder eine Schale Milchtee, den wir tapfer austrinken. Man darf sich das nicht wie Tee mit Milch vorstellen, sondern die Teeblätter werden direkt mit heißer Milch aufgebrüht. Im Prinzip ist es warme Milch, die entfernt nach schwarzem Tee schmeckt, und die meisten von euch wissen ja, wie wir beide zu purer Milch stehen… Danach dürfen wir zum Glück normalen Tee trinken, und unser Abendessen wurde von Tuusho zubereitet und wird in drei Dosen aus dem Camp angeliefert: Reis, Gemüse und Schaffleisch. Die Familie hat anscheinend schon gegessen. Danach dürfen wir noch das mongolische Nationalgetränk Airag probieren, vergorene Stutenmilch. Viel schlechtes ist schon über den Airag geschrieben worden, doch wir müssen beide sagen, so schlimm wie es klingt, schmeckt er gar nicht. Nicht wie Milch, eher leicht säuerlich und prickelnd, entfernt vielleicht wie ein saurer Federweißer. Und halt weiß. Zum Glück ist der Höflichkeit Genüge getan, wenn man probiert, und so nippen wir beide einmal kurz und sind dann froh, Boinaa die Schale reichen zu können, der ebenso froh ist, sie austrinken zu dürfen.
Danach spielen wir Poker mit Boinaas Freund, doch da wir müde sind und auch die alte Frau sich schon hingelegt hat, belassen wir es bei einer Runde. Unsere Isomatten und Schlafsäcke, vom Camp bereitgestellt, werden ausgerollt; wir ziehen die oberste Kleidungsschicht aus und krabbeln hinein. Waschen oder Zähneputzen tut hier niemand; es gibt auch außer einem winzigen Waschbecken keine Waschgelegenheit, und Wasser scheint generell knapp zu sein. Die Toilette ist ein Bretterverschlag abseits des Gers, zu einer Seite offen, einfach zwei Bretter für die Füße, dazwischen ein Loch. Als wir vor dem Schlafengehen nochmal dorthin gehen, um nicht in der Nacht raus zu müssen, erwarten uns zwei Überraschungen, als wir aus dem Ger treten. Die erste ist, dass sich die Schaf- und Ziegenherde irgendwann im Laufe des Abends herangepirscht hat. Als wir die Tür öffnen, stehen uns auf einmal weit über 100 Tiere gegenüber und blicken uns gelassen an. Die zweite Überraschung haben wir, als wir nach oben schauen. Die Nacht ist sternenklar, im wahrsten Sinne des Wortes. So viele Sterne haben wir in unserem Leben noch nie gesehen, nicht einmal am Baikalsee. Von Horizont zu Horizont ist der Himmel so voll von ihnen, dass selbst markante Sternbilder wie der Große Wagen darin untergehen und die Milchstraße sich wie ein riesiges breites Band über die gesamte Himmelskuppel wölbt. Es ist einfach atemberaubend.
Zurück im Ger beobachten wir noch etwas das Treiben der Familie.
Neben der Eingangstür steht rechts ein wackeliges Holzregal mit Geschirr. Danach kommt im Uhrzeigersinn ein Bett (ca. auf drei Uhr), auf dem die Großmutter mit dem Baby sitzt, als wir ankommen. Das Baby ist in drei Decken gewickelt, die mit einem Strick zusammengehalten werden, und liegt auf dem Bett, dessen Sprungfedern die Großmutter zum Wippen bringt. Dahinter steht eine Truhe, und auf der Truhe eine Uhr und diverser Kleinkram. Auf zwölf Uhr liegt ein großer Teppich auf dem Boden gegenüber der Tür, und auf diesem steht in der Mitte des Gers der flache Tisch, an dem wir zum Abendbrot und Pokerspiel sitzen. Danach kommt eine Art Stoffschrank (so ähnlich wie die von Ikea, die man mit einem Reißverschluss zumacht), ein Kinderwagen, und dann noch ein Bett auf neun Uhr, gegenüber dem der Großmutter. Hier schlafen Boinaas Freund und seiner Frau. Zum Schlafengehen wird der Tisch abgeräumt und vor das Bett gestellt. Zwei Babydecken kommen darauf und dann wird das eingewickelte Baby zum Schlafen darauf gelegt. Nach dem Bett kommt noch ein kleines Regal, auf dem ein Bildschirm (Fernseher? Computer?) und ein Telefon stehen. Woher hier das Signal kommt, können wir nur ahnen, vielleicht Funk? Den Abend über klingelt es immer wieder; jedes Mal scheint jemand anders ans Telefon zu gehen. Nebenbei telefoniert die junge Frau mit ihrem Handy, dass an einem Stromaggregat auf dem Fußboden lädt; zwischendurch stillt sie das Baby. Diverse Einrichtungsgegenstände liegen auch noch lose auf dem Boden: Pappkartons, ein Pferdesattel; am Bettpfosten hängen die Handtaschen der Frau. An der Decke des Gers klemmen alle möglichen Dinge zwischen den Holzstreben und der darauf liegenden Plane, von trocknender Wäsche, über Bücher bis hin zu einer Sonnenbrille. Der alte Mann klemmt sein Handy zum Telefonieren zwischen zwei Streben direkt unterhalb der Schornsteinöffnung, vielleicht ist dort der Empfang besser?
Schließlich direkt zur Linken der Eingangstür steht ein kleiner, schiefer Waschtisch. Das Wasser kommt aus einem Plastikbehälter mit einem kleinen Hahn; ein paar tote Fliegen schwimmen darin. Das Handtuch, das darüber hängt, sieht aus, als hätte es seit Wochen keine Wäsche gesehen.
Hygiene ist ein echtes Thema hier; der Laminatfußboden ist total dreckig und als kurz bevor wir unsere Matten ausrollen die junge Frau den Boden fegt, kommt eine Menge zusammen. Der Tisch wurde kein einziges Mal abgewischt, auch nicht, als jemand eine Schale Milch umstieß, wovon auch noch ein Teil auf den Teppich floss. Die Kleidung der Leute ist schmutzig und kaputt, und sie schlafen in dem was sie anhaben. Man darf aber nicht vergessen, dass hier mindestens vier Erwachsene und ein Baby auf der Fläche einer Einraumwohnung leben, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Viehwirtschaft verdienen und dass Wasser generell ein rares Gut ist.
Ich habe allergrößten Respekt vor den Leuten, die ihr Leben hier unter diesen Bedingungen meistern; immer wieder denke ich daran, dass die Temperaturen im Winter auf minus 40 Grad fallen und kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie kalt das sein muss.
Bis zum Lichtausschalten herrscht ein Kommen und Gehen im Ger, und auch danach zieht keineswegs Ruhe ein. Das Radio läuft noch lange; die Hunde bellen draußen die ganze Nacht, woraufhin ab und zu jemand etwas ruft; manchmal schreit das Baby. Darüber hinaus wird es nach Mitternacht, als das Feuer ausgeht, empfindlich kalt und zwei Schlafsäcke (jeder) plus Pferdedecke reichen gerade so aus, um uns warm zu halten. Mütze bwz. Kapuze sind unumgänglich.
Morgens stehen als erstes die Großmutter und der ältere Mann (ihr Sohn, wenn ich das richtig verstanden habe) auf. Er geht hinaus; sie feuert den Ofen an. Alle anderen bleiben liegen bis es warm ist und unser Atem nicht mehr in dicken weißen Wolken unter der Decke hervorquillt.
Kaum sind alle aufgestanden, wird das Ger schon wieder von verschiedenen Leuten frequentiert. Kathrin und ich bekommen Tee und eine Art Bisquitgebäck (aus der Tüte, wir beschweren uns nicht) zum Frühstück, die anderen trinken Milchtee. Ein Mann flickt seine Jacke auf dem Bett der Großmutter; ein anderer Mann kommt auf zwei Krücken herein. Er ist der Sohn der Großmutter und Onkel von Boinaas Freund und kann ein paar Brocken Englisch. Er nimmt uns mit in sein Haus, vielleicht hundert Meter vom Ger entfernt. Er erzählt uns, dass er seit einem Autounfall nicht mehr richtig laufen kann. In seinem Haus aus Stein hat er einen Rollstuhl. Seine Frau ist schon verstorben; wir wissen aber nicht, ob bei dem Autounfall. Die einzige Einrichtung im einzigen Raum sind zwei Betten, der Metallofen in der Mitte, der aber aus ist, und ein Regal mit einem Flachbildfernseher, der prompt eingeschaltet wird. Russische und amerikanische Fernsehsender laufen hier; der Mann zeigt uns stolz eine Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ in Mongolisch sowie eine Biografie von einem Vertrauten Gandhis. Er bietet uns Teigtaschen aus einer Schale an, doch wir können nur ahnen, wie alt die sind und sind froh, als im nächsten Moment die junge Frau kommt und wir eine Ausrede haben, wieder zu gehen.
Neben dem Haus ist ein Paddock, in dem Kälber stehen. Die Kühe laufen frei herum, doch jetzt ist Melkzeit und sie kommen überwiegend freiwillig zum Haus. Diejenigen, die nicht kommen, treibt Boinaas Freund mit einem Pferd zusammen. Die junge Frau lässt eines der Kälber aus dem Paddock, das sofort zu seiner Mutter rennt und trinkt. Die Bäuerin lässt es eine Weile trinken und bindet es dann mit seinem Halfter am Zaun des Paddocks an. Zuvor hat sie schon die Hinterbeine der Kuh mit einem Strick zusammengebunden. Dann wird die Kuh gemolken, wobei die Bäuerin auf einem der Plastehocker sitzt, die wir im Ger am Tisch hatten. Zum Schluss bindet sie das Kälbchen wieder los, das sofort gierig weiter trinkt, löst die Fessel an den Hinterbeinen der Kuh und weiter geht’s mit der nächsten Kuh. Die erste Kuh ist heute allerdings „meine“, da Boinaa beschlossen hat, dass ich Melken lernen soll. Aus einem Gläschen nimmt die Bäuerin etwas Melkfett und fettet das Euter der Kuh ein, dann manövriert sie mich auf dem Hocker mit dem Milcheimer zwischen den Knien halb unter die Kuh und da sitze ich nun und muss sehen, wie ich komme. Zugegeben, so schwer, wie ich es mir vorgestellt habe, ist es gar nicht, zumindest kriege ich auf Anhieb was raus. Aber es ist mühsam; die Milch kommt in feinen, dünnen Strahlen und nach fünf Minuten habe ich vielleicht eine halben Liter zusammen und schaffe nicht mehr. Schließlich erbarmt sich die Bäuerin, nimmt meinen Platz ein und die Milch schießt nur so in dicken Spritzern. Ich mache mich nützlich, in dem ich die Kälber festhalte und aufpasse, dass die Kühe den Milcheimer nicht umstoßen. Kathrin hat sich lieber wieder ins Ger verzogen. Fünf Kühe später sind gut und gern zehn, zwölf Liter Milch zusammengekommen, die die Bäuerin zum Ger zurückträgt. Ich trage den Hocker und einen leeren Eimer, und meine Hände sind unfassbar fettig.
Boinaa hat in der Zwischenzeit ein Schaf geschlachtet und gehäutet und als wir ins Ger kommen, ist die Großmutter gerade dabei, es auszunehmen. Sie hockt auf dem Boden vor dem Ofen und hat mehrere Schüsseln und Töpfe mit Innereien vor sich, mit denen sie irgendwas macht. So genau schaue ich nicht hin; schön ist anders. Ich wasche mir die Hände an dem Waschbecken und verschwinde dann nochmal nach draußen in das benachbarte Sommer-Ger aus Stein, das kalt ist, da es keinen Ofen hat. Unsere Kraxen sind dort untergestellt, zwischen Blechen voller kleiner weißer Häufchen, die Käse sein sollen (Boinaa lässt mich dann mal kosten; es schmeckt wie saurer Frischkäse). Ich reinige meine Hände nochmal mit Alkohol-Gel, aber selbst eine große Ladung davon reicht noch nicht aus, um das Fett restlos von meinen Händen zu entfernen. An den Dreck unter den Fingernägeln habe ich mich ja schon längst gewöhnt; keine Ahnung, wann wir das letzte Mal fließendes Wasser zum Händewaschen hatten. Oder wann ich das letzte Mal die Sachen, die ich trage, ausgezogen habe.
Zurück im Ger sind schon wieder verschiedene Leute gekommen, darunter Tuusho, der Frühstück für uns mitgebracht hat; gebratenes Brot, Würstchen und Salat. Inzwischen hilft auch die junge Bäuerin mit den Schafinnereien; das Baby liegt inzwischen im Kinderwagen und wird von den anderen Anwesenden betreut.
Als wir aufgegessen haben, gibt Boinaa das Signal zum Aufbruch und wir sind verdammt froh, dass wir an dem Schafmahl nicht mehr teilnehmen müssen. Das wäre dann möglicherweise jenseits unserer Toleranzgrenze gegangen.
Wir bedanken uns bei der Familie und schenken ihnen zum Abschied ein paar Süßigkeiten aus Deutschland, die wir extra dafür mitgebracht hatten, und über die sie sich auch sehr zu freuen scheinen.
Inzwischen hat die Sonne auch den Rauhreif von Gras und Hundepelzen getaut und wir beginnen die letzte Etappe unserer Tour.
Boinaa singt wie immer, etwas schief aber mit Inbrunst; sein Lieblingslied habe ich mittlerweile so oft gehört, dass ich stellenweise schon mitsingen kann, und ein bisschen mongolisch hat er uns auch beigebracht. Der Ritt zurück zum Camp dauert nur etwa zwei Stunden; Donnie Darko rennt die ganze Zeit vorne weg und ein paar knackige Galopps sind auch noch drin; mittlerweile brauche ich gar keine Hand mehr am Sattel und es ist fast wie Fliegen.
Zurück im Camp sind neue Gäste angekommen, und Wuschelhund Mama begrüßt uns freudig. Wir freuen uns auch, sie zu sehen, denn sie ist nicht nur der liebste Hund, den wir je kennen gelernt haben, sondern wir können ihr auch die fettigen Fleischstücke unseres Mittagessens zukommen lassen, hehe. Mama ist übrigens im Frühjahr zugelaufen und wird möglicherweise im Winter wieder ihrer Wege gehen. Dann sind im Camp nur noch zehn Pferde; den Rest treibt Boinaa in ein Wintercamp 200 km weiter südlich.
Einer der neuen Gäste ist ein junger Arzt aus England, dessen einzige Reiterfahrung in seiner Kindheit war, und der jetzt solo sieben Tage lang mit nur einem Pferd und einem Zelt durch die Gegend reiten will. Schon allein in Anbetracht der nächtlichen Temperaturen halten wir dies für gewagt, da er eigentlich schon soviel Ausrüstung zum Warmhalten braucht, dass er das unmöglich alles auf seinem Reitpferd transportieren kann, aber niemand hält ihn davon ab. Auch zwei junge Männer aus Singapur sind frisch im Camp eingetroffen, die noch am Abend mit Boinaa auf die selbe Tour gehen werden wie wir.
Nach dem Mittagessen heißt es dann Abschied nehmen, und was soll ich sagen, es fällt uns verdammt schwer. Da hilft nichtmal die Aussicht auf eine heiße Dusche im Hostel in UB. Boinaa und Tuusho umarmen uns zum Abschied und wir stecken Boinaa noch etwas Trinkgeld zu. Mama knuddeln wir auch noch ein letztes Mal, und dann fährt uns Mendee, der Chef, im Jeep zurück nach UB, zusammen mit einem englisch-schwedischen Paar, die einen längeren Trek unternommen hatten.
Nun habe ich über die letzten vier Tage gefühlt mehr geschrieben als über den ganzen Rest der Reise zusammen. Aber alles, was wir hier erlebt haben, war so anders, so fremdartig, dass ich euch unbedingt daran Teil haben lassen wollte. Ich vermute auch, dass dies eines der intensivsten Erlebnisse auf unserer Reise sein wird. Wir haben so viele wunderbare Menschen kennen gelernt, so viele extreme Erfahrungen gemacht, so viel unglaubliche Natur gesehen; es war einfach total überwältigend.
In unserem Hostel in UB hat übrigens der Wirt illegalerweise schon vor Beginn der staatlich festgelegten Heizsaison die Zentralheizung angeworfen und wir werden heute nacht endlich mal ohne Kopfbedeckung schlafen können.
Außerdem haben wir vorhin im Supermarkt Pokerkarten gekauft, die gleichen wie im Camp.
Und ich höre immer noch Boinaas Lied im Kopf.
Ich bin noch gar nicht raus aus der Mongolei und möchte schon wieder hin…
Jetzt war ich 2 Tage nicht bei eurem Blog und zack, gleich 2 neue Einträge…
Ich liiiiiiiieeeeeebe euren Blog. So sehr, dass ich in der Ubahn weder den Kontrolleur, der mich heute mindestens 3 mal hintereinander nach nem Fahrschein gefragt hat, und erst als eine Dame mich anstubste aufblickte noch meine normale Aussteige-Haltestelle bemerkt hab und gleich 2 Station zu weit gefahren bin. Ich liebe euren Blog, weil ich in der gleichen Ubahn Tränen gelacht habe, wegen des Umrechnungskurses … und paar Minuten später mit offenem Mund und „oh gott nein… bitte nicht“ erschrocken in immer noch dieser Ubahn den Teil mit Waagon Nr. 8 alleine auf dem Gleis gelesen habe…
Die anderen Ubahn-Gäste hatten sicher ihren Spaß an mir und ich an eurem Blog.
Viel Spaß euch beiden weiterhin!!!! Genießt die Zeit. Ich bin so stolz auf euch.
euer I
Bitte bitte nicht aufhören so toll zu leben, zu reisen und zu schreiben. wWr zwei lieben es und lassen alles stehen und liegen unf die Arbeit ruhen, wenn ein neuer Eintrag auftaucht. Die Texte wecken ein unfassbare fernweh und wenn ihr von der mongolischen Weite schreibt, wird uns beim Lesen Dresden immer enger…
Vielen Dank für dieses tolle Kompliment. Wir freuen uns auch unglaublich über so motivierende Kommentare, und natürlich, dass ihr die Arbeit ruhen lasst, um unsere Updates zu lesen – so soll es sein! 😀 Wir freuen uns, von euch zu hören und werden euch auch weiterhin auf dem Laufenden halten. Haben heute bestimmt fünf Katzen gesehen und jedes Mal an euch gedacht! =^._.^=
Juhuuuu… Das B auf Weltreise und alle Blogleser sind live dabei 🙂 Vielen Dank für das Teilen dieser einmaligen Reiseerinnerungen! Ich wünsche euch beiden weiterhin viele tolle Erlebnisse!
Danke dir, liebe Anja! Wir geben unser Bestes. 😉
Bei dir hat ja bestimmt inzwischen auch ein ganz spannender neuer Lebensabschnitt angefangen, aber vermutlich hast du zum Bloggen gar keine Zeit! 😉 Ich schreib dir bald nochmal privat sobald ich meine E-Mailadresse wieder erreiche… Bis dahin schonmal alles Liebe und Gute aus China!!!
Eine ganz andere Welt, aber unglaublich spannend! Die Omi hat sich bei der Melkstory fast nicht mehr eingekriegt vor Lachen :))
Hallo, liebe Birgit, Hallo Kathrin, liebe Grüße aus der Heimat sende ich euch. Seit meinem Urlaub war ich nicht auf eurem Block und habe es soeben nachgeholt. So kalt wie bei euch ist es bei uns nicht, dafür seit einem Monat regnerisch, trüb und ungemütlich. Trotzdem weiß ich wie kalt Nächte sein können aus einer Nacht im Stroh in der Jugendherberge im Oktober.Ich habe mich gesehnt nach einem warmen Wasserstrahl für meine eiskalten Füße. Solche Erlebnisse machen klar, welchen Luxus wir leben. Eure Berichte sind spannen, interessant und auch total schön geschrieben. Es fällt nicht schwer sich einzuklinken und mitzuerleben. Was ihr so esst ist schon manchmal der Überwindung wert, zumal ich ja deine Esseneinstellung kenne. Hut ab, Birgit. Wer eine Reise macht, der kann halt was erleben. So auch, dass eine Kuh dir nicht verweigert, Milch rauszurücken. Lob.
Ich denke ganz oft an dich. Wisse, du fehlst uns, sehr.
Ich wünsche euch spannende Erlebnisse, freundliche Menschen, die euch auf eurem Weg begleiten und freue mich jetzt schon auf euren nächsten Erlebnisbericht. Bleibt gesund und behütet. Lichtvolle Grüße, Gisela
Danke für deinen wundervollen Kommentar, liebe Gisela! Ja, obwohl wir eigentlich immer noch in ziemlich „zivilisierten“ Gegenden unterwegs sind, wird einem schon hier bewusst, wie unendlich groß der Luxus in Deutschland ist, zumindest der materielle. Die Menschen hier sind dafür reich an Zeit und Hilfsbereitschaft. Wir werden zuhause sehr vieles mit anderen Augen sehen und auch viel gelassener nehmen. Ich habe mir auch vorgenommen, noch viel hilfsbereiter zu Fremden/Touristen auf der Straße zu sein, jetzt wo wir am eigenen Leib erleben, wie viel wert schon ein Anruf sein kann, den jemand für uns tätigt, oder wenn jemand mit uns auf den richtigen Bus wartet.
Danke für deine lieben Wünsche; ich denke auch an euch und freue mich, wenn unsere Berichte gelesen werden. 😀