30. September 2017, Lindsay/Kalifornien
Willkommen in Arizona, wohin uns eine nur anderthalbstündige Fahrt von Kanab führte. Obwohl direkt südlich von Utah gelegen, ist man hier der Meinung, sich nach der Pazifischen Zeit richten zu müssen, was für uns aber den Vorteil hatte, dass unsere Fahrt damit effektiv nur eine halbe Stunde in Anspruch nahm und wir länger schlafen konnten.
Wer sich jetzt wundert, warum wir so auf die Uhr schauten: wir hatten einen Termin, aber dazu gleich mehr. Direkt hinter der „Grenze“ (außer einem Schild am Straßenrand, dass man sich in einem neuen Bundesstaat befindet, merkt man davon nie etwas) ging es los mit dem Glen Canyon Dam, der den Colorado River in seinem roten Sandsteinbett zum Lake Powell aufstaut. Dieser Stausee ist Wasser- und Energiequelle für einen erheblichen Bereich im Südwesten der USA. Er führt genug Wasser, um ganz Österreich einen halben Meter hoch zu fluten (so zumindest der anschauliche Vergleich im Besucherzentrum) und der Damm ist 216 Meter hoch. Vom Aussichtspunkt vor der Brücke, die den tiefen Canyon hinter dem Damm überspannt, sah man, wie an den Seiten Wasser durch die porösen Sandsteinfelsen sickerte, was aber anscheinend kein großes Problem darstellt; immerhin steht der Damm ja schon seit 1964.
Nicht weit entfernt lag unser Termin, in einem (Überraschung!) weiteren Canyon. Seit ich vor vielen Jahren mal ein Windows-Hintergrundbild vom Antelope Canyon gesehen hatte, träumte ich davon, dieses surreale Felsenlabyrinth einmal mit eigenen Augen sehen zu können. Im Gegensatz zu fast allen Nationalparks kam man hier allerdings nicht ohne weiteres hinein. Zunächst mussten wir uns entscheiden, ob wir den oberen oder unteren Teil besichtigen wollten – nach etwas Internetrecherche entschieden wir uns für den unteren, wo angeblich weniger Touristen wären und man mehr Zeit im Canyon hätte. Denn, und das war der nächste Punkt: man konnte nur im Rahmen einer geführten (und natürlich kostenpflichtigen) Tour hinein. Wir hatten gelesen, dass die Touren im unteren Teil günstiger und länger wären, wegen des geringeren Andrangs, wobei der Canyon dort trotzdem genau so schön wäre. Nun gut, vielleicht hätte uns die Tatsache zu denken geben sollen, dass die Touren alle 20 Minuten stattfanden. Als wir auf dem fußballfeldgroßen Parkplatz einrollten, waren die ersten sechs Reihen schon fast vollgeparkt…
Wir holten unsere Tickets am Schalter ab, wo man uns gleich sagte, dass es schon Verspätung beim Start der Tour gäbe. Also setzten wir uns auf eine der überdachten Bänke und warteten etwa eine Stunde, bis unsere Nummer aufgerufen wurde. Danach formierten wir uns wie im Kindergarten in Zweierreihen und dackelten dem Guide hinterher durch den Wüstensand bis zur Treppe hinunter in den Canyon. Es war heiß und staubig, weit und breit kein Baum oder Busch. Nebenbei wurden wir im kräftigen Wüstenwind quasi sandgestrahlt, kein Witz, danach waren unsere Schuhe das erste Mal seit Wochen wieder richtig sauber. Dafür hatten wir dann Sand überall sonst, und ich meine wirklich überall.
Oben an der Treppe standen wir noch eine weitere Stunde an, zum Glück unter einem großen Wellblechdach, während die Guides uns und den anderen Wartenden allerhand Wissenswertes über den Canyon erzählten. Zum Beispiel, dass der Canyon seinen heutigen Namen von den ersten weißen Siedlern erhielt, die die in der Gegend beheimateten Gabelböcke für Antilopen hielten. Diese Tiere werden bis heute auch als Amerikanische Antilopen bezeichnet, obwohl es gar keine sind. Oder dass der Canyon auf dem Land der Navajo-Indianer liegt, die auch die Touren veranstalten. Die Touren sichern den Navajo damit nicht nur ein kleines (oder vielleicht auch großes) Einkommen, sie stellen nebenbei auch sicher, dass niemand den Canyon bei schlechtem Wetter betritt – vor einigen Jahren waren mehrere Touristen durch eine Sturzflut ums Leben gekommen. Und zugegeben, beim Anblick der Massen, die mit uns anstanden, war es auch offensichtlich, dass der Besucherandrang nicht anders zu regulieren wäre. Um die 4.000 Menschen schieben sich an einem durchschnittlichen Tag im Gänsemarsch durch die enge Schlucht, die stellenweise kaum breit genug für eine Person ist. So sah es leider auch nicht danach aus, dass wir unten irgendein Foto ohne Menschen machen könnten, was echt schade war. Mittlerweile hofften wir auch einfach nur noch, dass der Canyon das lange Anstehen wirklich wert wäre. Andererseits lehrt die Erfahrung, dass es meist einen Grund gibt, wenn irgendwo sehr viele Leute hinfahren.
Endlich ging es die 30 Höhenmeter hinab auf Metallleitern wie in der Sächsischen Schweiz, und unten angekommen vergaßen wir all unsere Sorgen (bis auf den Sand). Die besten Motive im Antelope Canyon lagen nämlich über unseren Köpfen, wo das Licht in die enge Schlucht fiel. Die Felsen sahen aus wie versteinerte Wellen, sanft geschwungen in immer neuen Formen, und das Sonnenlicht tauchte sie in alle warmen Töne des Farbspektrums. Wir fotografierten bis zur Genickstarre, während uns von oben Sand in Augen, Kragen und Kameras rieselte. Mein Fotoapparat wurde Opfer eines Stäubchens im Objektiv und weigerte sich fortan, sich zu öffen – super, wenn man sich seit Monaten auf das Motiv gefreut hat und am nächsten Tag zum Grand Canyon wollte. Auch Kathrins Kamera schwächelt schon seit einiger Zeit und tut nur noch gelegentlich, was sie soll. Dafür wurde das iPhone der Held des Tages und machte die besten Bilder, vor allem mit dem sonst eher kitschigen Farbfilter, den der Guide uns empfahl. Auf wundersame Weise verliefen sich auch die Besuchermengen mit der Zeit und irgendwann waren nur noch eine Handvoll Leute samt unserem Guide übrig, sodass wir uns fast einreden konnten, den Canyon für uns zu haben. Wir waren gut und gern eine Stunde unten und können als Fazit sagen, dass es sich absolut gelohnt hat.
Als wir bei einem späten Mittagessen in einem Diner saßen, überhörten wir ein deutsches Paar am Nachbartisch – wir gaben uns nicht zu erkennen; auch hier scheint es, wie überall auf der Welt, von unseren Landsleuten nur so zu wimmeln. Aber die Unterhaltung der beiden war einfach köstlich, vor allem als der Mann sich schließlich in schönstem schwäbischen Dialekt bei seiner Frau echauffierte, dass das hier ja „alles nur Schluchten“ wären. Wir wissen nicht, was er in dieser Gegend erwartet hat. Uns hat’s gefallen. 😉
Am Nachmittag düsten wir noch knapp 200 Kilometer nach Flagstaff, der einzigen größeren Stadt im Norden Arizonas, wo wir übernachteten, und am nächsten Tag von dort zu den östlichen Ausläufern des Grand Canyons. Wir fuhren auf der Südseite des Canyons entlang, wo sich die gesamte Infrastruktur des Nationalparks befindet und man außerdem die Sonne im Rücken hat. Mit etwas Gewalt Glück hatte ich meine Kamera wieder flott gekriegt, aber was soll man sagen, natürlich ist auch das beste Foto nur ein müder Abklatsch der Realität, wenn man auf ein Tal blickt, dass stellenweise 30 km breit und 1.500 Meter tief ist. In endlosen Stufen hat sich der Colorado in den Fels gegraben und ist vom Rand des Canyons kaum zu sehen.
Am Südrand gab es ein ganzes Dorf komplett mit Bahnhof, mehreren gigantischen Parkplätzen, Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten, wo wir unser Auto stehen ließen und in den Shuttle-Bus umstiegen, der uns noch weiter nach Westen brachte, wo wir ein Stück am Rand der Schlucht entlangwanderten. Die Vistas waren atemberaubend, und obendrein sahen wir mehrfach Wapiti-Hirsche in den niedrigen Kiefernwäldchen am Wegesrand äsen. Wir blieben bis zum Sonnenuntergang, der die roten Felsen richtiggehend zum Leuchten brachte, und beschlossen, am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen.
Unser Nachtquartier lag reichlich 90 Kilometer entfernt im kleinen Williams, was für hiesige Verhältnisse praktisch direkt um die Ecke war. Am nächsten Tag fuhren wir noch einmal mit dem Shuttle-Bus zu einigen Punkten, die wir am Vortag nicht geschafft hatten, mussten uns aber wieder warm anziehen, denn es war durch den recht frischen Wind erstaunlich kalt am Grand Canyon, obwohl die Sonne schien.
Den Rest des Tages verbrachten wir wieder einmal „on the road“, fuhren nach Kingman im Westen Arizonas, wo wir einen Tag Pause machten und quasi Luft holten für unseren bevorstehenden Abstecher in die nächste Großstadt. Zivilisation sind wir nicht mehr gewöhnt, und dann auch noch Las Vegas…
„alles nur Schluchten“ 🙂 Ich glaube, da gibt es sogar eine Sammlung der besten Reisebeschwerden im Internet (getreu dem Motto – Besuch des Regenwaldes und Feststellen „hier sind ja nur Bäume und Moskitos, und regnen tut auch nur“)
Aber die Bilder sehen sooo toll aus und wie schön, dass die technischen Geräte zum Festhalten der Eindrücke irgendwie durchgehalten haben bzw. später wieder flott gemacht wurden (aber Digitalkameras haben so was an sich: beim ersten Besuch der berühmten Wasserfälle Iguacu hat meine Kamera bereits im Flugzeug auf dem Weg dahin den Geist aufgegeben, und war auch leider nicht mehr zu retten…)
Und damit auf nach Vegas und zum nächsten Blogeintrag.
Manche Leute finden überall etwas zu meckern. Uns hat es jedenfalls total gefallen, und wir sind sehr froh, dass die Technik durchgehalten hat, auch wenn sie jetzt wirklich kurz vor dem Auseinanderfallen ist. Für ein Jahr Dauerbetrieb sind die Dinger irgendwie nicht gemacht. ^^;
Die Schluchten-Fotos sehen grandios aus, da glaub ich gern, dass euch die Motivwahl schwergefallen ist.
Über das Sandstrahlen hab ich mich amüsiert – da habt Ihr sozusagen eine Extra-Peeling erhalten ;))
Wir hätten noch 80 weitere iPhone-Fotos sowie eine nicht spezifizierte, vermutlich dreistellige Anzahl Bilder von der Digitalkamera zu bieten…
Ja, das Peeling war gratis. Und ich kann Sandstrahlen nur empfehlen, viel effektiver als Wasser. :))